Seit über 200 Jahren vermitteln Kunstvereine zeitgenössische Kunst, gefertigt von Bürgern an Bürgern. Bei der Gestaltung des Ausstellungsprogramms achten Kunstvereine nicht auf oberflächliche Trends oder richten sich nach einem Interesse ihres Publikums, sondern orientieren sich an jeweils zeitgemäßen aktuellen gesellschaftspolitischen Fragen. Dies erfolgt sowohl durch die Präsentation von monografisch ausgerichteten Ausstellungen als auch durch die Konzeption und Realisation von Gruppenausstellungen, die aus unterschiedlichem Blickwinkel auf formal vielfältige Art und Weise gegenwärtig relevante Themen verhandeln. Dabei werden klassische Formate immer auch durch neue Arten erweitert und der Kunstverein wird zum Experimentalraum oder auch zum Labor, sodass vielmehr Prozesse oder offene Fragen verhandelt werden, an deren Ende kein eindeutiges Ergebnis steht.
Bis heute liegt dabei ein Fokus auf einer Präsentation der Werke von Künstlerinnen und Künstlern, die noch nicht sehr im Kunstsystem etabliert sind, sodass die Rolle der Kunstvereine in der Forschung nach und der Entdeckung der Kunst besteht, die heute sowohl formal wie inhaltlich Aspekte wie Migration und Identität, Kapitalismus, Digitalisierung, Feminismus und genderspezifische Fragen, Ökologie und Digitalisierung zur Sprache bringt und die gegenüber einem breit gefächerten Publikum auf erkenntnisgewinnende Art und Weise vermittelt wird. Dabei erfüllen Kunstvereine als bürgerlich orientierte Lernorte einen Bildungsauftrag, der sich an alle Menschen richtet. Inhaltlich geschieht dies in Form von breit aufgestellten Formen der Kunstvermittlung, z. B. über öffentliche Gespräche mit den Kunstschaffenden oder mit weiteren Vertreterinnen und Vertretern der Kunstszene, Podiumsdiskussionen, Vorträge, Feste, Kunstreisen und Angebote für Kinder und Jugendliche. In ihren jeweiligen Städten kooperieren Kunstvereine oft mit weiteren Bildungseinrichtungen, um auch interdisziplinär zu vermitteln.
Kunstvereine werden von Mitgliedern getragen und wirken somit auf direkte Weise in die kleineren oder größeren Orte, in denen sie liegen. Sie tragen diese nicht nur finanziell, sondern auch, indem sie innerhalb der Vereine eine partizipatorische Rolle einnehmen und teilweise wichtige Aufgaben übernehmen, wie z. B. Aufsicht, manchmal helfen sie auch beim Ab- und Aufbau von Ausstellungen.
Kunstvereine verfügen über keine ständige Sammlung, sondern realisieren Ausstellungen in enger Zusammenarbeit mit gegenwärtig lebenden Kunstschaffenden. Alle Kunstvereine sind gemeinnützig und arbeiten nicht profitorientiert. Ihnen steht jeweils ein Vorstand vor, der die Vereinsarbeit fördert und unterstützt. Während dieser ehrenamtlich arbeitet, wird in einigen Kunstvereinen das Ausstellungs- und Vermittlungsprogramm durch einen Direktor oder eine künstlerische Leiterin konzipiert, organisiert und gemeinsam mit weiteren Mitarbeitenden für Buchhaltung, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Ab- und Aufbau, Kunstvermittlung realisiert. Oft geschieht hingegen auch diese Arbeit ehrenamtlich. Die finanzielle Unterstützung durch die Mitglieder von Kunstvereinen reicht für eine niveauvolle und diskursiv anspruchsvoll wirkende Institution nicht aus, sodass Kommunen, Länder und Stiftungen sowie die Privatwirtschaft ebenfalls unterstützend wirken.
In ihrer Rolle als Entdecker der Kunst von Morgen fördern Kunstvereine Künstlerinnen und Künstler durch Realisation ihrer ersten Einzelausstellungen, sie ermöglichen Neuproduktionen von Kunstwerken und zahlen Honorare. Eine direkte Unterstützung erfolgt auch durch das Angebot an Editionen und Jahresgaben der Kunstvereine. Unikate oder in Auflage gefertigte Werke werden zu Preisen angeboten, die unter ihrem jeweiligen Marktwert liegen, da sie sich nicht daran orientieren, sondern Kunstvereine sprechen die Höhe des Verkaufswerts direkt mit den Künstlerinnen und Künstlern ab. Somit erhalten sie die Möglichkeit, ihren Mitgliedern und anderen Menschen zeitgenössische Kunst von regional, national und international renommierten Künstlerinnen und Künstlern zu kleinen Preisen anbieten zu können. Mit diesem Prinzip ist allen gedient: den Kunstschaffenden, die die Hälfte vom Verkaufserlös erhalten, den Kunstvereinen, die die anderen 50 Prozent bekommen, aber vor allen den Käuferinnen und Käufern, denen über das Prinzip der Editionen und Jahresgaben der Kunstvereine die Möglichkeit eröffnet wird, Kunstsammlungen aufzubauen.
Auch den Galerien dienen die Kunstvereine, indem sie oft Neuproduktionen von Kunstwerken ermöglichen, sowohl von großformatigen und raumgreifenden Installationen als auch von zweidimensionalen Werken. Über eine Präsentation der Werke von Kunstschaffenden an Orten fern der Galerien und durch eine direkte Vermittlung an die Bürgerinnen und Bürger vor Ort tragen die Kunstvereine dazu bei, für die Galerien neue Käuferschichten zu generieren. Über die Produktion von Katalogen, die die künstlerische Arbeit nachhaltig vermittelt, wird die Arbeit eines Künstlers ebenfalls gefördert, auch wenn Galerien hierbei oft unterstützend wirken.
1980, also vor 40 Jahren, wurde die Arbeitsgemeinschaft Deutscher Kunstvereine (ADKV) gegründet, mit dem Anspruch, als Dachverband der Kunstvereine im deutschsprachigen Raum deren Interessen durch eine breit angelegte Lobbyarbeit auch gegenüber der Politik zu vertreten. Richten sich diese Interessen generell vor allem auf Unterstützung und Förderung der Kunstvereine durch die Länder und Kommunen, besteht vor dem Hintergrund der aktuellen Corona-Pandemie ein Fokus auf dem Bemühen um die Einrichtung eines Sonderfonds für Kunstvereine in den kommenden zwei Jahren. Auch wenn zurzeit genaue finanzielle Folgen der Corona-krise noch nicht absehbar sind, versucht die ADKV im Namen der Kunstvereine der Gefahr möglicher zukünftiger Schließung aufgrund von Kürzungen oder sogar Ausfall finanzieller Unterstützung durch Länder und Kommunen vorzubeugen. Im schlimmsten Fall droht das Verschwinden des traditionsreichen und für die Erhaltung der Demokratie wertvollen Kulturguts Kunstverein.
Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 12/2020-01/2021.