„Innenstädte müssen Orte des Gemeinwesens sein“

Katrin Göring-Eckardt im Gespräch

Stattdessen wird der Lockdown immer wieder verlängert.

Deswegen müssen wir jetzt alles daran setzen, Pleiten zu verhindern. Und deswegen braucht es endlich unbürokratischere, faire und verständliche Hilfen, die alle Betriebskosten abdecken und einen UnternehmerInnenlohn für Soloselbständige. Inzwischen sind viele Programme zu unübersichtlich. Eine einheitliche Anlaufstelle, die z. B. den Kulturschaffenden die notwendigen Informationen, Beratungen und Hilfen anbietet, würde helfen.

 

Was wollen Sie längerfristig erreichen?

Ich möchte, dass Innenstädte Orte des Gemeinwesens sind. Dass man sie so menschen-, kind- und generationengerecht wie möglich gestaltet. Dass Autos nicht mehr Raum bekommen als Kinder zum Spielen und Erwachsene zum Umhergehen. Es gibt viele interessante Beispiele dafür, dass Stadtentwicklung auch etwas mit Zusammenleben zu tun hat. Auch in strukturschwachen Gegenden und Kleinstädten, wo sich die Leute keine Karte für die Oper in der nächsten Großstadt leisten können. Innenstädte und Ortskerne müssen wieder lebenswertere Orte werden. Darum wollen wir mit einem Städtebau-Notfallfonds die Abwärtsspirale, die mit Leerstand kommt, verhindern; Digitalisierungsideen, die kleinen Läden helfen oder Verkehr ökologisch machen, mit 290 Millionen Euro unterstützen und mehr in die Begrünung von Städten investieren.

 

Aber wieso gemeinsam mit dem Handel und der Gastronomie?

Weil auch sie erkennen, dass wir nur gemeinsam mit Kultur und Politik Innenstädte attraktiv halten können. Ich war erfreut, dass auch diese Verbände sagen: Autofreie Innenstädte sind für uns wichtig. Auch im Handel und der Gastronomie wird in der Krise über die Zukunft nachgedacht.

 

Gegen die Online-Konkurrenz wird der stationäre Handel aber auch in verkehrsberuhigten Innenstädten schwer bestehen können. Wie können, wie sollen die künftig aussehen?

Wohnen, Leben, Arbeiten müssen wieder zusammenpassen. Das Modell ist die Stadt der kurzen Wege wie in Kopenhagen, wo man das Gute am städtischen und ländlichen Leben zusammenbringt und Geschäfte, soziale Einrichtungen und Kultur auch ohne Auto erreichen kann. Ein kleines Beispiel: Man könnte städtische Büchereien auch sonntags öffnen. Die sind ja längst mehr als nur Buchausleihen, sondern Orte der Kultur und der Begegnung. Man könnte Museen für ein breiteres Publikum zugänglicher machen. Wir brauchen mehr Grünflächen, wo Bänke stehen, wo man einfach sein kann und sich trifft. Mit mobiler Kultur und mobilen Angeboten. In manches wird man investieren müssen. Aber ein Spielemobil etwa kostet nicht viel.

 

Ein gewaltiges Problem ist die Explosion der Mieten und Grundstückspreise. Für Familien, Alleinerziehende und Studenten ist das Leben in Großstädten kaum noch bezahlbar. Auch kleinere Geschäfte geben deshalb auf zugunsten großer Ketten. Was wollen Sie dagegen tun?

Wenn man will, dass Menschen in den Innenstädten wohnen und Kultureinrichtungen und Geschäfte erhalten bleiben, müssen wir das Mietrecht ändern und die horrenden Mieten stoppen. Der Gewerbemietbereich ist Wilder Westen. Wir brauchen da endlich eine Reform, nicht nur pandemiebedingte Erleichterungen. Und mit einer neuen Wohnungsgemeinnützigkeit könnte eine Vielzahl bezahlbarer Wohnungen entstehen. Auf der anderen Seite stehen jetzt viele Büros leer, weil die Pandemie gezeigt hat, dass die Mitarbeitenden gar nicht mehr dahin müssen, jedenfalls nicht jeden Tag. Da entsteht eine ganz neue Dynamik. Werden das riesengroße superteure Lofts oder Wohnungen, die bezahlbar sind? Wir müssen eine gute Mischung hinbekommen und dafür sorgen, dass in leer stehende Bürogebäude und Geschäfte soziale Träger, Clubs oder Kulturstätten einziehen. Kommunen können bei der Umwandlung von Büros steuernd eingreifen, über das Baurecht und kommunale Vorkaufsrechte. Kommunen können also mehr tun und besonders wichtige Bereiche sozusagen kuratieren. Das sollten wir stärken.

 

Also Innenstädte wieder als öffentliche Räume, nicht bloße Geschäfts- und Büroviertel?

Wir müssen Stadtplanung neu denken. Wenn wir wollen, dass Menschen wieder in die Innenstädte ziehen, muss man Räume schaffen, wo sie sich auch außerhalb ihrer Wohnungen aufhalten wollen. Wir schlagen neben besserem Schutz von Kultur, mehr Grünflächen und rad- und fußgängerfreundlichen Verkehrskonzepten vor, dass es mehr Vernetzungsinitiativen gibt. Das wird in manchen Städten schon erprobt. Innenstadtkümmerinnen und -kümmerer, die Branchen und Akteure zusammenbringen und unter Einbeziehung der Menschen vor Ort neue innovative Ideen anstoßen.

 

Städte sind in Beton gegossen. Häuser und Straßen lassen sich nicht so schnell verändern.

Im Osten sind im Rahmen eines großen Programms Plattenbauten zurückgebaut worden. Stadtplanerinnen und -planer haben da viel Fantasie, die muss man nutzen. Dafür müssen wir auch Geld in die Hand nehmen und mit den Bewohnerinnen und Bewohnern überlegen, wie sich die Innenstädte entwickeln sollen. Auch die Bauwirtschaft ist längst kreativ. Sie sagt, Beton wird in der Zukunft nicht mehr der Baustoff sein, sondern Holz. Das hat ein riesiges Potenzial für den Klimaschutz.

 

Wie wichtig ist das Kulturleben für eine Stadt?

Wie wichtig es ist, erleben wir umso mehr, seit wir es vermissen. Kultur ist nicht nur eine Beigabe, sie macht uns als Gesellschaft aus und hält uns den Spiegel vor. Dass wir sie zurzeit nur am Bildschirm erleben, ist ein Riesenverlust. Auch dafür müssen wir Räume erhalten und schaffen.

 

Europäische Städte waren oft auf Kirchen ausgerichtet. Welche Rolle spielen Gotteshäuser heute noch in einer weitgehend säkularisierten Gesellschaft?

Sie sind immer noch zentrale Orte der Begegnung. In der einen Kirche wird etwas für die religiöse Erbauung getan, in der anderen etwas für Kultur, in manchen wird Essen an Obdachlose ausgegeben oder es treffen sich Leute dort. Mir ist es wichtig, dass Kirchen schnell wieder geöffnet werden, wenn die Infektionslage es zulässt. Und als Christin hoffe ich, dass Orte des Gebets und des Gottesdienstes bleiben.

 

Vielen Dank.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 2/2021.

Katrin Göring-Eckardt & Ludwig Greven
Katrin Göring-Eckardt ist Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen im Deutschen Bundestag. Ludwig Greven ist freier Journalist.
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