Vor über 13 Jahren begrüßte die Berliner Philharmonie in ihrer Digital Concert Hall zum ersten Mal auch online Gäste. Heute ist sie nicht nur Pionierprojekt, sondern auch Erfolgsmodell und Best Practice dafür, wie Kultur im Netz erfolgreich monetisiert werden kann. Theresa Brüheim spricht mit Olaf Maninger über den Weg dahin.
Theresa Brüheim: Herr Maninger, zu Beginn ein Geständnis, ich war noch nicht zu Gast in der Digital Concert Hall der Berliner Philharmoniker. Was erwartet mich bzw. die anderen Besucherinnen und Besucher, denen es ebenso geht?
Olaf Maninger: Die Digital Concert Hall ist seit 13 Jahren ein digitales Abbild der analogen Konzerte der Berliner Philharmoniker in jeder Spielzeit. Jedes Programm, das das Orchester in der Philharmonie spielt, wird zuerst live und dann in einem Re-Run für andere Zeitzonen am nächsten Tag übertragen, sodass man weltweit online und live unsere Konzerte verfolgen kann. Ohne analoges Angebot ist die Digital Concert Hall nicht denkbar. Im Anschluss kommen alle Konzerte ins Archiv der Berliner Philharmoniker und sind für Besucher und Subscriber jederzeit abrufbar – via Computer, Fernseher oder mobilem Endgerät. Man kann die Berliner Philharmoniker durch die Digital Concert Hall überall und jederzeit sehen.
13 Jahre Laufzeit – damit zählt die Digital Concert Hall der Berliner Philharmoniker zu den Pionierangeboten in diesem Bereich. Wie kam es überhaupt zu der Idee?
Wir haben gespürt, dass die klassische Musik und ihre Verbreitung über den Konzertsaal hinaus kein Selbstläufer mehr war. Im Konzertsaal haben wir 2.300 Sitzplätze und die sind zu 98,5 Prozent immer ausverkauft. Aber darüber hinaus wurde die Verbreitung von klassischer Musik schwieriger. Die Major-Labels schlossen keine großen Plattenverträge mit Orchestern und Opernhäusern mehr. Es war nahezu unmöglich, Sendeplätze in den öffentlich-rechtlichen Programmen – bei Hochkultur reden wir nur von den öffentlich-rechtlichen und nicht von den privaten Fernsehsendern – neu zu finden bzw. zu etablieren. Auch die Energie, alte Sendeplätze zu halten, wurde immer größer. Das Orchester hat sich gefragt: Was ist ein gutes Sicherheitsnetz?
Seit über 15 Jahren befasse ich mich als Managing Director der Berliner Philharmoniker mit der Medienverwertung des Orchesters. Da bin ich schnell darauf gekommen, dass es das Beste wäre, jedes Konzert live zu streamen und danach ins Archiv zu stellen, um es auf der ganzen Welt ausspielen zu können. Das Internet war damals relativ neu, die Verbreitungswege und Streamings, wie wir sie heute kennen, waren noch nicht möglich. Aber Idee und Vision standen, sodass wir die Digital Concert Hall sukzessive aufgebaut haben. Zu Beginn haben wir ein automatisiertes Studio in der Philharmonie gebaut und dann zwei Jahre später angefangen, unsere Konzerte live zu streamen. Das war der Starting Point der digitalen Konzerthalle. Heute haben wir die Konzerte der Berliner Philharmoniker der letzten zwölf Jahre im Archiv – weit mehr als 1.500 Werke. Außerdem gibt es Filme über das Orchester und einen riesigen Fundus an Interviews mit allen Künstlern sowie Porträts über die Chefdirigenten, Solisten und Musiker. Das Angebot für die Nutzer ist über die letzten Jahre gewachsen.
Welche Auswirkungen hatte die Corona-Pandemie auf die Digital Concert Hall, da sie ja an das analoge Angebot gekoppelt ist?
