„Musik ist lebensrelevant“

Mit Hope@Home hat Daniel Hope eine neue Qualität digitaler Formate etabliert

Seit Beginn des Lockdowns bis zum 26. April stiftete der Violinist Daniel Hope täglich Hoffnung durch Musik – und zwar direkt zu Hause bei den Zuschauerinnen und Zuschauern der Online-Reihe Hope@Home. Hans Jessen spricht mit ihm über das Format – und über den Wandel hin zu einem neuen, digital affinen Musikertypus.

 

Hans Jessen: Herr Hope, als klassischer Solo-Violinist sind Sie seit Jahrzehnten in allen großen Konzertsälen der Welt zu Hause, spielen vor großem Publikum. Corona machte diese Konzertform von einem auf den anderen Tag unmöglich. Wie lange hat es gedauert, bis Sie diesen abrupten Stopp realisiert haben?
Daniel Hope: Ich kam von einer ausgedehnten Tournee als musikalischer Direktor mit dem Züricher Kammerorchester zurück. Jeden Abend haben wir vor vollen Häusern gespielt, wir waren mitten im Tourneefieber. Es gab damals noch keinen Lockdown, aber Gerüchte, dass er kommen könnte. Für uns war dies völlig undenkbar.

 

Ich fuhr jedenfalls nach Hause, um meine Familie abzuholen, für ein großes Festival auf Rügen, das wir seit Jahren vorbereitet hatten. Als wir losfahren wollten – das Auto war bereits gepackt –, klingelte das Telefon, und mein Manager sagte: „Du kannst bleiben, wo du bist.“ Mir war schnell klar, dass es nicht bei der einen Absage bleiben würde, dass es eine sehr ernste Situation war, nicht nur beruflich, sondern generell. Dann begann die Absagewelle: 70 Konzerte haben sich innerhalb von zwei Tagen in Luft aufgelöst.

 

Krisen erzeugen Entscheidungsdruck. Sie haben schnell reagiert und Ihre Privatwohnung in Berlin zum Ort gemeinsamen Musizierens mit Gästen gemacht. Diese „Sessions“ wurden von ARTE live online gestellt. Titel „Hope@Home“. Was war zuerst da: Dieses schöne doppeldeutige Wortspiel mit Ihrem Namen, der auf Deutsch „Hoffnung“ bedeutet, oder die Idee des Digitalkonzerts, die dann einen Titel suchte und fand?
Die Idee. Während der Tournee, die ich eingangs erwähnte, traf ich Wolfgang Bergmann, den Chef von ARTE/ZDF Deutschland. Der fragte mich am Rande eines Gesprächs: „Was würdest du eigentlich tun, wenn es zum Lockdown kommt?“ Ich sagte – halb im Scherz: „Vielleicht mache ich ein Fernsehstudio aus meinem Wohnzimmer.“ Wir haben beide gelacht. Drei Wochen später rief er mich an: „Möchtest du das immer noch machen?“ Und so ging es los. Innerhalb von 24 Stunden stand ein Produktionsteam bei uns. Aber wir hatten noch keinen Titel. Ich fragte meine Frau: „Was meinst du, wie sollen wir es nennen?“ Sie sagte, wie aus der Pistole geschossen: „Hope@Home – darum geht es doch.“

 

Die zweite Bedeutung „Hoffnung“ wurde erst allmählich klar. Wir sendeten jeden Tag ein Konzert und merkten an den Reaktionen, dass das Erlebnis dieser Musik den Menschen tatsächlich Hoffnung gab.

 

Meine Idee anfangs war, die Idee des Hauskonzerts zu rekonstruieren. Aber ein Hauskonzert wird durch die Gäste definiert, die man unterhält – allerdings durften wir kein Publikum vor Ort haben. So sagte ich: Dann machen wir es mit musikalischen Gästen. Ich habe telefoniert und befreundete Musiker gefragt, ob sie Lust hätten, vorbeizukommen und etwas zu spielen.

