„Musik ist lebensrelevant“

Mit Hope@Home hat Daniel Hope eine neue Qualität digitaler Formate etabliert

Die publikumsfreie Intimität führte auch zu einer bemerkenswerten verbalen Kommunikation zwischen Ihnen und Ihren Gästen. Besonders intensiv zu erleben in der Session mit dem irischen Folk-Rock-Musiker Ray Garvey. Sie sind sich am Tag des Konzerts erstmals begegnet – aber es herrschte erkennbar ein tiefgehendes inneres Verständnis. Vor einem großen Live-Publikum hätte es diese intime Intensität wohl nicht gegeben?
Ich gebe Ihnen recht. Tatsächlich haben wir uns erst eine Stunde vor der Sendung persönlich kennengelernt. Ein paar Tage zuvor hatten wir miteinander telefoniert, da merkte ich schon, dass wir auf einer Wellenlänge sind, musikalisch und menschlich. Aber wenn es am Telefon „klickt“, heißt das nicht, dass es live funktioniert, wenn du „nur“ eine Gitarre, eine Stimme und eine Geige hast. Tatsächlich war es so, dass in dem Moment eine Verbundenheit entflammte, die ich inspirierend fand.

 

Das Gleiche passierte mit Simon Rattle. Natürlich kannte ich ihn seit Jahrzehnten von der Bühne, aber wir sind uns nie begegnet. Plötzlich hüpfte er hier die Treppen hoch und sagte: „Nice to meet you, finally.“ 90 Minuten später spielten wir Richard Strauss. Die „Elektrizität“ dieser Begegnungen war wohl auch zu spüren. Vor allem aber waren die Künstler so froh, wieder spielen zu können – mit der Chance, Millionen von Menschen ein Konzert zu geben.

 

Führt die „Hausmusik neuen Typs“ zu der Überlegung, ob man ein traditionell analoges Setting gar nicht mehr braucht? Sind klassische „analoge“ Konzert vor Massen von Zuschauern zukünftig eher die Ausnahme – auch wenn die Corona-Restriktionen irgendwann wegfallen?
Ich hoffe nicht. Es wurde aus der Not geboren, weil ich an die Idee glaubte – und weil ich Musik machen wollte. Aber für mich geht nichts über ein Live-Konzert mit Live-Zuschauern, die physisch anwesend sind. Der Unterschied ist enorm, denn das Gefühl der Verbundenheit mit dem Publikum ist das Schönste, was es gibt.

 

Trotzdem müssen wir uns im Klaren darüber sein, dass ein Großteil unseres Publikums sich noch schwertut, wieder in den Konzertsaal zu gehen – vielleicht selbst dann, wenn es einen Impfstoff gibt.
Wir sollten also die Erfahrungen, die wir jetzt machen konnten mit dem Streaming und dieser anderen Art des Fernsehens, als einen alternativen Pfad der Musikproduktion nutzen.

 

Noch einmal zur Krise als Lernprovokation: Hat sich im letzten halben Jahr Ihr Fundus möglicher Produktionsformen erweitert? Was möchten Sie unbedingt beibehalten?
Ich habe mein Format gefunden, in das ich mich verliebt habe. Von zu Hause mit wunderbaren Freunden und Künstlern Musik und Literatur zu präsentieren, finde ich wunderbar und möchte es in irgendeiner Art und Weise beibehalten. Diese Mischung von hoher Qualität in Audio und Film – ich bin sehr stolz, dass wir es geschafft haben, sogar eine CD von diesen Konzerten herauszubringen, ein Zeitzeugnis.

 

Bei dieser Arbeit habe ich so viel für die Zukunft gelernt. Wichtig war mir, dass man einen Weg finden muss, auch anderen Künstlern dabei zu helfen. Insbesondere jungen Künstlern, die es jetzt viel schwerer haben, weil die Veranstalter nicht unbedingt bereit sind, auf jemand Neues zu setzen und eher auf Sicherheit gehen. Jeder von uns etablierten Künstlern sollte quasi als Mentor dafür kämpfen, dass junge Künstler die Chance bekommen, ihre Botschaft über das Internet zu tragen. Wie etwa Barbara Hannigan, die wunderbare Sängerin und Dirigentin, die eine Streaming-Plattform für junge Künstler eingerichtet hat.

 

Die Digitalisierung als Reaktion auf Corona hat einen Nerv getroffen. Dass Musik in diesem gesellschaftlichen Wandel eine Rolle spielt, ist wichtig. Wir müssen nicht nur zeigen, dass wir als Musiker systemrelevant sind – Musik ist lebensrelevant.

 

Befördern Online-Formate Protagonisten neuen Typs? Sie sind nicht nur Musiker, sondern als Buchautor auch verbaler Erzähler, Sie moderieren Radiosendungen. Die Summe dieser Fähigkeiten hat vermutlich zur Attraktivität von „Hope@Home“ beigetragen. Wird ein solcher „Mix“ im Online-Zeitalter wichtiger – im Vergleich zur klassischen Rollenverteilung?
Sehr wahrscheinlich. Gerade komme ich von der Hope Academy auf Schloss Neuhardenberg zurück, bei der wir einmal im Jahr intensiv Nachwuchskünstler coachen. Im Mittelpunkt steht natürlich die Beherrschung des Instruments, und es gab täglich mehrere Stunden Meisterkurse. Zusätzlich aber geht es um neue Medien, um den Aufbau einer Karriere, um Social Media, um Aufnahmen, um das Schauen über den Tellerrand. Ich bin absolut überzeugt, dass die Künstler von morgen das beherrschen müssen, wenn er oder sie sich in einer Welt behaupten möchte, die immer dichter und schwieriger wird.

 

Unter den klassischen Kollegen schreckte man bisher vor der Technologie eher zurück. Es ging „nur“ um die Musik. Ich respektiere eine solche Haltung. Aber es muss in unser aller Interesse sein, die klassische Musik aufrechtzuhalten. Um das zu ermöglichen, müssen wir vieles neu lernen.

 

Vielen Dank.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 10/2020.

Daniel Hope & Hans Jessen
Daniel Hope ist Violinist, Autor und Moderator. Hans Jessen ist freier Publizist und ehemaliger ARD-Hauptstadtkorrespondent.
Vorheriger Artikel„Am Beginn stand die Entscheidung, im Netz zu monetisieren“
Nächster Artikel„Der Mensch steht im Mittelpunkt – und nicht die Technologie“