Ferenc Csák & Sven Scherz-Schade - 2. Februar 2021 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Stadtkultur

Und weiter geht’s


Ferenc Csák über die nächsten Schritte bei Chemnitz 2025

Chemnitz wird Europäische Kulturhauptstadt 2025. So hat es die europäische Jury entschieden und nochmals bestätigt, nachdem im vergangenen Dezember Kritik an der Titelvergabe und an personellen Verflechtungen beteiligter Jury-Mitglieder laut wurde. Wie geht es in Chemnitz nun weiter? Was sind die nächsten organisatorischen Schritte? Und wirft der Vorwurf jetzt einen Schatten auf Chemnitz 2025? Ferenc Csák ist Kulturbetriebsleiter der Stadt Chemnitz und Leiter der Chemnitzer Bewerbung um den Titel Europäische Kulturhauptstadt. 2015 kam er nach Chemnitz. Zuvor hatte er aus politischen Gründen die Generaldirektion der Ungarischen Nationalgalerie in Budapest niedergelegt. Ferenc Csák war von 2006 bis 2010 Staatssekretär für Kultur im Ministerium für Bildung und Kultur in Ungarn und in dieser Funktion Regierungsbeauftragter für die Kulturhauptstadt Europas 2010 in Pécs.

 

Sven Scherz-Schade: Herr Csák, in den schwierigen Corona-Zeiten sind auch planerische Vorbereitungen sicherlich nicht ganz einfach. Gibt es für Chemnitz 2025 denn aktuell einen Fahrplan, was jetzt 2021 zu tun ist?

Ferenc Csák: Die Jury hat im November 2020 ihren Bericht veröffentlicht. Dort steht in einem ersten Teil die Begründung für ihre Entscheidung. In einem zweiten Teil werden dort Empfehlungen ausgesprochen, die eine doch recht klare Erwartungshaltung festlegen, was wir zu tun haben. Das wiederum muss sich in insgesamt drei Monitoring-Berichten manifestieren. Den ersten Monitoring-Bericht müssen wir im Oktober 2021 abgeben, den zweiten im Sommer 2023 und den dritten im Herbst 2024. Für dieses Jahr sind die aktuellen Aufgaben, die Managementstrukturen für die Kulturhauptstadt zu etablieren, die Förderung vonseiten des Bundes und des Landes, analog zu der im Bidbook dargestellten Finanzplanung zu sichern, und gleichzeitig die Strukturen in der Region zu festigen. Darüber hinaus müssen auch die großen Flagship-Projekte, also die großen Programmlinien, in ersten Schritten vorbereitet werden.

 

Festigung der Managementstrukturen meint sicherlich, dass man eine Rechtsform finden muss, unter der Chemnitz 2025 zukünftig handelt?

Wir werden eine GmbH gründen, vermutlich noch im ersten Quartal 2021. Die GmbH ist dann eine Tochtergesellschaft der Stadt, wo alle finanziellen und personellen Ressourcen und Kompetenzen gebündelt werden. Die GmbH muss ein politisch unabhängiges Organ sein und auch unabhängig von den Verwaltungsstrukturen der Stadt agieren können. So verlangt es auch die Europäische Kommission. Bislang wurde die Bewerbung um den Titel von der Stadtverwaltung heraus betrieben.

 

Im Bidbook, in dem Ihr Team das Konzept zur Europäischen Kulturhauptstadt formuliert hat, wurden mögliche Geldquellen und Summen benannt, die das Vorhaben finanzieren sollen. Bleibt es dabei?

