Zwischen bürgerlicher Tradition und digitalem Wandel

Wie funktioniert der Kunstmarkt?

Diese Entwicklung kam nicht über Nacht. Seit den späten 1960er bis in die 1990er Jahre war der Markt eindeutig aufgeteilt mit dem Kunst- und Antiquitätenhandel und den Auktionshäusern einerseits sowie den Galerien auf der anderen Seite. Zwei Faktoren brachten Ende der 1990er Jahre gehörig Bewegung in dieses System: Da war einerseits das Internet, das Informationen über Preise und Versteigerungen selbst am anderen Ende der Welt plötzlich frei verfügbar machte. 1998 hielt das Auktionshaus Christie‘s seine erste Versteigerung mit zeitgenössischer Kunst ab. Damit brach das Auktionshaus eine ungeschriebene Regel, die jahrzehntelang Bestand gehabt hatte. Das eingeübte Wechselspiel zwischen Sekundär (Handel) und Primär (Galerie) funktionierte nicht mehr. Alle Spieler positionierten sich neu. Gleichzeitig nahm der weltweite Reichtum enorm zu, ein Prozess, der sich mit der Politik des lockeren Geldes noch einmal beschleunigte. Einiges von diesem Geld floss in den Kunstmarkt, der aufgrund niedriger Zinsen und anderer Vorteile als alternative Anlageklasse zunehmend attraktiv wurde. Kunst ist mittlerweile zur globalen Währung geworden, deren Handelsplätze die Messen dieser Welt sind, sei es in Basel, London, New York oder Hongkong. Die kurz nach der Art Cologne gegründete Art Basel mit ihren drei Ausgaben in Basel, Miami und Hongkong hat sich dabei als unangefochtene Marktführerin durchgesetzt.

 

In diesem von Messen dominierten Kunstmarkt müssen sich Galerien auf deren System einlassen. Es ist kein Geheimnis, dass die wenigen Megagalerien auf der Art Basel und der Frieze Art Fair einen Großteil ihres Jahresumsatzes generieren. Bei dem Preisniveau ihrer kanonisierten Ware stellen die Teilnahmekosten eine geringe Belastung dar. Anders sieht es bei den kleineren, oft relativ jungen Unternehmen aus. Für sie stellen Messen nicht selten den größten Kostenblock dar, ohne dass sie entsprechende Einnahmen zu erwarten hätten.

 

Obwohl die deutschen Galerien nicht zu den umsatzstärksten Marktteilnehmern gehören, sind sie für den Diskurs wichtig. Im Zusammenspiel mit der nicht kommerziellen Kunstvermittlung durch Museen, Kunstvereine etc. tragen sie erheblich dazu bei, Künstlerpositionen zu etablieren. Der Branchendienst Artfacts.net betreibt die wohl umfassendste Ausstellungs-Datenbank und erstellt auf dieser Grundlage eine Rangliste der wichtigsten Künstler – nicht der umsatzstärksten. Und hier ist Deutschland ganz vorne: Unter den weltweit 100 wichtigsten lebenden Künstlern finden sich 20 deutsche Namen. International hat sich Berlin als einer der wichtigsten Produktions- und Diskursorte für Künstler etabliert. Auf der Art Basel stellen deutsche Teilnehmer nach den USA das größte Kontingent, allerdings meist mit einem anderen Preisniveau.

 

Speziell für deutsche Marktteilnehmer besteht allerdings ein Wettbewerbsnachteil in gesetzlichen Regulierungen und Abgaben. Die Abgabenlast ist in keinem vergleichbaren Markt so hoch wie in Deutschland. Der Wegfall der Mehrwertsteuerermäßigung, die im europäischen Vergleich hohe Folgerechtsabgabe, mit der Künstler und deren Erben an späteren Wertsteigerungen teilhaben und die Künstlersozialabgabe, mit der Sozialversicherungsbeiträge von Künstlern teilfinanziert werden, führen im internationalen Wettbewerb zu einem klaren Standortnachteil.

 

Das Internet wurde bis vor wenigen Jahren hauptsächlich als Informationsquelle angesehen und hat als Marktplatz für hochwertige Kunst bisher nie richtig funktioniert. Das ändert sich allerdings gerade durch die Corona-Pandemie. Schon während des ersten Lockdowns im Frühjahr 2020 haben selbst Galerien, die der virtuellen Welt eher skeptisch gegenüberstanden und sich dort nur halbherzig engagierten, sehr schnell Formate entwickelt, mit denen sie Kunst aus dem physischen Raum in den digitalen bringen. Experimentelle Apps für das Smartphone, wie sie die Berliner König Galerie mit dem digitalen Nachbau der Galerie in der Art eines Computerspiels realisiert hat, sind noch die Ausnahme. Und die reale Kunsterfahrung werden sie auch nie ersetzen können. Doch der Kunstmarkt befindet sich aktuell in einem rasanten Wandel, und welche Modelle und Marktteilnehmer sich durchsetzen werden, hängt nicht zuletzt von den politischen Rahmenbedingungen ab. Und davon, was Sammler als Kunden nachfragen.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 12/2020-01/2021.

Stefan Kobel
Stefan Kobel ist freier Kunstmarktjournalist. Mit Kobels Kunstwoche betreibt er eine jeden Montag online erscheinende kommentierte Presseschau zur Kunstmarktberichterstattung.
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