„Das ist nicht meine Gesellschaft“

DDR-Möbeldesigner Rudolf Horn im Gespräch

Wie kam es dazu, dass Sie eine eigene Version des berühmten Freischwingers von Mies van der Rohe entwickelt haben, der erfolgreich vertrieben wurde, allerdings nur im Westen?

Als Leiter des Entwicklungsbüros der Möbelindustrie in Leipzig hatte ich großen Entscheidungsspielraum. An einem Frühsommertag ging ich in der Stadt spazieren und ins Grassimuseum. Da stand dieser Sessel, den er gestaltet hatte für den deutschen Pavillon der Weltausstellung in Barcelona. Ich kannte den natürlich aus der wenigen Fachliteratur, die wir nach der Bücherverbrennung der Nazis und dem Krieg hatten. Der hat mich fasziniert, weil Mies van der Rohe den gleichen Gedanken hatte: Wir machen keine geschlossenen Räume. Ich habe mich reingesetzt – und war bitter enttäuscht. Er sieht wunderbar aus, aber er nimmt einen nicht auf. Er ist zu hart. Dieser Widerspruch, meine Verehrung für die Form des sich kreuzenden Stahls und die mangelnde Funktionalität, hat mich gereizt. Also habe ich in meiner Wohnung ein großes Stück Packpapier genommen und überlegt, wie kann man mit Bandstahl eine bessere Dynamik und Federwirkung erzeugen. So ist mein Entwurf entstanden. Man kann meinen Sessel hoch heute kaufen. Springer hat für sein neues Gebäude in Berlin eine Reihe davon erworben.

 

Gab es keine Plagiatsvorwürfe?

Nie. Mein Stahlgestell folgt einer völlig anderen Konstruktion. Ich habe meinen Entwurf auf der Leipziger Messe vorgestellt. Da kam der Chef einer Polstermöbelfabrik in Potsdam, der hat den Sessel dann für den westdeutschen Markt gebaut. Das war nicht so einfach, denn es gab den Stahl dafür in der DDR kaum. Ich habe kein Honorar bekommen. Es machte mir einfach Freude, dass er gebaut wurde. Einer der ersten Sessel steht seither in meiner Wohnung.

 

Gab es einen Austausch der Formgestalter der DDR mit Designern in der Bundesrepublik?

Nein. Wenn, war es Zufall. Aus der Hochschule für Gestaltung in Ulm, deren Ideen mit unseren geistesverwandt waren, kam eine Delegation zu Besuch, um unsere Ausbildung kennenzulernen. Ich war zu der Zeit noch nicht lange an der Hochschule für Industrielle Formgestaltung in Halle. Am Schluss haben die gesagt: Am liebsten würden wir zu euch kommen. Denn die Ulmer waren von bürgerlicher Seite ständig unter Druck. Auch sie wollten modernes, sachliches, soziales Gestalten. Da trafen sich unsere Vorstellungen, nur unter ganz anderen gesellschaftlichen Voraussetzungen. Das war einer der wenigen offiziellen Kontakte. Ansonsten hatte ich nur die Chance, gelegentlich die Kölner Möbelmesse zu besuchen, und es gab mal ein gemeinsames Kolloquium in Stuttgart. Wir hatten auch keinen Zugang zu westdeutschen Fachzeitschriften.

 

Wie stark hat die Planwirtschaft der DDR Sie und Ihrer Kollegen beschränkt?

In den 1960er und frühen 1970er Jahren gar nicht. Das waren Jahre des Aufbruchs, da ging viel. Danach wurden die technologischen und Material-Begrenzungen auch infolge des Wirtschaftsboykotts gegen die DDR immer spürbarer. In den 1980er Jahren wurde die Knappheit extrem. In der Zeit hatte mich die Hochschule in Halle aber bereits aus der Produktion weggefischt. Die Quälereien für die Gestalter habe ich dann nur noch von meinen Absolventen mitbekommen.