Es ist jetzt unsere Aufgabe, in den nächsten Monaten die finanzielle Umsetzung des Programms zu sichern. Wir hatten Absichtserklärungen vom Land, der Region und natürlich der Stadt Chemnitz in Form von Stadtratsbeschlüssen. Auch der Bund hatte Unterstützung in Aussicht gestellt. Diese schriftlich zugesagten Mittel werden wir in den nächsten zwei Monaten in eine Finanzplanung überführen. Rund 91 Millionen Euro beträgt das Gesamtbudget. Darin enthalten sind einmal rund 30 Millionen Euro für investive Ausgaben für Infrastruktur, für die im Bidbook dargestellten Interventionsflächen in verschiedenen Stadtteilen, die neu entstehen oder revitalisiert werden. Zum anderen sind darin rund 60 Millionen Euro für die operativen Ausgaben enthalten, das sind Programmentwicklung, Management, Personal, Kommunikation usw. Die investiven Maßnahmen werden von der Stadt durchgeführt. Das operative Budget wird in der GmbH verwaltet. Bund und Land geben je 25 Millionen Euro als Unterstützung für unser Programm, die Stadt beteiligt sich mit insgesamt rund 30 Millionen Euro bei den investiven und Programmmaßnahmen. Unsere Kulturregion steuert rund 6 Millionen Euro zur Programmentwicklung bei, wobei in die Region das Dreifache an Programm­entwicklungsmitteln zurückfließt. Die restlichen Mittel stammen aus Sponsoring, Ticketing, also aus üblichen Einnahmequellen, mit denen ein Kulturhauptstadtprogramm einhergeht. Für die reibungslose Zusammenarbeit mit dem Land Sachsen in den nächsten fünf Jahren etablieren wir gemeinsam eine gefestigte Koordinationsstruktur, die eine gute Ressortkoordination aus der Staatskanzlei heraus für uns gewährleisten kann. In den wichtigen Ressorts, beispielsweise Regionalentwicklung, Kultur und Tourismus oder Europa, Demokratie und Justiz sollten Arbeitsgruppen gegründet werden, die dann in dieser Koordinationsstruktur geleitet werden als Partner für die Stadt Chemnitz und auch für unsere GmbH.

 

Im Dezember wurde ausgehend von Recherchen der Süddeutschen Zeitung die Titelvergabe an Chemnitz kritisiert. Erstmals wurden öffentlich personelle Verflechtungen zwischen Beratertätigkeit und Jury-Mitgliedschaft diskutiert. Waren Sie bei Pécs Kulturhauptstadt Europas 2010 auch in einer Art „Beraterrolle“?

Nein, ich war nicht als Berater tätig. Ich war 2005 Staatssekretär im ungarischen Ministerium für Europäische Angelegenheiten und war damit betraut, die Infrastrukturmaßnahmen für Pécs zu planen. Dann bin ich einige Zeit später in das Ministerium für Bildung und Kultur gewechselt und habe von dort, also auf der staatlichen Regierungsebene als Regierungsbeauftragter, das Programm von Pécs 2010 begleitet.

Können Sie bestätigen, dass sich rund um die Bewerbungen als Kulturhauptstadt Europas immer wieder die gleichen Leute, z. B. in der Funktion als Berater, treffen?

Um das zu beurteilen, müssen wir kurz zurückblicken: Vor 2010 waren die Städte in einem nationalen Verfahren ausgewählt worden. Das gilt auch für Essen und Pécs. Das unterlag immer dem Verdacht einer politischen Einflussnahme. Weil europäische Dimension und Bürgerbeteiligung eine immer wichtigere und größere Rolle spielten, ordnete die Europäische Kommission schließlich das Auswahlverfahren nach 2010 neu. Seitdem urteilen über die Titelvergabe zehn auf drei Jahre bestellte internationale Juroren plus zwei benannte Jury-Mitglieder der jeweiligen Nationalstaaten. Durch diese Zusammensetzung sind große Fachkenntnis und Expertise in die Auswahljury gekommen. Verschiedene Organe der EU benennen die Jury-Mitglieder aus einem Expertenpool, also Persönlichkeiten, die in Kulturmanagement, Programmentwicklung, Nachhaltigkeit usw. Expertise aufweisen. Ich finde dieses Verfahren sehr zielführend. Dadurch wird gewährleistet, dass Juroren bestellt werden, die sich fachlich in der Materie auskennen und wissen, welche Ziele die Europäische Kommission mit der Titelvergabe verfolgt. Keine Kommune kann die Bedeutung und die wahre Intention, die die Kommission mit der Titelvergabe bezweckt, auf Anhieb allein erkennen. Es sei denn, die Kommune hat schon vorher einmal einen Bewerbungsprozess durchlaufen. Zu 99 Prozent haben wir es aber mit Erstbewerbungen unter den Kommunen zu tun. Deshalb ist Beratung von außen nicht nur empfehlenswert, sondern für die Kommune eine zusätzliche Möglichkeit, „capacity building“ im besten Sinne auch zu betreiben. Kleinere Bewerberstädte wie z. B. Bad Ischl, Kulturhauptstadt 2024, mit weniger als 20.000 Einwohnern müssen sich Unterstützung hinzuholen. Außerdem werden von außenstehenden Experten oft Stärken und Potenziale besser erkannt, die man selbst vielleicht an sich gar nicht wahrnimmt. So eine Beratung ist essenziell. Das ist auch bei anderen Großveranstaltungen wie etwa im Bereich des Sports üblich.

