Zeitliche Aktualität und die Tendenz zum raschen Wechsel sind grundlegende Charakteristika der Mode, wobei jeder Stilwandel in engem Zusammenhang mit unterschiedlichen soziokulturellen Faktoren erfolgt. Dass dies nicht nur heute, sondern auch für die Vergangenheit gilt, wird anhand der im Folgenden konturierten Entwicklung der Kleidermoden vom Rokoko bis in die 1960er Jahre nachvollziehbar. Vorauszuschicken ist, dass sich der historische Blick dabei vor allem auf die tonangebenden Gesellschaftsschichten westlicher Prägung fokussiert, da Mode als globales Massenphänomen jüngeren Datums ist.
Im 18. Jahrhundert, während der Stilepoche des Rokoko, waren die politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse weitgehend durch die hierarchische Ständeordnung des Ancien Régime geprägt. Kleidung und repräsentative Accessoires dienten vor allem als Statussymbole, wobei in Abhängigkeit vom jeweiligen Trageanlass und dem Rang der Trägerinnen bzw. Träger genaue hierarchische Abstufungen zu beachten waren. Als maßstabsetzend in Europa galt das absolutistisch regierte Frankreich mit dem in Fragen von Stil und Geschmack vorbildhaft wirkenden Versailler Hof. Generell kleideten sich die gesellschaftlich tonangebenden höheren Stände „à la mode française“. Dabei dominierten in der Damen- wie in der Herrengarderobe gleichermaßen luxuriöse, oft farbige Materialien wie Samt, Seide, Spitzen und Stickereien. Ebenfalls für beide Geschlechter galt das Ideal einer gewissen Künstlichkeit: Hell gepuderte Perücken, stark geschminkte Gesichter und ein geziertes Verhalten trugen zu einem artifiziellen Äußeren bei, das möglichst jeden Eindruck von Natürlichkeit vermeiden sollte. Allein wegen ihrer Kostspieligkeit blieb die höfische Mode der privilegierten Gesellschaft vorbehalten. Zusätzlich sollten Kleiderordnungen, d. h. Gesetze zu den in verschiedenen Schichten jeweils erlaubten bzw. verbotenen Stücken, verhindern, dass sich niedrigere Stände der Statussymbole bedienten.
Vor allem im Hoch- und Spätrokoko fand die prächtige Hofmode nach Versailler Muster noch einmal zu extremen Spielformen: Herren in prachtvoll bestickten, farbigen Seidenanzügen mit reichem Spitzenaufputz, gepuderten Haarbeutelfrisuren, dekorativen „Galanteriedegen“ und hochhackigen Schuhen fielen ebenso ins Auge wie artifiziell aufgeputzte Damen, deren durch Schnürleiber und ausladende Reifröcke geformte Silhouetten in hohen, üppig geschmückten Perücken gipfelten.
Zeitgleich mit der wachsenden Dekadenz des höfischen Adels wuchs in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts unter dem Einfluss aufklärerischer Ideen der Einfluss des Bürgertums. Den neuen Weltanschauungen auf politischem, gesellschaftlichem und geistigem Gebiet entsprach die als vergleichsweise schlicht, bequem und vernünftig geltende „mode à l’anglaise“. Sie orientierte sich für Herren an der englischen Reitkleidung und favorisierte für Damen unter anderem Baumwollkleider sowie recht praktische Kostüme, die sogenannten habits.
Evident wurde das Ende der höfischen Kultur und Mode dann während der Französischen Revolution, in deren Verlauf der politische Symbolgehalt von Kleidung an Wichtigkeit gewann. Während zunächst vielversprechende Ansätze zur weiblichen Emanzipation nicht von Dauer waren, sollte sich die Dominanz des Bürgertums als beständiger erweisen – nicht zuletzt auf modischem Gebiet. Das galt insbesondere für die männliche Kleidung: Im Verlauf des 19. Jahrhunderts etablierte sich der betont nüchtern gestaltete dreiteilige Herrenanzug aus dunklem Wolltuch mit langer Hose – im Gegensatz zur vorrevolutionären Kniehose, der sogenannten culotte – als quasi-uniforme Garderobe, zunächst des erfolgreichen Wirtschaftsbürgers, später auch des unauffälligen Angestellten moderner Prägung. Wenngleich das bekannte Schlagwort vom „großen männlichen Verzicht“ auf die Teilhabe am Modegeschehen nach heutigem Kenntnisstand zu relativieren ist, wirkte die männliche Garderobe fortan vergleichsweise zurückhaltend. Demgegenüber zeigte die Damenmode eine große Stilvielfalt: Die um 1800 aus dünnen weißen Baumwollstoffen gefertigten schmalen, hochtaillierten Chemisenkleider der „mode à la greque“ wurden während des ersten napoleonischen Kaiserreichs durch steifere Roben in klassizistischem Stil abgelöst. Im Biedermeier dominierte die überaus feminine Stundenglas-Silhouette mit eng geschnürter Taille, oft ausladenden Ärmelformen und weitem Rock, die durch eine Fülle von Garnituren und Accessoires vervollständigt wurde. Daraus entwickelte sich um die Jahrhundertmitte, zur Zeit des zweiten französischen Kaiserreichs, die elegant-repräsentative Krinolinenmode, deren durch Korsetts und Reifröcke geformter Umriss den höfischen Rokoko-Stil erneut heraufbeschwor.