 

Viele – auch professionelle – Musiker haben in der Corona-Zwangspause „Hausmusik“ gemacht und ins Netz gestellt, aber kaum jemand hat die Möglichkeiten digitaler Produktionstechnik so konsequent wie Sie genutzt, um die Intimität eines Ortes mit der Qualität eines großen öffentlichen Auftritts zu verbinden. Welche Philosophie steckt dahinter?
In den ersten zwei Wochen des Lockdowns habe ich mir viele Streams im Internet angeschaut. Auf der ganzen Welt haben Menschen auf Balkons, in Küchen oder Garagen Musik gespielt und ins Netz gestellt. Es war wunderbar, eine richtige Euphorie. Aber nach ein paar Tagen fing es an, mich zu stören, dass die Streams oft nicht gut klangen. Sie wurden mit dem Handy oder über Zoom-Lautsprecher aufgenommen. Bei klassischer Musik ist jedoch das Hören das A und O. Wir Musiker leben für den Klang.

 

Als dann Wolfgang Bergmann anrief und sagte: „Du kannst es machen. Aber es muss sofort sein“, antwortete ich: „Ich bin deiner Meinung – aber es muss klingen wie in einem Konzertsaal.“ Er fragte: „Wie soll das gehen? Mehr als einen normalen Ton kann ich dir nicht anbieten.“ Zum Glück kannte ich einen der Geschäftsführer des Teldex Studios Berlin gut, ein wunderbarer Tonmeister. Er kam mit seinen Mikrofonen in mein Wohnzimmer und meinte: „Das kriegen wir hin.“ Erst dann habe ich endgültig zugesagt. Noch ein Stream mit „Homemade Sound“ wäre bei klassischer Musik nicht nötig gewesen. Dazu kam, dass der Produzent und Regisseur von Kobalt Media, die die Konzerte gefilmt haben, und ich uns sofort einig waren, welchen „Look“ es haben sollte. Eine optisch festliche Gestaltung. Wir haben es zelebriert wie ein Konzert. Wir haben eine Art „Benchmark“ etabliert, darauf sind wir bis heute stolz.

 

Sie haben in die Wohnzimmerkonzerte auch Videos integriert, die Ihnen von Zuschauern geschickt wurden – von der sehr jungen Klavierschülerin bis zum Violin-Pop-Star David Garrett. Das sind Elemente, die nur in einem solchen Online-Format gehen. War das Konzept oder Zufall?
Ehrlich gesagt: Es gab nie ein Konzept. Dafür hatten wir gar keine Zeit. Das Schöne und Geniale bei „Hope@Home“ war die Ansage von Wolfgang Bergmann: „Wir starten morgen.“ Ich sagte: „Ok, mache ich. Aber ich muss allein entscheiden können, was ich tue, was ich spiele und mit wem.“
Dann kamen so viele Reaktionen, so viele Videos, dass ich spontan fragte: „Warum bauen wir das nicht ein?“ Es hat funktioniert, und daraus wurde ein Konzept – aber im Prinzip war alles „Learning by doing“.

 

Schnell waren die Wohnzimmerkonzerte keine reinen Klassik-Events mehr, sondern Begegnungen mit Musikern anderer Genres – von Max Raabe über den Jazz-Trompeter Till Brönner bis zum Rammstein-Musiker Flake Lorenz. Hat die radikale Privatheit des Ambientes solche „Grenzüberschreitungen“ erleichtert?
Ich hatte schon immer großen Respekt vor Künstlern anderer Genres und auch Lust, etwas gemeinsam zu machen. Tatsächlich war und ist es mein Traum, dies zusammenzubringen und einem großen Publikum zugänglich zu machen.

 

Wir hatten einfach großes Glück, dass wir es mit einer solchen Freiheit machen konnten. Alles war erlaubt innerhalb unserer 30 bis 40 Minuten Zeit. Es waren Experimente, auch für mich. Als der Schauspieler Ulrich Tukur zu Gast war, sagte er: „Ok, ich spiele Klavier – aber nur, wenn du etwas liest.“ Eine halbe Stunde bevor es losging, haben wir uns auf „Godot“ festgelegt. Dass ein so großartiger Schauspieler sich getraut hat, live vor der Kamera mit einem Dilettanten wie mir eins der größten Werke der Literatur zu lesen – für mich war das unfassbar. Das Format lebte von der Kreativität innerhalb dieser vier Wände. Diese Spontanität hat in meinem Kopf, aber wohl auch bei Kollegen, eine Art „Reset“ auf das Wesentliche bewirkt.

Daniel Hope & Hans Jessen
Daniel Hope ist Violinist, Autor und Moderator. Hans Jessen ist freier Publizist und ehemaliger ARD-Hauptstadtkorrespondent.
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