Vom “Blauen Blitz” zum Landarzt

Walter Plathe im Gespräch

 

1971 begann ihre Karriere auf Bühnen und in Film- und Fernsehstudios der DDR. Das war offenbar eine stetige Aufwärtsbewegung: Theaterstücke, Kino- und Fernsehfilme, Moderation von TV-Unterhaltungsshows. Sie haben Couplets von Otto Reuter vorgetragen– in der DDR waren Sie bald sehr bekannt.
Das hatte, wie so oft im Leben, auch damit zu tun, dass man zur richtigen Zeit dem richtigen Regisseur mit dem richtigen Stoff begegnete. Man kriegte die erste Rolle, wenn man die interessant und glaubwürdig auf Bühne oder Leinwand brachte, kam das nächste Angebot. Ich bin später fest gewechselt in das Fernsehensemble der DDR, aber immer mit der Möglichkeit, mindestens eine oder zwei Inszenierungen pro Jahr am Theater zu spielen, das hatte ich mir ausbedungen. Bis heute sind mir Theater und Film gleich wichtig.

 

1976 wurde Wolf Biermann ausgebürgert, in der Folge verließen viele DDR-Künstler die Republik – Sie nicht. War das für Sie damals überhaupt ein Gedanke?
Nein. 1977 wurde mein Sohn geboren. Ich drehte mit Frank Beyer “Geschlossene Gesellschaft”, ein DDR-Gegenwartsfilm. Der Film verschwand nach mehrfach verschobener Ausstrahlung, die dann zur schlechtesten Sendezeit in tiefer Nacht erfolgte, sofort im “Giftschrank”. Er wurde erst nach 1989 wieder gezeigt. Es war Armin Müller-Stahls letzter DDR-Film, Jutta Hofmann war dabei, sie verließ die DDR nicht. Ich bin sicher in erster Linie wegen der Familie geblieben – aber ich war auch einfach noch nicht soweit.
Biermann kannte ich nicht persönlich, obwohl wir in Berlin nur einen Kilometer voneinander entfernt lebten. Wir wurden damals aufgefordert, Pamphlete für Biermanns Ausbürgerung zu unterzeichnen. Ein Kollege und ich haben etwas Differenzierteres geschrieben und ans schwarze Brett gehängt – das hing da nicht lange.

 

Sie haben die DDR 89 verlassen – ein halbes Jahr vor dem Mauerfall. Nicht aus politischen Gründen, sondern wegen einer neuen Liebe. War das, juristisch gesehen, eine “Republikflucht”?
Ja. Als ich später Einblick in meine Stasi-Akte nahm, war das erste, was ich sah, ein Haftbefehl. Ich hatte wegen Auftritten in Westberlin die Möglichkeit rüber zu fahren – und bin dann einfach geblieben. Ehrlich gesagt: Für eine offizielle Ausreise hätte ich nicht den Mut gehabt. Die Aussicht, zwei, drei Jahre zu Hause zu sitzen, nicht arbeiten zu können – da habe ich lieber alles stehen und liegen gelassen und mit 250 D-Mark ein neues Leben begonnen.

 

Sie sind nach Hamburg gezogen. In der DDR waren Sie ein Schauspieler, den jeder kannte – was waren Sie im Westen?
Ich hatte insofern Glück, als die DDR-Presse mein Weggehen groß rausgebracht hat, was für ein Verräter ich sei. Das hatte zum Effekt – für die DDR zum Defekt – dass jeder Produktionsleiter im Westen mitbekam, dass ich nun drüben war. Dadurch erhielt ich in Hamburg sofort Angebote. Zuvor musste ich in Westberlin das Aufnahmelager durchlaufen. In dieser Zeit habe ich mich bei der Produktionsfirma “Nova” beworben, um z. B. Synchronisation zu machen. Nova gehörte dem legendären Otto Meissner. Der kannte mich, weil er viel DDR-TV gesehen hatte. Meissner stellte mich für 5.000 D-Mark an, sagte aber auch: “Wenn ich Dich brauche, musst Du da sein.” Er brauchte mich sehr bald und sehr schnell – für den “Landarzt”.

