Um interaktive und kollaborative Vermittlungsprozesse zu ermöglichen, wird zudem ein verändertes Machtgefüge zur Voraussetzung, dass die zuvor auf die Lehrperson konzentrierte Mediennutzung im Unterricht auf alle Teilnehmenden ausweitet. Sinnvoll durchdachten Konzepten zum Medieneinsatz im Tanzunterricht geht es nicht um die Aufhebung gemeinsamer Lernsituationen in leiblicher Nähe, sondern um die Erweiterung dieser Situation. Die explorativ angelegte Arbeit mit körperlicher Bewegung und digitalen Medien, die in Formaten wie z.B. Videotanz, Videoinstallation, multimediale Projektion, Skype-Dance-Session oder Improvisation mit (Handy-)Kamera erprobt wird, kann dabei durch Fragen wie die folgenden exemplarischen eingeleitet werden:
- Wie verändert sich durch mobile Medien das eigene Bewegungsverhalten bzw. welche neuen Bewegungsgewohnheiten und Bewegungsordnungen entstehen?
- Welche Perspektivveränderung auf die eigene Körperbewegung bringt z.B. die permanente Möglichkeit der Vermessung mit sich?
- Wie verändert sich die Aufführung einer Choreographie, wenn das Publikum nicht körperlich anwesend, sondern medial dazu geschaltet ist?
- Wie unterscheidet sich das Lernen von Bewegungen über Video von der Vermittlung durch einen anwesenden Körper?
- Welche Zusammenhänge zwischen medialer und physischer Präsenz lassen sich entdecken?
- Wie werden durch neue Medien andere Wahrnehmungs- und Bewegungsräume geschaffen?
Konkret lassen sich Medien u.a. zu folgenden Zwecken im Tanzunterricht einsetzen:
- Dokumentation: Notation, Aufzeichnung, Konservierung, Archivierung von Bewegung
- Reflexion: Analyse, Korrektur, Normierung von Bewegung
- Recherche: Bewegungsstile kontextualisieren
- Distribution, Vernetzung: mehrere (Aufführungs-)Orte simultan verschalten
- Mediale Verfahren: Rahmung, Blicklenkung, Montage bzgl. Bewegung
- Strukturierung: Regelwerk, Score, Inspiration für Bewegung
- Rahmengebung: Relation Performer/Publikum, Rollenwechsel, Co-Creation
Plädoyer
Zeitgemäßer Tanzunterricht, der den Herausforderungen einer Gesellschaft begegnet, die durch mobile digitale Medien grundlegend strukturiert ist, erfordert die
Integration von Medienwissen und Medienpraxis in die Ausbildung von Tanzvermittelnden. Der Einsatz von Medien sollte dabei mit einem Medienverständnis verbunden werden, das mit der Bezeichnung Medien nicht nur eine technische Apparatur sowie Aufzeichnungs- und Archivierungsprozesse meint, sondern in die kulturelle Praxis auch Verfahren der Sichtbarmachung (z.B. von bestimmten Körperbildern) einbezieht. Mittels praktischer und theoretischer medienwissenschaftlicher Kompetenzvermittlung in der Tanzausbildung wird verdeutlicht, dass Tanz in jeglicher Form immer die Anwendung einer Technik bedeutet – z.B. das Abrufen einer im Körpergedächtnis abgespeicherten Tanztechnik oder einer choreographierten Bewegungsabfolge.
Daneben bedient sich der Tanz medialer Techniken und Technologien, um die kreativen Möglichkeiten des Körpers in Raum und Zeit zu erweitern (Evert 2003).
Digitale Medien bringen eigene Machtformationen mit sich, mit denen sich Tanzvermittelnde auseinandersetzen müssen. Bedingt durch die Allgegenwart digitaler Medien – ob in privater Kommunikation oder öffentlicher Videoüberwachung – verändert sich der Blick auf sich bewegende Körper, deren Bewegungsgewohnheiten und die soziale Bewegungsordnung (Klein 2012). Spezifische Techniken der Codierung sowie der Sichtbarmachung und Lesbarkeit im Produktions- und Rezeptionsprozess müssen erlernt werden – und sollten im Unterricht entsprechend auch Gegenstand sein. Im Tanzunterricht erfahren Studierende wie auch Schülerinnen und Schüler, dass Medien wie auch Bewegungen durch bestimmte Techniken Wirklichkeit produzieren. Wirklichkeitswahrnehmung und Wirklichkeitskonstitution bilden einen wechselseitigen Prozess, der im Umgang mit Medien im Alltag, in künstlerischen Prozessen wie in Lernsituationen immer zusammen gedacht werden muss.
Die produktive Auseinandersetzung mit digitalen Medien in Form eines post-digitalen Umgangs (Negroponte 1998) bedeutet, den Körper als technisches Medium in einem Ensemble anderer Medien zu begreifen, dessen Relationen sich analysieren lassen und aus denen sich spezifische Ästhetiken ableiten lassen. Im Sinne einer medienübergreifenden Tanzvermittlung zu arbeiten, bedeutet damit, eine technikzentrierte Perspektive in dem Sinne einzunehmen, dass das Wechselspiel technischer (Körper-)Medien reflektiert und diese wie selbstverständlich in ein Ensemble der Medienpraktiken des Tanzes einbezogen werden.
Literaturhinweise
- Alkemeyer, Thomas et al. (Hrsg.) (2009): Ordnung in Bewegung – Choreographien des Sozialen. Körper in Sport, Tanz, Arbeit und Bildung. Bielefeld: transcript.
- Evert, Kerstin (2003): DanceLab. Zeitgenössischer Tanz und Neue Technologien
- Würzburg: Königshausen u. Neumann.
- Klein, Gabriele (2012): „Choreografien des Alltags. Die emergenten Ordnungen der Lebenswelt“. In C. Behrens et al. (Hrsg.), Tanzerfahrung und Welterkenntnis. Jahrbuch Tanzforschung, Bd. 22, (S. 17-34). Leipzig: Henschel.
- Klinge, Antje (2012): Ausbildung im Tanz für Kulturelle Bildung. In H. Bochorst et al. (Hrsg.), Handbuch Kulturelle Bildung (S.882-884). München: Kopaed.
- Luhmann, Niklas (2004): Die Realität der Massenmedien (3.Auflage). Wiesbaden: VS-Verlag für Sozialwissenschaften.
- Negroponte, Nicholas (1998): Beyond Digital
- Weber, Anna-Carolin (2011): „Dialoge zwischen Körper und Kamera“. In Medienconcret – Magazin für die pädagogische Praxis (S. 27–32).
- Weber, A.-C. (2012): „Tanz und Medialität. Anmerkungen zum Vermittlungsverständnis einer intermedialen Tanzpraxis“. In C. Behrens et al. (Hrsg.), Tanzerfahrung und Welterkenntnis. Jahrbuch Tanzforschung, Bd. 22, (S. 108-117). Leipzig: Henschel.
Dieser Text ist zuerst erschienen auf dem Internetportal „Kultur bildet.“ des Deutschen Kulturrates im August 2017.