Und weiter geht’s

Ferenc Csák über die nächsten Schritte bei Chemnitz 2025

Können Sie bestätigen, dass sich rund um die Bewerbungen als Kulturhauptstadt Europas immer wieder die gleichen Leute, z. B. in der Funktion als Berater, treffen?

Um das zu beurteilen, müssen wir kurz zurückblicken: Vor 2010 waren die Städte in einem nationalen Verfahren ausgewählt worden. Das gilt auch für Essen und Pécs. Das unterlag immer dem Verdacht einer politischen Einflussnahme. Weil europäische Dimension und Bürgerbeteiligung eine immer wichtigere und größere Rolle spielten, ordnete die Europäische Kommission schließlich das Auswahlverfahren nach 2010 neu. Seitdem urteilen über die Titelvergabe zehn auf drei Jahre bestellte internationale Juroren plus zwei benannte Jury-Mitglieder der jeweiligen Nationalstaaten. Durch diese Zusammensetzung sind große Fachkenntnis und Expertise in die Auswahljury gekommen. Verschiedene Organe der EU benennen die Jury-Mitglieder aus einem Expertenpool, also Persönlichkeiten, die in Kulturmanagement, Programmentwicklung, Nachhaltigkeit usw. Expertise aufweisen. Ich finde dieses Verfahren sehr zielführend. Dadurch wird gewährleistet, dass Juroren bestellt werden, die sich fachlich in der Materie auskennen und wissen, welche Ziele die Europäische Kommission mit der Titelvergabe verfolgt. Keine Kommune kann die Bedeutung und die wahre Intention, die die Kommission mit der Titelvergabe bezweckt, auf Anhieb allein erkennen. Es sei denn, die Kommune hat schon vorher einmal einen Bewerbungsprozess durchlaufen. Zu 99 Prozent haben wir es aber mit Erstbewerbungen unter den Kommunen zu tun. Deshalb ist Beratung von außen nicht nur empfehlenswert, sondern für die Kommune eine zusätzliche Möglichkeit, „capacity building“ im besten Sinne auch zu betreiben. Kleinere Bewerberstädte wie z. B. Bad Ischl, Kulturhauptstadt 2024, mit weniger als 20.000 Einwohnern müssen sich Unterstützung hinzuholen. Außerdem werden von außenstehenden Experten oft Stärken und Potenziale besser erkannt, die man selbst vielleicht an sich gar nicht wahrnimmt. So eine Beratung ist essenziell. Das ist auch bei anderen Großveranstaltungen wie etwa im Bereich des Sports üblich.

 

Werfen die Vorwürfe einen Schatten auf Chemnitz?

Ich denke nicht. Ausgehend aus der Historie der Bewerbungen der vergangenen Jahre wirft es eher am Ende einen Schatten auf die im Wettbewerb unterlegenen Städte, die versuchen, mit unhaltbaren Vorwürfen gegen die Jury vorzugehen.

 

Der Niederländer Mattijs Maussen, der an Ihrer Chemnitzer Bewerbung mitgearbeitet hat, war früher als Berater für die Kulturhauptstadt 2015 in Pilsen tätig. In Pilsen war Jiří Suchánek der Geschäftsführer der damaligen Kulturhauptstadt-GmbH. Jiří Suchánek hat dann 2017 die Seite gewechselt und ist Jury-Mitglied geworden. Maussen und Suchánek kennen sich also schon seit Langem. Wird man dabei in Beratungs- und Jurytätigkeit nicht zwangsläufig befangen und unfrei?

Nein, nicht zwangsläufig. Alle deutschen Städte hatten sich für den Bewerbungsprozess Berater und Projektleiter engagiert und die Berater kennen sich natürlich auch untereinander. Da gibt es auch personelle Bekanntschaften.

 

Zudem ist Jury-Mitglied Jiří Suchánek Geschäftsführer des Pilsener Kreativwirtschaftszentrum Depo 2015. Und eben dieses Kreativwirtschaftszentrum ist jetzt auch in Aktivitäten bei Chemnitz 2025 eingeplant. Das hat doch den Beigeschmack, dass ein Jury-Mitglied sich hier selbst Vorteile zuschanzt, oder nicht?

Wir haben eine Kooperation mit dem 120 Kilometer entfernten Pilsener Kreativwirtschaftszentrum aufgebaut, weil wir den grenzüberschreitenden Gedanken der Kulturregion Chemnitz auf eine europäische Kulturregion mit Tschechien erweitern wollten. Das war auch Ergebnis der Empfehlung der Jury für die Stadt Chemnitz nach Abschluss der ersten Bewerbungsrunde im Dezember 2019. Aufgrund dieser Juryempfehlung haben wir Kontakte mit tschechischen Städten wie Pilsen, Prag und natürlich Karlovy Vary aufgebaut. Empfohlen war zudem für alle deutschen Bewerberstädte, die Jubiläen des Jahres 2025 auch mit ins Programm einzubeziehen: nämlich 40 Jahre Kulturhauptstadt, 80 Jahre Kriegsende und 35 Jahre friedliche Revolution. Entstanden ist daraus die Idee einer Friedensfahrt: Mitglieder der ehemaligen Kulturhauptstädte werden entlang der Demarkationslinie der sowjetischen und amerikanischen Truppen von Pilsen nach Chemnitz fahren. Eine Station auf dieser Strecke ist das Depo 2015 in Pilsen, nicht mehr und nicht weniger. Unsere damalige Oberbürgermeisterin Barbara Ludwig und Oberbürgermeister Martin Baxa haben das im vergangenen August vereinbart.

 

Der Aspekt der Nachhaltigkeit von Chemnitz 2025 hatte die Jury besonders beeindruckt. Was sind in der langfristigen Nachwirkung Ihre Wünsche und Ziele?

Ganz wesentlich ist, dass Chemnitz 2025 nicht ein einjähriges Feuerwerk wird. Die entstandenen Strukturen sollten fortbestehen und die regionalen und städtischen Institutionen mit europäischen und überregionalen Kontakten in ihren Programmen weiter aufgewertet werden. Chemnitz 2025 wird eine Kulturregion aufbauen, die bis ins Erzgebirge hineinreicht, mitsamt dem Weltkulturerbe auf der tschechischen Seite. Diese Region wird dann auch touristisch noch besser geöffnet und sich bis an die Hauptstadt Prag erstrecken. Es wird regionale Zusammenarbeit stattfinden und die Kommunen werden lernen, gemeinsam europäische Projekte zu planen und zu bewältigen. Das wird auch für die Kreativwirtschaft in der Region nachhaltige Effekte haben. Als Folge von Chemnitz 2025 wird die Stadt mit wichtigen internationalen Partnern besser vernetzt sein. Außerdem wird der Maker-space.eu nachhaltig wirken. Dies ist eine digitale Makerplattform, die über 2025 hinaus bestehen wird, um europäische Macher – aktive Personen der Demokratie – miteinander zu verbinden.

 

Vielen Dank.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 2/2021.

Ferenc Csák & Sven Scherz-Schade
Ferenc Csák ist Kulturbetriebsleiter der Stadt Chemnitz. Sven Scherz-Schade ist freier Journalist und arbeitet unter anderem zu den Themen Kultur und Kulturpolitik für den Hörfunk SWR2.
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