Zwischen Lebenswirklichkeiten und Allmachtsfantasien

Die Staatssicherheit in Film und Fernsehen

 

„Das unsichtbare Visier“ ist nicht nur ein prominentes Serien-Beispiel, sondern war auch ein regelrechter Straßenfeger in der DDR. Woran lag das?
Dafür gab es viele Gründe, z. B. die exotischen Schauplätze der Serie, die man sonst im DDR-Fernsehen selten zu sehen bekam. Und natürlich die Popularität von Armin Mueller-Stahl als Hauptdarsteller. Auch handwerklich und unter Genre-Gesichtspunkten war die Serie keineswegs schlecht gemacht und wurde mit großem Aufwand produziert, wobei sie sich stark an westlichen Vorbildern orientierte. Mit der Hauptfigur Achim Detjen wurde der Versuch unternommen, eine ostdeutsche James-Bond-Figur zu etablieren. Detjen musste allerdings moralisch viel integrer und enthaltsamer auftreten als James Bond selbst. Freizügige Sexbeziehungen mit diversen Frauen kamen für ihn nicht infrage, ebenso exzessiver Alkoholkonsum oder der leichtsinnige Einsatz von Schusswaffen, wie man das von James Bond kennt. Welchen hohen Prestigewert „Das unsichtbare Visier“ für das DDR-Fernsehen hatte, kann man auch an den prominenten Sendeterminen erkennen. Die Serie lief über mehrere Jahre meist an Ostern und Weihnachten als Zwei- oder Dreiteiler und hatte extrem hohe Einschaltquoten, bis Armin Mueller-Stahl als Hauptdarsteller ausgestiegen ist. Er wollte die Rolle nicht mehr spielen und ging kurze Zeit später in den Westen, nachdem er die Resolution gegen die Biermann-Ausbürgerung unterschrieben hatte und in der DDR kaum noch Rollenangebote erhielt. „Das unsichtbare Visier“ wurde fortgesetzt, aber ohne ihn als Zugpferd hat es nicht mehr funktioniert.

 

Wie hat sich die Darstellung der Staatssicherheit in Film und Fernsehen nach der Wende geändert?
In den frühen 1990er Jahren hat es spannende Versuche von ehemaligen DDR-Filmemachern gegeben, die diese Themen bis dahin nicht behandeln konnten. Da sind zum Teil sehr eindringliche Dokumentarfilme entstanden, die bis heute zu den besten Filmen über die Staatssicherheit zählen, wie z. B. „Die verriegelte Zeit“ von Sibylle Schönemann und auch einige interessante Spielfilme wie „Der Tangospieler“ von Roland Gräf. Allerdings waren diese Filme beim Publikum nicht besonders erfolgreich. Es hat eine gewisse Zeit gebraucht, bis das Stasi-Thema bei der filmischen Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit stärker in den Mittelpunkt gerückt ist. In Erfolgsfilmen wie „Sonnenallee“ oder „Goodbye Lenin“ hat die Staatssicherheit noch keine große Rolle gespielt. Dann kam 2006 „Das Leben der Anderen“. Der Film hat den Diskurs nachhaltig verändert, auch weil er international so erfolgreich war. Er führte zu einer Verzahnung von DDR-Geschichte und Staatssicherheit im filmischen Diskurs. Seitdem ist es schwierig geworden, Geschichten über die DDR-Vergangenheit zu erzählen, ohne das Thema „Staatssicherheit“ aufzugreifen. Das ist einerseits durchaus nachvollziehbar, weil es an der Staatssicherheit nichts zu verharmlosen oder zu bagatellisieren gibt. Das war ein schrecklicher Geheimdienst, der das Leben in der DDR geprägt und vielen Menschen massiv geschadet hat. Wenn wir an die DDR-Geschichte aber nur unter dem Gesichtspunkt der Staatssicherheit erinnern, dann entsteht leicht ein schiefes Bild von der damaligen Lebenswirklichkeit. Denn selbstverständlich waren nicht alle Menschen in der DDR oppositionell oder sind aus anderen Gründen mit dem Staat in Konflikt gekommen. Es gab auch die Möglichkeit, ein alltägliches Leben zu führen. Es gab Menschen, die in der DDR gelebt, geliebt und gearbeitet haben, ohne ständig über eine Flucht in den Westen nachzudenken. Ihre Lebensgeschichten sind meines Erachtens genauso erzählenswert, spielen in der filmischen Aufarbeitung der DDR aber selten eine Rolle. Da besteht eine Lücke. In Zukunft wird sich das sicherlich verändern. Die ganzen Stasi-Geschichten, die in den letzten Jahren erzählt wor-den sind, sind zu einem Stereotyp geworden, weil die Stasi meist nur als allmächtiger Geheimdienst inszeniert wird, der in das Leben aller Menschen eingreift.

