Die Bestenliste

50 Jahre Kunstkompass

Die „Stars von morgen“ ist neben dem Klassiker „Top 100“ eine weitere Kategorie im Kunstkompass.

Die „Stars von morgen“ geben einen ganz anderen Überblick über Künstler, die nach den gleichen Kriterien in den letzten 12 Monaten in wichtigen Einzelausstellungen in repräsentativen Häusern gezeigt, in den führenden Kunstmagazinen intensiv besprochen, zu bedeutenden Gruppenausstellungen – wie der Biennale in Venedig oder documenta – eingeladen werden. Zu Beginn dieses Rankings habe ich 20, 30 Künstler vorgestellt – es war eine kleinere Kategorie. Seit einigen Jahren sind es 100 „Stars von morgen“.

Bei den Stars ist nicht nur der Frauenanteil höher, die Künstler stammen nicht länger nur aus Westeuropa und den USA, sondern sie kommen jetzt auch aus dem Libanon, Indien, China und Nigeria. 2020 führt die Nigerianerin Otobong Nkanga die Rangliste an.

 

Bei den „Stars von morgen“ sind auch etablierte Künstlerinnen wie Valie Export, Jahrgang 1940, gelistet. Da habe ich erst mal gestutzt.

Da berühren Sie einen pikanten Punkt. Franz Erhard Walther, Jahrgang 1939, ist auch dabei oder Betye Saar, Jahrgang 1926. Letztere hat in diesem Jahr im Museum Ludwig Köln den Wolfgang-Hahn-Preis gewonnen. Erst im hohen Alter wurde sie geehrt. Dieses Phänomen trifft überwiegend Frauen. Ein anderes Beispiel ist Marisa Merz, die spät den Goldenen Löwen in Venedig gewonnen hat. Sie stand immer im Schatten ihres Mannes. Lange Zeit hatten die Frauen das Nachsehen, sie waren nicht annähernd so stark in großen Ausstellungen und in der Preisgestaltung vertreten. Sie fielen hinter ihren männlichen Kollegen zurück.

Als ich in New York lebte, wurde ich aufgefordert, den „Guerilla Girls“ beizutreten. Die Künstlerinnen setzen sich seit 1985 dafür ein, die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern und der Rasse in den Mittelpunkt der größeren Kunstgemeinschaft und des Kunstbetriebs zu rücken. Ich wurde mit offenen Armen empfangen. Sie baten mich, ihre Pamphlete in großen Museen – auch auf den Herrentoiletten – zu kleben. Die Guerilla Girls haben nie gejammert, im Gegenteil! Sie legen mit Charme, Humor und attraktiver Kostümierung und Maskierung die anfechtbaren Modalitäten einer männlich orientierten Kunstwelt auf den Tisch.

Schon in den 1980er Jahren hatte der Feminismus in der Kunst in den USA mehr Power! Künstlerinnen verbünden sich in den USA viel stärker als hier in Europa. Bei uns existieren mehr Einzelkämpferinnen wie Rebecca Horn oder Rosemarie Trockel.

 

Neben den „Stars von morgen“ haben Sie im Kunstkompass eine weitere Kategorie über die Jahre eingeführt: den sogenannten „Olymp“. In diesem sind bereits verstorbene Künstlerinnen und Künstler gelistet.

Wenn ein Künstler oder eine Künstlerin stirbt, dann rutschen sie aus den Top 100 heraus. Die Nachfrage nach diesen verstorbenen Künstlern ist eher größer als schwächer. Zu ihnen zählen an vorderster Front Andy
Warhol, Joseph Beuys, Sigmar Polke, Louise Bourgeois und viele andere.

Kommendes Jahr würde Joseph Beuys seinen 100. Geburtstag feiern. Es sind sehr viele Ausstellungen geplant, was mit Sicherheit sein Ruhmespunktekonto anschwellen lässt.

Persönlich freut mich das sehr. Joseph Beuys war mir ein wichtiger Freund und Lehrer. Gemeinsam haben wir eine Schule für Kreativität im Oberbergischen betrieben. Im Nachhinein muss ich sagen: Die Idee war tollkühn und verrückt.

 

Sind das nicht die besten Ideen …

Da stimme ich Ihnen hundertprozentig zu! Joseph Beuys hat mich ja auch damals intensiv überredet, den Kunstkompass nach Willis Tod weiterzuführen. Ich musste ihm sogar die Hand darauf geben. Kurz vor seinem Tod, 1985 im November, traf ich ihn und versprach, am nächsten Tag zu Capital in Köln zu gehen und den Vertrag zu unterschreiben. Das habe ich getan – auch wenn es bedeutete, den professionellen Teil meiner Künstlerexistenz schweren Herzens an den Nagel zu hängen und mich komplett auf den Kunstkompass zu konzentrieren.

 

Zur Anfangszeit des Kunstkompasses war dieser verpönt. Bevor Sie Willi Bongard kennenlernten, empfanden Sie den Kunstkompass als „eine Schande“, wie Sie mir sagten. Da waren Sie nicht die Einzige. Maler wie Heinz Mack und Galeristen wie Hein Stünke waren strikt dagegen.

Da war sich die Kunstwelt wirklich einig. Im Oktober 1970 erschien der Kunstkompass erstmalig. Nur der Kunst-Mäzen Peter Ludwig, ein großer Verehrer von Willis Kunstseite im Wirtschaftsteil der ZEIT, sagte: „Endlich ist mal jemand, der durchblickt und das analysiert, wie dieses Zusammenspiel von Museen, Sammlern, Künstlern, Kritikern läuft, und ich kann Sie nur beglückwünschen.“ Damit war er der Einzige.

 

Mittlerweile hat sich das Ansehen des Kunstkompasses stark gewandelt.

Zeitungen wie das Wallstreet Journal, Art in America, Artforum oder Kunstforum berichten, dass der Kunstkompass das einzig zuverlässige Messinstrument für die Qualität von Kunst ist. Für Sammler spielt das durchaus eine Rolle. Wenn ein Künstler führend bei den TOP 100 ist, dann macht man mit Sicherheit Kunstsammler und Kunstfreunde neugierig. Einen Fehler macht man beim Kauf von in den TOP 100 vertretenen Künstlerinnen und Künstlern sicher nicht. Im Kunstkompass zeigen sich die Recherchen von vielen, vielen Jahren, die zuverlässig Auskunft über die Bedeutung und Resonanz der Künstler in der Kunstwelt geben. Durch meine regelmäßigen Besuche von Galerie- und Museumsausstellungen im In- und Ausland weiß ich, dass das Gros der Kunstfreunde den Kunstkompass sehr, sehr gut kennt.

 

Vielen Dank.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 12/2020-01/2021.

Linde Rohr-Bongard & Theresa Brüheim
Linde Rohr-Bongard verantwortet den Kunstkompass. Theresa Brüheim ist Chefin vom Dienst von Politik & Kultur.
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