Musikpädagogische Weiterbildung in der digitalen Gesellschaft

Raum zum Experimentieren, Zeit und Ruhe, um Neues zu erproben, Begegnungen für kollegialen Austausch, eine intensive Verknüpfung von Theorie und Praxis – das sind die Eckpfeiler musikpädagogischer Weiterbildung.

 

In den vergangenen mehr als 40 Jahren haben wir in diesem Feld viele Veränderungen erlebt – keine war so groß und keine stellt uns konzeptionell vor eine so große neue Herausforderung wie die Digitalisierung. Alle, die als Lehrende, Unterrichtende, als pädagogische Fachkräfte mit jungen Amateurmusikerinnen und Amateurmusikern arbeiten, erleben mit dem Einzug medialer Technologien und digitaler Geräte, neuer Programme und Anwendungen einen totalen Wandel sowohl im Hören und Konsumieren wie auch im Gestalten und Produzieren von Musik. Die Bundesakademie für musikalische Jugendbildung steht als Weiterbildungseinrichtung vor dieser Herausforderung. Wir machen Angebote für musikpädagogisch arbeitende Menschen in Musikschulen, Schulen, Vereinen, Kirchen, Kindertagesstätten und freier Arbeit. Sie wollen wir mit aktuellem Wissen für ihre Praxis ausstatten. Dazu gehören in Bezug auf das Arbeiten mit digitalen Medientechnologien technisches Wissen, didaktisches Handwerkszeug und konzeptionelle Kompetenz, mit der sie ihr Tun zukunftsfähig gestalten können. Denn wo sich Lebenswelten so massiv verändern, muss Weiterbildung reagieren. Ihre Aufgabe ist es, die Lehrenden und pädagogisch Tätigen zu befähigen, den Wandel aktiv zu begleiten, zu unterstützen, mitzugestalten und daran teilzuhaben. Diese Aufgabe haben andere Fachdisziplinen ebenso. Worin bestehen aber die besonderen Herausforderungen und die Chancen der Digitalisierung für die musikpädagogische Weiterbildung?

 

Zwischen digitalem Defizit und Zukunftsmusik – Wie digital ist die musikpädagogische Weiterbildung?
Die Digitalisierung kommt nicht erst auf die Musikpädagogik zu, Musik und Musikpädagogik sind bereits mittendrin im digitalen Wandel. Zwar ist das Smartphone in der Hand und am Ohr der Jugendlichen schon längst zum augenfälligen Abbild einer digitalisierten Gesellschaft und Jugendkultur geworden, aber Digitalisierung ist vielmehr als das „digitale Endgerät“. Es gibt unzählige Möglichkeiten im vernetzten World Wide Web, es gibt Programme, mit denen Musik in vielfältiger Weise produziert und bearbeitet werden kann, es gibt Apps, Kompositionstools, Lernmedien, digitales Instrumentarium, Experimentiertools, Produktionsgeräte und vieles mehr. Wie vertraut musikpädagogisch arbeitende Fachkräfte mit diesen Möglichkeiten sind und ob und wie sie diese in ihrem Unterricht oder ihrer Arbeit mit Jugendlichen einsetzen, ist sehr unterschiedlich und hängt sowohl von der musikalischen Sparte, der technischen Ausstattung, als auch von den persönlichen

Vorlieben ab. So lässt sich nicht pauschal sagen, dass es im musikpädagogischen Bereich grundsätzlich ein digitales Defizit gebe, wie immer wieder beklagt wird. Die Arbeit im Jazz/Pop- oder im kompositorischen Bereich etwa ist sehr intensiv und schon seit jeher von digitalen Medien geprägt. Eine Entwicklung, die mit der Digitalisierung der Aufnahmetechnik begann und sich in der Komposition am Computer fortsetzt.

 

Die Herausforderung in der Weiterbildung besteht dann nicht darin, zu fragen: Sind hier Medienschaffende oder Musikerinnen und Musiker am Werk? Ihre Herausforderung besteht darin, zu erkennen, wie über diese Zugänge Kompetenzen erworben werden, wie über die musikalische Gestaltung eine Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Fragen gelingt, wie Teilhabe in diesem Feld gestaltet werden kann. Diese Auseinandersetzung zu begleiten, den Lehrenden darin Sicherheit zu geben, Potenziale zu erkennen und das fachliche Wissen dazu zu vermitteln, das ist die Aufgabe musikpädagogischer Weiterbildung. Wir beobachten in unserer Weiterbildungseinrichtung im Großen und Ganzen drei Gruppen: Die, die in ihrer Arbeit digitale Möglichkeiten voll ausschöpfen und nahezu auf ein analoges Instrumentarium verzichten. Die, die hin und wieder Technologien oder Anwendungen in ihrem Unterricht einsetzen. Und schließlich die, die nichts dergleichen tun (wollen) und auf die traditionelle analoge Musikvermittlung setzen. Sie alle muss die musikpädagogische Weiterbildung erreichen.

 

Analog und digital im Dialog – Wie gelingt digitaler Kompetenzerwerb?
Um welche Kompetenzen geht es also? Was kann und muss eine Weiterbildungseinrichtung vermitteln, damit die musikpädagogische Arbeit die Jugendlichen in ihrer zunehmend digital geprägten Lebenswelt auch weiterhin erreicht? Zuallererst geht es natürlich um grundlegende Kompetenzen in Bezug auf die technischen Möglichkeiten. Um das Wissen bezüglich der Möglichkeiten, die Software, Apps und andere Tools bieten. Zum Zweiten geht es um den Kompetenzerwerb in Bezug auf die eigene musikpädagogische Arbeit, den Einsatz der Medien und Hilfsmittel im Unterricht, didaktische Methoden, die Chancen durch eine kostengünstige Technik. Und schließlich ermöglichen wir in der Weiterbildung eigene Partizipationserfahrungen an Kreativtools, die die Lernenden selbst für ihre Weiterbildung nutzen wie Lernmedien, E-Learning, Online-Foren zum Austausch und anderes, was den eigenen Bildungsprozess unterstützt und erleichtert.

 

Eine Weiterbildungseinrichtung hat die Aufgabe, die unterschiedlichen Voraussetzungen, mit denen die Lernenden kommen, zu berücksichtigen und miteinander ins Gespräch zu bringen. Sie muss individuelle Bedarfe erkennen und unterstützen, aber auch persönliche Befindlichkeiten und Ängste berücksichtigen und ernst nehmen. Bei allem vorausschauenden und in die Zukunft gerichteten Arbeiten bedeutet das eben auch, die Menschen dort abzuholen, wo sie stehen. Damit verbunden ist die Aufgabe, neue Lernumgebungen zu schaffen. So werden zum Beispiel in berufsbegleitenden Weiterbildungen Inhalte digital zur Verfügung gestellt – für ein effektiveres Lernen in der analogen Welt. Werden Weiterbildungsformate in dieser Weise verändert, können Präsenzzeiten intensiver für das persönliche Miteinander genutzt werden, Online-Zeiten als Ergänzung, zur Vor- oder Nachbereitung. Die Aufgabe der Weiterbildungseinrichtungen besteht unbedingt darin, das richtige Maß zwischen analoger und digitaler Arbeit zu finden und auch die Qualitäten beider (!) Welten für die Musikpädagogik herauszustreichen. Dann lassen sich auch Ängste und Hemmungen gegenüber neuen Technologien abbauen.

René Schuh
René Schuh ist Direktor der Bundesakademie für musikalische Jugendbildung Trossingen.
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