 

Wie könnte eine differenziertere Auseinandersetzung mit der DDR-Geschichte in Filmen gelingen?
Persönliche Geschichten sollten eine wichtigere Rolle spielen, mit allen dazu gehörenden Ambivalenzen und Widersprüchen. Das ist bislang eher die Ausnahme bei den filmischen Auseinandersetzungen mit der Staatssicherheit. Und das gilt sowohl für die Leute, die Opfer der Staatssicherheit geworden sind, als auch für die Leute, die selber für die Staatssicherheit gearbeitet haben. Dahinter stecken individuelle Biografien, die man nicht auf schwarz oder weiß reduzieren kann. Anhand von ganz konkreten persönlichen Lebensschicksalen kann man sehr viel differenziertere und spannendere Geschichten erzählen. Das hat es im Film auch durchaus schon gegeben. „Barbara“ von Christian Petzold war ein sehr interessanter Versuch. Darin geht es um eine Ärztin, die an ein Krankenhaus strafversetzt wird, nachdem sie einen Ausreiseantrag gestellt hat, und dort von der Staatssicherheit überwacht wird. Sie verliebt sich in einen Kollegen, von dem sie nicht weiß, ob er auch für die Stasi arbeitet.
Oder denken Sie an „Gundermann“ von Andreas Dresen und Laila Stieler. Der Film hat es geschafft, eine ambivalente und komplexe Geschichte über den prominenten Liedermacher Gerhard Gundermann zu erzählen, der über Jahre hinweg Inoffizieller Mitarbeiter der Staatssicherheit war. Aber das war eben nur ein Aspekt seines Lebens. Seine Musik und seine parallele Tätigkeit als Baggerfahrer im Tagebau sind im Film ebenso präsent, ohne dass die IM-Tätigkeit kleingeredet wird.
Da liegt der Schlüssel: Man sollte das Thema Staatssicherheit nicht ignorieren, sondern es in einen größeren Kontext einbetten, in dem die Lebenswirklichkeit der Menschen stärker in den Mittelpunkt rückt und nicht so sehr die Allmachtsfantasien der Staatssicherheit. Denn wir wissen heute, dass die Staatssicherheit zwar einen großen Einfluss hatte, aber so allmächtig, wie sie sich selbst gern inszeniert hat, war sie keineswegs. Sie war auch kein unabhängig operierender Geheimdienst, an dem man allein die ganze Unrechtsgeschichte der DDR nacherzählen kann, sondern Teil des SED-Macht-apparates. Darüber stand die Parteiführung, die das Ministerium angeleitet hat. Das sind Differenzierungen, die in Filmen allzu leicht verschwinden.

 

Vielen Dank.

 

Dieses Interview ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 03/2020.

Andreas Kötzing und Theresa Brüheim
Andreas Kötzing ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Hannah-Arendt-Institut für Totalitarismusforschung und Herausgeber des Buches "Bilder der Allmacht. Die Staatssicherheit in Film und Fernsehen". Theresa Brüheim ist Chefin vom Dienst von Politik & Kultur.
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