“Was die Zeitungen nicht druckten, brachten wir auf die Bühne”

Die Erfahrungen der Schauspielerin Friederike Brüheim in DDR und BRD

Friederike Brüheim, geboren zu Beginn des Zweiten Weltkrieges und aufgewachsen auf einem Bauernhof nahe Erfurt, kam über Umwege zur Schauspielerei. Sie spielte unter anderem auf Kampnagel in Hamburg, im Berliner Hebbel am Ufer und auch in Sohrab Saless Film “Wechselbalg”. Vor ihren Erfolgen in der BRD standen ungewisse Jahre in der DDR bis zur Genehmigung des Ausreiseantrages. Glücklich war diese Zeit dennoch – vor allem aufgrund ihres Ensembles am Theater Rudolstadt in Thüringen, in dem sie bis zur Ausreise spielte. Theresa Brüheim spricht mit ihrer Großtante über ihre Berufung, ihre (Um-)Wege und den Neustart in der BRD.

 

Theresa Brüheim: Deine Berufung ist das Schauspielen. Dabei bist du erst später im Leben dazu gekommen – zumindest von außen betrachtet.
Friederike Brüheim: Den inneren Wunsch, Schauspielerin zu werden, hatte ich schon mit fünf Jahren. Aber es war ein langer Weg: 1953 – ich war 14 Jahre alt – erhielt ich die offizielle Erlaubnis, das Institut für Lehrerbildung in Weimar besuchen zu dürfen. Ein Jahr blieb ich dort, dann bin ich aus dem zugehörigen Internat ausgebüxt. Mein Vater hat daraufhin mit mir Tacheles geredet: Er war Bauer und durfte Lehrlinge ausbilden. So wurde ich Landwirtschaftslehrling meines Vaters. Mit der Zwangskollektivierung wurden wir Mitglied der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft, der LPG. Daraufhin wurde ich auf eine Fachschule in Dresden delegiert, die Ökonomen für Tätigkeiten in der Verwaltung der LPG, ausbildete. Ich dachte nur, Dresden ist wunderbar: Es ist weit weg vom Bauernhof, es ist eine historische Stadt – wenn auch total zerstört zu der Zeit – und es gibt dort ein tolles Theater. Im letzten Schuljahr bin ich zum Buß- und Bettag nach Hause gefahren. Im Zug saß mir ein älterer Herr gegenüber. Ich wusste sofort: Der hat was mit Theater zu tun. Er war Professor für Bühnenbild an der Hochschule für Bildende Kunst in Dresden. Wir sind ins Gespräch gekommen – über die Faust-Inszenierung. Er hat mich gefragt, ob ich schon mal vorgesprochen hätte, und meinte, wenn ich das nächste Mal nach Hause fahre, solle ich über Leipzig fahren. Er gab mir die Adresse der dortigen Theaterhochschule.

 

Du hast dann an der Leipziger Theaterhochschule Hans Otto vorgesprochen. 1961 wurdest du zur Immatrikulation zugelassen. Wie war das Studium?
Der Druck war sehr hoch. Wir konnten jederzeit geext werden. Zu Beginn waren wir über 30, am Ende nur noch 12. Das Szenestudium von “Die Holländerbraut” von Erwin Strittmatter hat mich gerettet. Ich habe diese Figur geliebt. Sie war mir nicht fremd, denn ich verstand ihre innere und ihre äußere Haltung. Hinzu kam, dass das Stück auf dem Dorf spielte. Durch den Bauernhof kannte ich das Milieu und konnte es einbringen.

 

Strittmatter war ein DDR-Schriftsteller. Habt ihr nur Szenen aus Werken von DDR-Autoren gespielt? Bist du an politische Grenzen im Studium gestoßen?
Nein, wir alles gespielt: Von Stücken der Gegenwartsliteratur über die Klassiker wie Goethe, Schiller und Shakespeare bis hin zu Brecht. Das Theater war in der Zeit wie eine Insel. Wir konnten sagen und zeigen, was hinter dem Text liegt. Und die Menschen haben es verstanden. Was in der Zeitung nicht gedruckt wurde, konnten wir auf die Bühne bringen. Es musste nur eben interpretiert werden.

