Paul und Paula und vieles mehr

Die DEFA-Stiftung sorgt sich um das reiche Filmerbe der DDR

Seit mehr als 22 Jahren gehört die DEFA-Stiftung zu den Einrichtungen der Bundesrepublik, die das deutsche Filmerbe bewahren, pflegen und öffentlich sichtbar machen. Die Gründung dieser Stiftung ging auf eine Forderung vieler ostdeutscher Filmemacherinnen und Filmemacher aus der Zeit um 1990 zurück: Mit ihr sollte gewährleistet werden, dass das umfangreiche Konvolut aus Spiel-, Dokumentar- und Trickfilmen aus den DEFA-Studios möglichst zusammenbleibt und nicht in alle Winde zerstreut wird. Hintergrund war, dass es in den „Wendewirren“ einige Vertriebe aus den alten Bundesländern gab, die sich gern die Rosinen aus dem Filmstock herausgepickt und die Weltrechte daran für lange Zeit gesichert hätten – so wie „Die Mörder sind unter uns“, „Spur der Steine“, „Die Legende von Paul und Paula“ oder die vielen Kinderfilme. Dem sollte vorgebeugt werden, denn eine unproduktive Zersplitterung wäre die Folge gewesen.

 

Weil die DEFA-Filme in einem Volkseigenen Betrieb produziert worden waren, fielen die Rechte zunächst an die Treuhand, also den Staat. Nach vielen Mühen wurde im Dezember 1998 die DEFA-Stiftung aus der Taufe gehoben, der die Bundesrepublik die Filmrechte übertrug. Damit wurde – neben der Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung für Filme vor allem aus der Zeit vor 1945 – eine zweite Filmstiftung mit einem „abgeschlossenen Sammelgebiet“ ins Leben gerufen.

 

Die DEFA-Stiftung verfügt heute über einen Filmstock von etwa 13.500 Filmen, davon rund 730 Spielfilme, 450 Kurzspielfilme, 4.500 Dokumentarfilme und Wochenschauen sowie 850 Trickfilme. Hinzu kommen die DEFA-Synchronisationen, die zwischen 1945 und 1990 entstanden. Als private gemeinnützige Stiftung arbeitet die DEFA-Stiftung eng mit ihren Rechteverwertern zusammen: Die Progress Film GmbH betreibt den Ausschnittdienst und lizensiert Motive aus DEFA-Produktionen weltweit an Produzenten, TV-Anstalten und andere Interessierte. Die Icestorm Media GmbH befasst sich mit der Verwertung der Fernseh-, Synchron- und Nebenrechte sowie der DVD- und Video-on-Demand-Auswertung. Der Kinoverleih liegt in den Händen der Stiftung Deutsche Kinemathek. Alle Verwerter tragen durch Abführungen und Garantiesummen dazu bei, dass die DEFA-Stiftung ihre Verpflichtungen erfüllen kann.

 

Derzeitige Hauptaufgabe der DEFA-Stiftung ist die Digitalisierung des Film­erbes. Angestrebt wird, jährlich etwa 50 DEFA-Filme ins digitale Zeitalter zu „retten“ und sie auf diese Weise wieder ans Publikum zu bringen. Wichtige Unterstützung bietet das im Januar 2019 ins Leben gerufene Digitalisierungsprogramm des Bundes. Zehn Jahre lang wird jährlich eine Summe von 10 Millionen Euro für alle Rechteinhaber und Filmerbeeinrichtungen zur Verfügung stehen, insgesamt also 100 Millionen Euro. Das Programm wird zentral von der Filmförderanstalt verwaltet: Die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, Länder und Filmwirtschaft haben ihre Anteile hier vereinigt.

 

Die DEFA-Stiftung digitalisiert ihre Filme nach verschiedenen Kriterien. Neben kommerziellen Aspekten werden Filme nach kuratorischen Gesichtspunkten ausgewählt, so wenn ein Film historisch bedeutsam, aber nicht unbedingt mehr gewinnbringend ist. Sofern analoges Material zu verfallen droht, greift das konservatorische Kriterium. Wichtigster Partner der Digitalisierung ist das Bundesarchiv. Dort lagern alle DEFA-Filmmaterialien; der Filmstock der DEFA ist zu nahezu 100 Prozent überliefert. Denn von allen Filmen, die in den DEFA-Studios entstanden, mussten Negative und Belegkopien ans Staatliche Filmarchiv der DDR abgegeben werden.

 

Damit sind die Aufgaben der DEFA-Stiftung bei Weitem nicht erschöpft. Das Stiftungsteam kümmert sich um die Zusammenarbeit mit Kinos und Festivals, regt Retrospektiven oder Wiederaufführungen an, pflegt die Kooperation mit Filmhistorikern und anderen Wissenschaftlern, denen es um eine historisch fundierte, kritische Aufarbeitung der ostdeutschen Filmgeschichte geht. Zu den eigenen publizistischen Aktivitäten der DEFA-Stiftung in jüngster Zeit gehören z. B. eine Monografie über den Dokumentarfilmregisseur Volker Koepp und ein Buch über die Regisseurinnen der DEFA mit mehr als 60 Porträts von Filmfrauen der verschiedenen Studios. Die DEFA-Stiftung bringt vier bis fünf Bücher im Jahr heraus, demnächst sollen unter anderem Bände über den Filmregisseur Slatan Dudow, zu Genrefilmen oder zu sorbischen Filmen erscheinen.

 

Hinzu kommen Auszeichnungen, die die DEFA-Stiftung auf ihrer jährlichen Preisverleihung und auf diversen Festivals vergibt. Preise fürs filmkünstlerische Lebenswerk gingen bereits an Regisseure wie Frank Beyer, Egon Günther und Herrmann Zschoche, an Autorinnen wie Helga Schütz oder die Schnittmeisterin Monika Schindler. Für ihre Verdienste um den deutschen Film wurden unter anderem Andreas Dresen, Christian Petzold, Thomas Heise und Tamara Trampe ausgezeichnet. Mit Preisen für junges Kino, die auf Festivals in Schwerin, Dresden, Chemnitz, Leipzig und auf der Berlinale vergeben werden, fördert die Stiftung Regisseurinnen und Regisseure, die am Anfang ihrer Laufbahn stehen. All diese Aktivitäten sind nur möglich, wenn entsprechende Einnahmen generiert werden.

 

Im Großen und Ganzen wird die DEFA-Stiftung in den kommenden Jahren gut von ihren Einnahmen leben können. Allerdings sollten sich alle Beteiligten grundsätzliche Gedanken machen, wie strategisch mit dem deutschen Filmerbe umgegangen wird. Wäre es nicht an der Zeit, im vierten Jahrzehnt nach der Einheit langfristig über eine Art gesamtdeutsche Filmstiftung zu reden? Eine Stiftung, in der nicht nur die DEFA- und die Murnau-Stiftung aufgehen, sondern auch andere Institutionen, bis hin zur Deutschen Kinemathek und dem Filmarchiv im Bundesarchiv. Angesichts der föderalen Struktur der Bundesrepublik ist das ein verwaltungstechnisch hochkomplizierter Vorgang, dem sich momentan niemand aussetzen möchte. Doch ein rechtzeitiges Vordenken wird vonnöten sein, um auch in Zukunft das reiche Filmerbe unseres Landes nicht nur zu verwalten, sondern offensiv und mit klugen Einfällen wachzuhalten.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 03/2020.

Ralf Schenk
Ralf Schenk ist Vorstand der DEFA-Stiftung in Berlin.
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