Am 18. September 1979 wurde Geschichte geschrieben: Die erste Ars Electronica fand im österreichischen Linz statt. Mehr als 40 Jahre später zählt das Festival für Kunst, Technologie und Gesellschaft zu den wichtigsten seiner Art. Grund dafür ist auch die von Beginn an leitende Frage: Was bedeuten neue Technologien für unser Leben? Schon immer stand der Mensch im Mittelpunkt des künstlerischen Forschens. Theresa Brüheim spricht mit Gerfried Stocker, Medienkünstler, Ingenieur der Nachrichtentechnik und seit 1995 künstlerischer Leiter Ars Electronica, über Corona, Medienkunst, Künstliche Intelligenz und anderes mehr.
Theresa Brüheim: Herr Stocker, vom 9. bis zum 13. September fand die diesjährige Ars Electronica trotz der Corona-Pandemie statt. Dabei stellte das Festival für Kunst, Technologie und Gesellschaft anlässlich der aktuellen Situation schlicht die Frage, was jetzt zu tun ist – wie ist die Antwort ausgefallen?
Gerfried Stocker: Die Antwort wurde durch die große Begeisterung und Beteiligung von ganz vielen Partnereinrichtungen gegeben: Wir müssen gegen die Trennung, gegen die Isolierung, gegen die Fragmentierung unserer Gesellschaft auftreten und alles dafür tun, um in Kommunikation und Austausch zu bleiben – auf lokaler und globaler Ebene. Unser Hauptziel der diesjährigen Ars Electronica war es, Vernetzung, Verbindung, Austausch zu schaffen. Und das hat funktioniert.
Was ist weiterhin von Kunst und Kultur zu tun? Was kann Kunst und Kultur der Gesellschaft an wichtigen Dingen bringen? Es muss jede Gelegenheit genutzt werden, uns zusammenzubringen, uns in Austausch zu halten.
Gehen wir einen Schritt zurück: Welche Auswirkungen hat die Coronakrise bisher auf die Medienkunstszene?
Für die Medienkunstszene gilt, wie für alle anderen Kunstszenen, dass wir in unserer wirtschaftlichen Existenz gefährdet sind. Das trifft große Institutionen, aber viel mehr natürlich kleine Institutionen, einzelne Aktivisten oder Akteure, die in diesem Bereich tätig sind. Gerade der Medienkunstbereich ist auch stärker gefährdet, da er viel dezentraler organisiert ist. Im Medienkunstbereich gibt es – von wenigen großen Einrichtungen wie dem ZKM abgesehen – kaum Institutionen, die eine öffentlich tragende Rolle haben. Der Großteil organisiert sich selbst und ist entsprechend in existenzieller Not. Das ist das eine.
Das andere, positivere ist, dass die Gesellschaft gerade einen Schnellkurs in Digitalisierung bekommt, den man sich sonst nicht hätte vorstellen können. Keine Digitalisierungsoffensive einer Regierung hätte es geschafft, so viele Menschen in so kurzer Zeit in direkten täglichen Kontakt und Gebrauch dieser digitalen Medien so stark zu involvieren. Ohne die Digitalisierung wären wir jetzt völlig abgeschlossen.
Wir merken aber auch, wie weit die Standards dieser Technologie von menschlichen Gewohnheiten und Bedürfnissen entfernt sind. Das betrifft sowohl die Bedienung als auch die gesellschaftliche Kompatibilität und die moralisch-ethischen Aspekte dieser Technologie. Und das ist etwas, wobei Medienkunst seit Anbeginn eine sehr starke Position hat: Sie ist ein Instrument zum Analysieren und kritischen Hinterfragen davon, wie diese Technologie in unser Leben, in unsere Kultur, in unsere Gesellschaft eingeführt wird.