Der historisierende Look wurde nun allerdings mittels neuester Technik realisiert. Durch mechanische Vorrichtungen zum Spinnen und Weben, die im Zuge der Industriellen Revolution die bis dahin übliche Handarbeit ersetzt hatten, vergrößerte sich im 19. Jahrhundert das Angebot an Garnen, Stoffen und Garnituren beträchtlich. Die weiten Röcke, die stilistisch rückwärtsgewandt ein „Zweites Rokoko“ evozierten, waren strukturell vollkommen modern, da ihr großer Umfang durch massenproduzierte sogenannte Stahlreifen- oder Käfig-Krinolinen erzielt wurde. Als unübersehbares Symbol für Fortschritt und Modernität galten aus zeitgenössischer Sicht auch die seit Mitte der 1850er Jahre erstmals verfügbaren synthetischen Textilfarbstoffe in leuchtenden Nuancen. Dazu kam als eine der wichtigsten Erfindungen der Bekleidungsbranche die Nähmaschine, die nach der Jahrhundertmitte als ein Hauptfaktor zum Aufschwung der Konfektion beitrug. Die moderne Fertigkleidung wurde vor allem in damals neu gegründeten Warenhäusern verkauft. In Verbindung mit Innovationen im Transport- und Kommunikationswesen – von der Einführung der Eisenbahn bis zur Blüte der Massenpresse –, förderten die Veränderungen von Produktion und Konsumtion eine scheinbare Demokratisierung bürgerlicher Kleidungsstile – modische Kleidung wurde für breitere Käuferschichten verfügbar.
Dennoch blieb soziale Distinktion durch das äußere Erscheinungsbild weiterhin wichtig, sowohl in der Herrenkleidung, die sich fortan am Ideal des englischen Gentlemans orientierte, als auch in der Damenmode, die nach dem Vorbild der international einflussreichen Pariser Haute Couture ihren aufwendigen Charakter bewahrte. Die Kreationen reichten von üppig ausgestatteten, artifiziellen Roben des Historismus bis zu künstlerisch inspirierten Modellen im frühen 20. Jahrhundert. Um 1900 förderten lebensreformerische Ideen ein wachsendes Gesundheitsbewusstsein. Dies markierte den Beginn verschiedener Wellness-Trends sowie einer Sport- und Freizeitmode, die im Verlauf des 20. Jahrhunderts im legeren Outfit mit T-Shirt, Blue-Jeans und Turnschuhen für beide Geschlechter gipfelte.
Die Belle Époque fand ihr Ende mit dem Ersten Weltkrieg, auch in der Kleidermode: Angesichts wachsender Materialengpässe während des Kriegs gewannen Schlagworte wie „Vereinfachung“ und „Verkürzung“ für die Damenmode an Bedeutung. Sie förderten den Abbau überkommener Kleidungszwänge und ebneten den Weg für das in der folgenden Dekade idealisierte Bild der „Neuen Frau“. Passend zur veränderten gesellschaftlichen Frauenrolle propagierten Modeschöpferinnen und Modeschöpfer der „Roaring Twenties“ in Paris und Berlin eine neue Silhouette, die über moderne Massenmedien rasche Verbreitung fand: Als Schönheitsideal galt nun die jugendlich schlanke, sportliche Figur, mit strengem Bubikopf, in lose sitzendem, kurzem Hängerkleid – erstmals in der Modegeschichte gerieten damit die weiblichen Beine ins Blickfeld der Öffentlichkeit. Nachts wandelte sich das nüchterne „Girl“ US-amerikanischer Prägung zum verruchten „Vamp“ in paillettenbesetztem Charleston-Tanzkleid. Eine ähnliche tägliche Metamorphose von Schlichtheit zu raffinierter Eleganz vollzog die weibliche Garderobe in den 1930er Jahren, wobei anders als zuvor glamouröse Roben in figurbetontem Schrägschnitt dominierten.
Während des Zweiten Weltkriegs prägten Stoffrationierung, Zweckmäßigkeit und militärische Stileinflüsse die weibliche ebenso wie die männliche Kleidung. Im Anschluss an die entbehrungsreiche Nachkriegszeit brachte das Wirtschaftswunder zunächst die Rückkehr zu klassischen Geschlechterrollen, mit der damenhaften Blütenkelchlinie des „New Look“ und weit schwingenden Petticoats für junge Frauen einerseits sowie konservativen Anzügen neben maskulinen Motorradjacken aufmüpfiger „Halbstarker“ andererseits. In Opposition zur bürgerlichen Wohlstandsgesellschaft wurde Rock ’n’ Roll zur Hymne der beginnenden Teenager-Revolution. Auch in den 1960er Jahren waren Musik und Mode Ausdruck der Auflehnung gegen Althergebrachtes und befruchteten sich wechselseitig. Als Rebellen ebenso wie als Konsumenten gewannen Jugendliche an Einfluss auf politischem, kulturellem und nicht zuletzt auf modischem Gebiet. „Swinging London“ wurde zur Welthauptstadt einer juvenil dominierten Popkultur mit einer lebendigen Boutiquen-Szene, die moderne „Mode von der Stange“ – Prêt-à-porter bzw. Ready-to-wear – verkaufte, und wo junge Mädchen in Miniröcken neben auffällig gekleideten männlichen Anhängern der sogenannten „Peacock Revolution“ einem neuen Lifestyle huldigten.
Von der „mode à la française“ im Rokoko zum „London Look“ der 1960er Jahre – bei aller Diversität wirkt Kleidermode kontinuierlich als gleichermaßen expressiver wie impressiver Indikator ihrer Zeit. Dies gilt nicht nur retrospektiv, sondern auch im Jetzt und perspektivisch.
Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 05/22.