Ethik & Games

Moral, Normen und Werte in digitalen Spielen

„Und die Moral von der Geschicht“ kennt die Medienwissenschaftlerin und Spieleforscherin Angela Tillmann.

 

Theresa Brüheim: Frau Professor Tillmann, Sie leiten das Forschungsprojekt „Ethik & Games“ an der Technischen Hochschule Köln. Worin liegt das Forschungsvorhaben begründet? Was sind die inhaltlichen Schwerpunkte und Ziele des Projektes?
Angela Tillmann: Viele digitale Spiele konfrontieren uns mit existenziellen Fragen oder verlangen den Spielenden moralische Entscheidungen ab. Es geht um kriegerische Konflikte, das Thema Asylsuche, Sexismus im Spiel usw. Den inhaltlichen Fokus legt das Projekt daher einerseits auf die Darstellungen von Figuren, Konflikten und Lösungen im Spiel. Darüber hinaus werden aber auch Entscheidungen in den Blick genommen, die die Spielkultur betreffen, also außerhalb des Spiels auf Seiten der Spielenden und Producer zu verorten sind. Ziel des Projekts ist es, Spielende zum Nachdenken über moralische Entscheidungen im Spiel und in der Spielekultur anzuregen und mit ihnen gemeinsam Wege zu finden, wie man Spiele zur kritischen und kreativen Auseinandersetzung über Normen und Werte in der digitalen Spielkultur (und auch Gesellschaft) einsetzen und die Kommunikationskultur verbessern kann. Im Austausch mit Jugendlichen, Pädagoginnen und Pädagogen wurden bzw. werden im Rahmen unterschiedlicher Veranstaltungsformate didaktische Methoden und Materialien für die pädagogische Arbeit mit Jugendlichen im Alter von 14 bis 24 Jahren entwickelt, die Interessierten über die Online-Kompetenzplattform für Medienpädagogik in der Digitalen Spielekultur – www.digitale-spielewelten.de – gratis zur Verfügung gestellt werden.

 

ln einigen Computerspielen tun Spieler Dinge, welche die Moral im täglichen Leben verbieten würde – es wird mit scharfen Waffen gekämpft und geschossen, Autos und andere Gegenstände werden gestohlen, Gegner werden getötet. lnwieweit beeinflusst Moral diese fiktiven Handlungen? Und welche Einflüsse haben diese Spieltätigkeiten auf das tägliche Leben außerhalb des Computerspiels?
Im Spiel können wir töten, plündern, vergewaltigen, aber auch retten, Verantwortung übernehmen und unterstützen. Ob wir für unser Töten und Vergewaltigen belohnt werden oder dafür, dass wir Menschen verschonen oder gar helfen, das entscheidet vor allem das Spiel – nicht wir. In der Regel zählt im Spiel vor allem die Geschicklichkeit und Kombinationsgabe, nicht die moralische Norm oder ein selbstgewähltes ethisches Prinzip. Es geht vor allem darum, sich möglichst schnell in das Spiel hineinzudenken und die wesentlichen Leistungsforderungen des Spiels zu erfüllen – es zügig zu beherrschen. Die reale Welt ist für die Spielenden im Moment des Spielens nicht relevant. Sie grenzen das virtuelle Geschehen und die entsprechenden Handlungsmöglichkeiten von den Gegebenheiten in der Realität ab. In der Medienpädagogik sprechen wir auch von einer Rahmungskompetenz, welche die Spielenden entwickeln. Bezogen auf moralisch relevante Entscheidungen bleibt meist wenig Zeit, und es gibt wenig Anlässe, Spielinhalte während des Spielprozesses moralisch zu reflektieren. Nichtsdestotrotz bergen digitale Spiele, in Abhängigkeit vom Genre, ein Bildungspotential. So zeigen unsere bisherigen Erfahrungen im Projekt, dass digitale Spiele sich vor allem dazu eignen, um mit Jugendlichen nach dem Spiel über Inhalte und moralische Entscheidungen im Spiel ins Gespräch zu kommen. Als Pädagoginnen und Pädagogen sehen wir unsere Hauptaufgabe darin, didaktische Materialien zu gestalten, über die Jugendliche dazu motiviert werden können, moralisches Handeln im Kontext ihres Spiels zu reflektieren und sich kritisch und kreativ mit ethischen Konflikten und moralischen Dilemmata zu beschäftigen.

 

Das Forschungsprojekt „Ethik & Games“ endet Anfang 2018. Welches Fazit ziehen Sie aus dem Projekt? Welche Ziele haben Sie erreicht, welcher Mehrwert bleibt und wie geht es mit dem Forschungsbereich weiter?
Aus unserer Sicht liefern digitale Spiele vielversprechende Möglichkeiten, sich mit moralischen Fragen auseinanderzusetzen und bestehende, im Alltag oft unhinterfragte Normen- und Wertesysteme ethisch zu reflektieren. Zudem lässt sich mit dem Einsatz digitaler Spiele in der pädagogischen Praxis, ob im Unterricht oder im non-formalen Lernbereich, ein direkter Bezug zur Lebenswelt der Schülerinnen und Schüler herstellen, denn fast alle Kinder und Jugendliche spielen in ihrem Alltag. Das digitale Spiel kann somit ein Türöffner sein. Darüber hinaus eröffnet das digitale Spiel auch neue Erfahrungsdimensionen. Spielende können sich an Orte und in Lebenssituationen begeben, die außerhalb der eigenen Erfahrungswelt liegen – und ihr Normen- und Wertesystem daher aus anderer Perspektive und bezogen auf neue Situationen reflektieren und erweitern.

 

Einen großen Gewinn sehen wir auch darin, dass in dem Projekt „Ethik & Games“ vielfältige pädagogische Methoden und Materialien entwickelt wurden, die nicht nur zum reflektierten, sondern auch kreativen Einsatz von digitalen Spielen in der pädagogischen Praxis einladen. Sie sind über die genannte Plattform www.digitale-spielewelten.de verfügbar und werden dort stetig erweitert. Das Thema Ethik und Games wird uns sicher auch in den Folgejahren weiter beschäftigen. Wir werden im Austausch mit unseren Netzwerkpartnerinnen und -partnern die didaktischen Materialien und den Spielekanon sukzessive erweitern, möchten uns darüber hinaus dann verstärkt mit der Frage beschäftigen, welche Räume digitale Spiele und die digitale Spielekultur für die inklusiven Teilhabeprozesse und die Demokratiebildung eröffnen.

 

Der Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 05/2017.

Angela Tillmann und Theresa Brüheim
Angela Tillmann ist Professorin am Institut für Medienforschung und Medienpädagogik der Technischen Hochschule Köln. Sie leitet dort den Forschungsbereich "Medienwelten" und das Projekt "Ethik & Games". Theresa Brüheim ist Chefin vom Dienst von Politik & Kultur.
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