 

Mit Ihren Baukasten-Möbeln zum Selbstaufbau haben Sie etwas geschaffen wie Ikea im Westen. Ärgert es Sie, wenn man Sie den Ikea-Mann des Ostens nennt?

Überhaupt nicht. Als meine Entwürfe entstanden, gab es Ikea in der bekannten Form noch gar nicht. In den 1970er Jahren hat die DDR eine Menge für Ikea produziert. Billiges Zeug. Damit hatte ich nichts zu tun. Es entsprach auch nicht meinen Qualitätsvorstellungen. Als ich später erstmals ein Möbelhaus von Ikea besuchen konnte, haben die sogar in einem ihrer Kataloge einen Bericht über mich gebracht. Ich fand die Idee von Ikea, einfache Möbel gerade für junge Leute herzustellen und zu verkaufen vernünftig. Aber inzwischen ist Ikea bürgerlicher geworden.

 

Trotz aller Anpreisungen eines individuellen Lebens- und Einrichtungsstils ist der Geschmack oft sehr einheitlich. Welche Bedeutung hat für Sie Individualität bei der Gestaltung des Wohnens?

Jede Gesellschaft sollte sich bemühen, ihren Bürgern Wohnen als sozialen Anspruch und Ausdruck persönlichen kulturell-ästhetischen Wollens zu ermöglichen. Heute beobachte ich etwas anderes. Das Sortiment ist in seiner Vielfalt und Verschwendung maßlos. Was heute modern ist, wandert morgen auf den Müllhaufen der Geschichte. Wachstum ist alles. Das ist ein ganz anderes Denken und Gestalten, als ich es gelehrt und vertreten habe. Ein westdeutsches Unternehmen bot mir die Leitung der Produktgestaltung an. Ich musste ablehnen. Das ist nicht meine Gesellschaft, die Wertvorstellungen sind nicht die meinen.

 

Sie sind sehr früh dem Gedanken der Nachhaltigkeit gefolgt. Heute sehr aktuell.

Angesichts der ökologischen Situation der Welt wäre ein achtungsvoller Umgang mit den Ressourcen dringend vonnöten. Die kapitalitische Marktwirtschaft lässt aber wenig Raum für solche ethischen Aspekte. Wenn ich einem Hersteller sage, wir produzieren nur noch Möbel, deren Form sich nicht modisch verschleißt und Generationen überdauert, sagt der mir: Dann bin ich alsbald am Ende. Dabei ist doch die Achtung vor dem Produkt, der stofflichen Substanz in jedem Menschen verborgen.

 

Der Palast der Republik, ein zentraler Bau der DDR-Moderne, wurde abgerissen und durch die äußerliche Nachbildung des Hohenzollernschlosses ersetzt. Was bedeutet das für Sie?

Einen Verlust. Der Abriss war keine kulturelle oder ästhetische Entscheidung, sondern eine politische. Den Leuten, die diesen Neubau mit historisierender Fassade hingesetzt haben, fehlte jede schöpferische Fantasie. Wenn Ulbricht, der in den 1950er Jahren genau das wollte, das sähe, würde er es in den höchsten Tönen loben. Man hätte den Palast mit neuen Elementen ergänzen sollen zu einem Gebäude, das sich zur Vergangenheit bekennt und zur deutschen Wiedereinigung mit all ihren Widersprüchen, als modernes Zeugnis der Einheit. Stattdessen hat man eine alte Hülle mit einem Betonbau verbunden, der damit nichts zu tun hat. Das ist ein kulturelles Armutszeugnis.

 

Vielen Dank.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 2/2021.

Rudolf Horn & Ludwig Greven
Rudolf Horn war nach einer Lehre als Tischler und Innenarchitekt Mitarbeiter im DDR-Ministerium für Leichtindustrie. Nach einem Studium als Ingenieur für Holztechnologie unterrichtete er an der Burg Giebichenstein Hochschule für Kunst und Design Halle. Ludwig Greven ist freier Publizist.
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