Man merkt, dass nun die Aufmerksamkeit auf die Digitalisierung der Kunst verstärkt wird: Es wird sich zunehmend in vielen klassischen Kunst- und Kulturbereichen mit den Möglichkeiten und Auswirkungen
der Digitalisierung beschäftigt.
Z. B. können Kunstmessen teilweise kein reales Publikum mehr zulassen oder Galerien geben ihre angemieteten Flächen auf und verlagern das Geschäft ins Internet. Das wird die Kunst- und Kulturszene nachhaltig verändern.
Zeichnen sich in der Medienkunst bereits durch die Corona-Pandemie ausgelöste Trends ab? Wenn ja, wie sehen diese aus?
Es wäre zu voreilig, jetzt von künstlerischen Trends zu sprechen. Aber das, was sich natürlich abzeichnet, ist, wie wir es bei dem Ars Electronica Festival gesehen haben, die massiv gestiegene Bereitschaft und das erhöhte Interesse, das Internet und die digitalen Medien auch als kulturellen Veranstaltungsort einzusetzen. In Summe waren es über 180 Partnerprojekte und Institutionen, die alle mit eigenen Projekten, Initiativen und Budgets ein globales Netzwerkfestival mit uns gemeinsam veranstaltet haben. Das wäre vor Corona schlichtweg nicht möglich gewesen. Daraus lässt sich das Potenzial der Dynamik erkennen. Aber wie weit das künstlerische Ausdrucksformen hervorbringt, da sollte man nicht zu schnell spekulativ werden. Es braucht mehr Zeit, bis sich künstlerische Praktiken herausbilden.
Aber was ganz klar ist: Über das Netz ist man näher zusammengerückt. Der Austausch und die Solidarität untereinander sind gestiegen.
Das Digitale wird immer selbständiger: Wie ist es um den Einsatz von Künstlerischer Intelligenz (KI) und Machine Learning in der Kultur bestellt?
Das ist ein starker Trend, der sich seit zwei, drei Jahren zunehmend abzeichnet. In der Künstlerschaft gibt es ein sehr großes Interesse daran – über die Medienkunst hinaus auch im Bereich der Malerei und der Musik.
Dabei muss man allerdings etwas vorsichtiger sein. Man sagt einfach, das ist Kunst und KI. Aber was versteht man genau unter KI? Der Großteil dessen, was unter dem „Umbrella“ KI läuft, sind Werkzeuge, die KI-unterstützt Dinge tun können, die es vorher schon gegeben hat. Z. B. gibt es KI, die die Bildverarbeitung bzw. -manipulation mit neueren Effekten, höherer Geschwindigkeit und größerer Effizienz umsetzt. Oder die Texte automatisch generiert. Aber das ist nichts Neues. Neu sind nur die leichtere Verfügbarkeit und die höhere Qualität. Wirklich neu ist, dass Künstlerinnen und Künstler immer mehr sehen, dass das ein Co-Creation-Prozess ist. Sprich, dass es nicht darum geht, dass KI die Arbeit des Künstlers ersetzt, sondern dass es Werkzeug ist, das den eigenen Prozess des Schaffens, der Kreativität, des Entwickelns, des Ausarbeitens von Projekten massiv unterstützen kann.
Zudem gibt es eine große „Abteilung“ der Medienkunst, die sich besonders auf die gesellschaftliche, kulturelle Bedeutung dessen bezieht, was passiert, wenn wir autonome oder teilautonome digitale Systeme in unser Leben, in unsere Gesellschaft einführen. Hier sei z. B. Lauren Lee McCarthy genannt, die sich seit vielen Jahren in formativen Installationen damit beschäftigt, was es bedeutet, wenn wir mit digitalen Assistenten zusammenleben. Sie stellt unter anderen die Frage: Was passiert, wenn wir Handlungsspielräume und Verantwortlichkeiten an digitale Assistenten übertragen? Das ist spannend, weil so ein Diskurs in die Gesellschaft gebracht wird, den die Wissenschaft so nicht installieren oder initiieren könnte.