Er hat als Kind vor dem Mauerbau zwischen Ost und West geschmuggelt, er ist mit dem Kinder- und Pionierkabarett über die Bildschirme des DDR-Fernsehens geflimmert, er war versessen auf das Schauspielstudium in Berlin-Schöneweide, er wurde später als der “Landarzt” bundesweit bekannt: Das ist nur ein kleiner Auszug aus dem Leben von Walter Plathe. Hans Jessen spricht mit ihm über seine Karriere als Theater- und Fernsehschauspieler vor und nach der Wende.
Hans Jessen: Herr Plathe, Sie sind ein Kind der DDR, geboren 1950, aufgewachsen im Berliner “Scheunenviertel” nahe der Bernauer Straße. Im Zusammenhang mit dem Mauerbau 1961 entstanden dort dramatische Bilder. Sie persönlich haben die Teilung der Stadt – und der Lebensverhältnisse – vor dem Mauerbau in einer ganz eigenen Variante erlebt?
Walter Plathe: Ich habe als Kind gemeinsam mit einem Schulfreund Ost-West Schmuggel betrieben. Das Verhältnis Ostmark:Westmark war damals ungefähr 5:1. Im HO-Laden, den sogenannten “freien Läden” der DDR, kostete ein Hühnchen 5 Ostmark, für 5 getauschte Westmark konnte man also 5 Hühnchen kaufen. Das galt aber nur für DDR-Bürger, man musste den Ausweis vorzeigen. Damit sollte verhindert werden, dass Westberliner im Osten billig einkauften. Diese Regel bereitete allerdings auch einen Nährboden für Schmuggelei. Mein Freund und ich, beide 10, 11 Jahre alt, haben Hühnchen im Schulranzen von Ost nach West geschmuggelt und auf dem Rückweg Zigaretten von West nach Ost. Uns als Kinder haben die Volkspolizisten an den Übergängen nicht angehalten. Die Zigaretten hat meine Mutter im Osten verkauft, da blieben immer noch ein, zwei Schachteln für sie übrig. Wenn man`s genau betrachtet, trage ich ein wenig Mitschuld am Bau der Berliner Mauer …
… die ja auch der Schwächung der DDR-Wirtschaft durch den Westen entgegenwirken sollte. War Ihnen 1961 klar, dass das ein fundamentaler politischer Einschnitt sein würde?
Überhaupt nicht. Die Erwachsenen in meinem Umfeld, bei denen wir Gespräche aufschnappten, meinten alle, das sei ein Spuk, der in ein paar Monaten vorbei wäre. Da gab es keinen, der geglaubt hätte, dass die Mauer 28 Jahre stehen würde. Und ich als Kind glaubte das natürlich auch nicht. Ich dachte, in ein paar Wochen machen wir wieder unserer Schmuggeltouren und gehen ins Westberliner Kino.
Sie waren ein ganz normaler DDR-Junge: Jugendweihe, junger Pionier, Ausbildung zum Fachverkäufer für Zooartikel – aber doch nicht so ganz normal, denn sie sind im Jugendstudio der “Distel” aufgetreten, dem bekannten DDR-Kabarett. Steckte dahinter auch oppositionelles Denken? Oder war es nur Lust auf Bühne?
Es war Lust auf Bühne. In der Schule lernten wir Gedichte, ich hatte immer große Lust, die auch vor der Klasse vorzutragen. Das führte – durch welchen Zufall auch immer – dazu, dass ich in das Ensemble der “Blauen Blitze” eingegliedert wurde. Ein bis zwei Mal im Monat flimmerte dann, Sonntagmorgens um 10, dieses Kinder- und Pionierkabarett des DDR-Fernsehens über den Bildschirm.
War Ihnen damals klar, unter welch heiklen Bedingungen politisches Kabarett in der DDR gemacht wurde?
Nein. Die Themen der “blauen Blitze” waren unser tägliches Schülerleben und das Verhältnis zu unseren Eltern. Es ging nicht annähernd um Kritik am Staat oder dem System. Man hat bei den Texten für uns Kinder auch darauf verzichtet, Kritik an den “Bonner Ultras” (Anm. d. Red.: ideologischer Kampfbegriff für die CDU-geführte Bundesregierung in Bonn) zu üben.
Ab 1968 studierten Sie an der staatlichen Schauspielschule in Berlin. Den Westdeutschen ist ’68 ein Synonym für Jugendrevolte und gesellschaftlichen Aufbruch. Hatte auch ihr ’68 Elemente davon? Die Schauspielschule galt damals als ein Ort zumindest künstlerischer Entwicklungsfreiheit.
Die Zeit an der Schauspielschule in Berlin Schöneweide war die schönste meines Lebens. Wir haben dort gemerkt, mit wie viel Toleranz und Freiheit man leben kann. Es war wie unter einer Käseglocke: Wir konnten sagen, was wir wollten – alles unter dem Begriff “Künstlerische Freiheit”.
`68 haben wir mehr darüber diskutiert, was in Prag passierte als über Dutschke in Westberlin. Die Niederschlagung des Prager Frühlings hat bei uns Unverständnis produziert, aber nicht so weit, dass wir dachten, man müsste sich dagegen auflehnen. So reif waren wir politisch nicht. Außerdem waren wir versessen aufs Studium. Wie junge Wölfe, die sich um die Beute stritten und zerrten. Natürlich wurde über Politik diskutiert, aber das Wichtigste war uns das Erlernen dieses Berufes.