Zum Lockdown in Deutschland, am 12. März, mussten wir die analoge Philharmonie, den Konzertsaal, schließen. Natürlich hatten wir die Digital Concert Hall als Fenster in die Welt schon lange etabliert und konnten so einfach die digitale Konzerthalle weiter öffnen. Für einen Monat konnte jeder uns mittels eines Voucher-Codes besuchen. Speziell für diese Zeit haben wir ein Programm konzipiert: zuerst kleine Kammermusikformationen; dann spielten größere Kammermusikformationen. Klimax war das Erste-Mai-Konzert, bei dem unser Chefdirigent Kirill Petrenko auch wieder mit an Bord war – natürlich ohne Zuhörer im Saal, aber mit Live-Orchester mit 22 Musikerinnen und Musikern auf der Bühne.
In der neuen Saison, die am 28. August begonnen hat, sind wieder Zuschauer erlaubt: Von eingangs 460 Zuhörern sind wir aktuell bei 650 und kommen ab November auf eine Schachbrettmusterbelegung, die 1.000 Leute in den Saal lässt. Langsam kommen wir wieder zurück in einen reduzierten Betrieb des Konzertsaals.
Diese Monate des rein digitalen Lebens in der Digital Concert Hall als Schaufenster in die Welt waren natürlich sehr, sehr speziell.
In der Digital Concert Hall kann man ortsunabhängig zu Gast sein – woher kommt das Publikum?
Natürlich ist Deutschland unser Heimatmarkt. Hier wird viel über die Berliner Philharmoniker medial berichtet, hier ist das Orchester zu Hause – das ist ein ganz starkes Feld. Ein weiteres ist Amerika aufgrund der schlichten Größe und Einwohnerzahl. Für uns ist Japan unglaublich wichtig, dort haben wir langjährige Freunde, die sehr treu und begeistert den Berliner Philharmonikern und der klassischen Musik die Stange halten. Aber auch in Korea und Taiwan gibt es viele Fans. Asien überhaupt ist sehr wichtig. Dann kommt Südamerika und erst dann Europa.
Wie ist es respektive gelungen, digitale künstlerische Inhalte erfolgreich zu monetisieren?
Zu Beginn stand vor 13 Jahren die Entscheidung, überhaupt zu monetisieren. Als wir angefangen haben, war die Zeitungs- und Verlagswelt in einer Umbruchphase hin zur Nutzung des digitalen Raums. Man hat alle möglichen Angebote „for free“ ins Internet gestellt. Vieles zielte nur auf Sichtbarkeit, nicht auf Monetarisierung ab. Diese Grundsatzentscheidung war der Beginn unseres Weges: Wir haben gesagt, wenn wir hochqualitative Inhalte produzieren und ins Netz stellen – und die Künstler ihre Rechte dafür geben –, dann muss es in irgendeiner Art und Weise mit Geld honoriert werden. Ansonsten kann man das nicht machen, weil es schlicht und ergreifend viel Geld kostet, solche Inhalte zu erstellen.
Die Digital Concert Hall ist eine Seite von Künstlern für Künstler. Wir sind keine Management-Agentur, wir sind kein Investor, wir sind keine große Company, sondern wir haben es gegründet, wir bauen es. Dadurch haben wir eine natürliche Authentizität. Wir können die Künstler und andere Rechtegeber überzeugen mitzumachen. Von Anfang an hatten wir eine sehr transparente Verteilung der Einkommensströme. Mit dem Gründungspartner Deutsche Bank haben wir das erste Studio finanziert. Von Sony über Panasonic hatten wir Hardware-Partner, die uns beim Aufbau der verschiedenen Fernsehstudios geholfen haben. IIJ unterstützt das Livestreaming. Ohne Partner geht es nicht. Aber alles funktioniert nur, weil wir es in einer Hand authentisch selbst als Künstler betreiben.
Vielen Dank.
Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 10/2020.