 

Wie ging es nach dem Abschluss weiter – bist du direkt an ein Theater gegangen?
Damals kamen die Intendanten, Oberspielleiter und Regisseure zu den letzten Szenenstudien. Das Theater Annaberg im Erzgebirge interessierte sich für mich und wurde meine erste Station. Meine erste große Rolle war in “Mein armer Marat”, ein sowjetisches Stück, das während der Belagerung von Leningrad spielt. Ich habe es sehr geliebt. Unser Regisseur hatte sich als Aspirant am Deutschen Theater Berlin beworben. Daher kam Adolf Dresen zur Premiere. Der war damals schon eine Größe. Nach dem Stück kam unser Regisseur in die Garderobe und sagte zu mir: “Beeil dich, Dresen möchte dich sprechen.” Ich habe mich erst geweigert hinzugehen, ich habe mich geschämt. Dresen wollte, dass ich Wolfgang Heinz, dem Schauspieldirektor am Deutschen Theater Berlin, vorspreche. Aus Angst vor einem Nein habe ich das nie gemacht. Ich dachte, dort, wo die großartige Inge Kelle ist, da kann ich doch niemals spielen. Ich habe weitergespielt in Annaberg. Im zweiten Engagementsjahr, 1966, suchte man in Rudolstadt eine Schauspielerin. Der Intendant hat mich engagiert. Das Theater in Rudolstadt war ein Drei-Sparten-Haus. Wir haben von “Um neun an der Achterbahn” über “Emilia Galotti” alles gespielt. In der Zeit bin ich meinem zukünftigen Mann wiederbegegnet – wir kannten uns aus Kindertagen.

 

Dann hast du deinen Sohn bekommen.
Ich habe bis Juni 1970 gespielt. Im September habe ich mein Baby bekommen. Nach einem Vierteljahr musste ich wieder arbeiten, das war das Gesetz. Ich habe mein Kind zu den Proben mitgenommen. Dann wurde ich schwer krank. Mit dem Intendanten habe ich einen Aufhebungsvertrag gemacht. Bis 1974 habe ich dann als Ökonomin gearbeitet, da sich das Schauspielen nicht gut mit der Betreuung meines kleinen Sohnes vereinbaren ließ. Denn das Theater und mein Wohnort waren in verschiedenen Städten.

 

1974 dann der Einschnitt: Dein Mann hat illegal die DDR verlassen.
Für mich bedeutete das, dass ich bei den Behörden vorstellig werden musste. Mir wurde direkt der Personalausweis sowie der Kinderausweis meines Sohnes entzogen. Ich erhielt den Ersatzausweis P12. Mein Sohn war in diesem nicht eingetragen und ich durfte damit nicht ins Sperrgebiet. Zu der Zeit habe ich am Kreisbauamt gearbeitet. Ich war Geheimnisträgerin. Das heißt, ich konnte dort nicht weiterarbeiten. Ich wurde arbeitslos und versuchte, anderweitig unterzukommen, aber wegen meiner Kaderakte war nichts zu machen. Man hat mir nahegelegt, mich sofort von meinem Mann zu trennen, wenn ich eine Zukunft in der DDR haben wollte. Aber für mich war es eine private Entscheidung zu heiraten, also war auch die Entscheidung, mich zu trennen, ebenso privat. Eines Tages habe ich meinen Sohn geschnappt und wir sind nach Rudolstadt gefahren – zu der Zeit lebten wir in Arnstadt. Am Theater hat man mir sofort gesagt: “Komm zurück, wir brauchen dich. Uns interessiert die Kaderakte nicht.” Ich habe wieder dort angefangen. Mein Sohn war älter, aber die Umstellung war trotzdem riesig.

Friederike Brüheim & Theresa Brüheim
Friederike Brüheim ist Schauspielerin und lebt in Hamburg. Theresa Brüheim ist Chefin vom Dienst von Politik & Kultur.
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