 

Werfen die Vorwürfe einen Schatten auf Chemnitz?

Ich denke nicht. Ausgehend aus der Historie der Bewerbungen der vergangenen Jahre wirft es eher am Ende einen Schatten auf die im Wettbewerb unterlegenen Städte, die versuchen, mit unhaltbaren Vorwürfen gegen die Jury vorzugehen.

 

Der Niederländer Mattijs Maussen, der an Ihrer Chemnitzer Bewerbung mitgearbeitet hat, war früher als Berater für die Kulturhauptstadt 2015 in Pilsen tätig. In Pilsen war Jiří Suchánek der Geschäftsführer der damaligen Kulturhauptstadt-GmbH. Jiří Suchánek hat dann 2017 die Seite gewechselt und ist Jury-Mitglied geworden. Maussen und Suchánek kennen sich also schon seit Langem. Wird man dabei in Beratungs- und Jurytätigkeit nicht zwangsläufig befangen und unfrei?

Nein, nicht zwangsläufig. Alle deutschen Städte hatten sich für den Bewerbungsprozess Berater und Projektleiter engagiert und die Berater kennen sich natürlich auch untereinander. Da gibt es auch personelle Bekanntschaften.

 

Zudem ist Jury-Mitglied Jiří Suchánek Geschäftsführer des Pilsener Kreativwirtschaftszentrum Depo 2015. Und eben dieses Kreativwirtschaftszentrum ist jetzt auch in Aktivitäten bei Chemnitz 2025 eingeplant. Das hat doch den Beigeschmack, dass ein Jury-Mitglied sich hier selbst Vorteile zuschanzt, oder nicht?

Wir haben eine Kooperation mit dem 120 Kilometer entfernten Pilsener Kreativwirtschaftszentrum aufgebaut, weil wir den grenzüberschreitenden Gedanken der Kulturregion Chemnitz auf eine europäische Kulturregion mit Tschechien erweitern wollten. Das war auch Ergebnis der Empfehlung der Jury für die Stadt Chemnitz nach Abschluss der ersten Bewerbungsrunde im Dezember 2019. Aufgrund dieser Juryempfehlung haben wir Kontakte mit tschechischen Städten wie Pilsen, Prag und natürlich Karlovy Vary aufgebaut. Empfohlen war zudem für alle deutschen Bewerberstädte, die Jubiläen des Jahres 2025 auch mit ins Programm einzubeziehen: nämlich 40 Jahre Kulturhauptstadt, 80 Jahre Kriegsende und 35 Jahre friedliche Revolution. Entstanden ist daraus die Idee einer Friedensfahrt: Mitglieder der ehemaligen Kulturhauptstädte werden entlang der Demarkationslinie der sowjetischen und amerikanischen Truppen von Pilsen nach Chemnitz fahren. Eine Station auf dieser Strecke ist das Depo 2015 in Pilsen, nicht mehr und nicht weniger. Unsere damalige Oberbürgermeisterin Barbara Ludwig und Oberbürgermeister Martin Baxa haben das im vergangenen August vereinbart.

 

Der Aspekt der Nachhaltigkeit von Chemnitz 2025 hatte die Jury besonders beeindruckt. Was sind in der langfristigen Nachwirkung Ihre Wünsche und Ziele?

Ganz wesentlich ist, dass Chemnitz 2025 nicht ein einjähriges Feuerwerk wird. Die entstandenen Strukturen sollten fortbestehen und die regionalen und städtischen Institutionen mit europäischen und überregionalen Kontakten in ihren Programmen weiter aufgewertet werden. Chemnitz 2025 wird eine Kulturregion aufbauen, die bis ins Erzgebirge hineinreicht, mitsamt dem Weltkulturerbe auf der tschechischen Seite. Diese Region wird dann auch touristisch noch besser geöffnet und sich bis an die Hauptstadt Prag erstrecken. Es wird regionale Zusammenarbeit stattfinden und die Kommunen werden lernen, gemeinsam europäische Projekte zu planen und zu bewältigen. Das wird auch für die Kreativwirtschaft in der Region nachhaltige Effekte haben. Als Folge von Chemnitz 2025 wird die Stadt mit wichtigen internationalen Partnern besser vernetzt sein. Außerdem wird der Maker-space.eu nachhaltig wirken. Dies ist eine digitale Makerplattform, die über 2025 hinaus bestehen wird, um europäische Macher – aktive Personen der Demokratie – miteinander zu verbinden.

 

Vielen Dank.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 2/2021.


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