 

Die Rolle machte Sie zur nationalen TV-Größe. 17 Jahre lang die Hauptrolle als Landarzt Dr. Ulrich Teschner in der erfolgreichen ZDF-Serie. Hatten Sie das Gefühl: Ich schaffe in meiner Person und meiner Arbeit gerade ein Stück deutsche Einheit?
Es war damals kein bewusstes Gefühl in solchen Worten. Aber auf einer künstlerisch-handwerklichen Ebene war etwas davon doch da. Vor dem Landarzt hatte ich ja auch in “Derrick” oder “Der Alte” gespielt. Ich habe mich von Anfang an darum bemüht, ehemalige DDR-Schauspielerkollegen in die westdeutsche Serienarbeit hinein zu bringen. Dass wir uns in beruflicher Hinsicht sozusagen vermischen. In den frühen Folgen der Serie lässt sich das auch in den Rollenbesetzungen öfters erkennen. Man kann das auch ein Stück praktische deutsche Einheit nennen.

 

Sie werden oft mit dem Attribut “Volksschauspieler” bezeichnet. Akzeptieren Sie diese Bezeichnung? Sie spielen auf Theaterbühnen ja auch klassische Charakterrollen, z. B. im Götz v. Berlichingen. Müssen Sie da beim Publikum gegen die Prägung der Serienfigur anspielen?
Für mich ist “Volksschauspieler” eine Auszeichnung. Sehr große Schauspieler wurden und werden so genannt. Ich hatte auch nie den Eindruck, dass ich beim Theaterpublikum gegen die Serienfigur anspielen müsste. Auch nicht im Theater am Kurfürstendamm, wenn ich im “Blauen Engel” den Professor Unrath gespielt habe. Das Publikum hat nach meinem Eindruck immer die Darstellung akzeptiert.

 

2017 schrieben Sie eine Autobiografie mit dem Titel “Ich habe nichts ausgelassen” – das ist ein lebensumfassendes Motto – wird aber vielfach fokussiert darauf, dass Sie sich zu Ihrer Bisexualität bekannten. 4 langjährige Lebenspartnerschaften – 2 Ehefrauen und 2 Männerbeziehungen. Sie sagten mal: “In der DDR war das akzeptierter als im Westen”.
In der DDR war der Paragraph 175, der Homosexualität unter Strafe stellte, viel früher abgeschafft worden als im Westen. Es fragte niemand danach. Der engste Freundeskreis wusste es und akzeptierte es. Man kann wohl sagen, dass es zumindest im künstlerischen Verband toleranter war als in Westdeutschland.

 

Mittlerweile leben Sie wieder in Berlin, im Scheunenviertel nahe dem Alexanderplatz. Derselbe Kiez, in dem Sie als Kind aufwuchsen. Wenn heute jemand fragt: “Plathe, was bist Du eigentlich – Ostdeutscher oder Westdeutscher?” – Was antworten Sie?
Ich bin Deutscher. Ohne Ost oder West.

 

Das ist ein schönes Schlusswort…
Moment. Eines will ich noch sagen zur Situation von Kunst und Kultur in Zeiten von Corona: Jedes Orchester braucht einen Dirigenten – Wir brauchen eine kompetente “Di-regierung”, die Klarheit schafft, wie es weitergeht. Kunst und Kultur müssen spielen können. Kunst und Kultur sind nicht nur Lebens-mittel und Broterwerb, sie dienten und dienen auch der Aufklärung. Lasst uns die schöne Pflicht der Aufklärung.

 

Vielen Dank.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 06/2020.

Walter Plathe & Hans Jessen
Walter Plathe ist Schauspieler. Hans Jessen ist freier Journalist und ehemaliger ARD-Hauptstadtkorrespondent.
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