„Das ist nicht meine Gesellschaft“

DDR-Möbeldesigner Rudolf Horn im Gespräch

Die Zeit nennt ihn den „Design-Papst der DDR“; eine Design-Ikone ist Rudolf Horn ohne Frage. Sein am Plattenbau orientiertes Montagemöbelprogramm MDW zählt zu den erfolgreichsten der Ostmoderne. Ludwig Greven spricht mit dem Innenarchitekten, Ingenieur, Formgestalter und Hochschullehrer über unterschiedliche Formvorstellungen in den beiden deutschen Staaten, variables Wohnen und nachhaltiges Produzieren und Nutzen im Kapitalismus.

 

Ludwig Greven: Sie haben vor 60 Jahren in der DDR eine modulare Möbelserie zum Selbstaufbau entwickelt, eine Pioniertat. War es für Sie eine späte Genugtuung, dass sie 2019 noch einmal in einer Ausstellung in Dresden gezeigt wurde?

Rudolf Horn: Es war spannend, mit Arbeiten konfrontiert zu werden, die weit weggerückt sind. Besonders gefreut hat mich, dass es mir die Gelegenheit gab zu erklären, dass man die deutsche Nachkriegsmoderne nicht verstehen kann ohne die deutsche Teilung in zwei Staaten mit ganz unterschiedlichen Wertevorstellungen und wirtschaftlichen Systemen.

 

Wie sehr schmerzt es Sie und Ihre Kollegen, dass die eigenständigen Leistungen des DDR-Designs im Westen bis heute kaum wahrgenommen und gewürdigt werden?

Gar nicht. Denn diese Leistungen wurden in einem Land erbracht, in dem sie angenommen und gewürdigt wurden. Anerkennung aus dem Westen war für uns kein Thema.

 

Bekommen Sie die im Osten noch?

Ich erhalte immer noch Briefe. Die Macher der Dresdner Ausstellung hatten Bürger aufgerufen, sich mit Dokumentationen zu melden, wenn sie Möbel aus meinen Entwürfen haben. Viele schickten Dankesbriefe, Fotos und Kaufquittungen. Die wurden in einem eigenen Raum gezeigt. Da sah man die Hinwendung zu den Produkten, die damals zum Teil ganz schön teuer waren. Das hat mich sehr ergriffen. Manche schrieben, wir sind schon mehrfach umgezogen und haben Ihre Möbel immer wieder aufgebaut. Das ist eine Anerkennung, die mir nahegeht.

 

Sie haben Anfang der 1960er Jahre die industriellen Plattenbauten mitentwickelt, und Sie haben dafür ihr Möbelsystem entworfen. Beides sehr moderne Ansätze. Seit der Wende gelten die Plattenbauten als Inbegriff menschenfeindlichen Wohnens, obwohl im Westen ähnliche Großsiedlungen gebaut wurden. Weshalb diese unterschiedliche Sichtweise?

Diese Bauten waren nicht menschenfeindlich, sondern ein großer Fortschritt für die Bewohner. Ich war damals gerade fertig mit der Ausbildung. Sechs Millionen Wohnungen im Osten waren zerstört. Es fehlte an allem. Der Neubau Hunderttausender Wohnungen, in den die DDR einen erheblichen Teil ihrer Wirtschaftsleistung steckte, war eine Hoffnungsleistung, die uns fest mit diesem Land verbunden hat. Das ging nur in serieller Fertigung. In meinem ganzen Leben als Gestalter stand ich in einem Spannungsfeld sehr unterschiedlicher Impulse. In den 1950er Jahren gab es eine große Auseinandersetzung, wie sollen unsere Innenstädte, unsere gegenständliche Kultur aussehen. Die damalige Führung unter Walter Ulbricht setzte auf Adaption historischer Formen. Ziel war die Wiedervereinigung. Die Führung wollte die Formen des Westens aber nicht einfach unkritisch übernehmen, sondern eine eigene sozial determinierte Kultur entwickeln. Der Formalismusstreit, der darüber entbrannte, erfasste auch Kunst und Literatur.

 

Sie haben sich wie viele Designer der jungen Bundespublik vom Deutschen Werkbund und dem Bauhaus der Vorkriegszeit leiten lassen, die ja ebenfalls sehr soziale Vorstellungen hatten. Wieso hatten sie es dennoch so schwer gegen den sozialistischen Realismus?

Nicht mit dem sozialen Grundgedanken, aber mit seiner formalen Ausgestaltung. Wir Jungen haben gesagt, wir können uns doch nicht so kleiden wie unsere Großväter, es muss eine neue Sichtweise her. Das ging bis in die 1960er Jahre, dann hatte sich das erledigt. So dogmatisch, wie es die Ulbricht-Führung wollte, war es gar nicht durchsetzbar. Mit den knappen Ressourcen auch in der Produktion musste man wirtschaftlich umgehen.

 

Was bedeutete das für die Möbel?

Da konnte man die begrenzten Kapazitäten nicht auch noch nutzen, um Profile, Schnitzereien und anderen Schmuckkram herzustellen. Rationalität war gefragt. Bevor die Deutschen Werkstätten zu mir kamen und ich für sie das modulare Wohnprogramm entwickelte, hatte ich schon eine Reihe Entwürfe gemacht für die Möbelindustrie, die ich bei den Leipziger Frühjahrsmessen zeigen durfte. Da konnte ich mich unter die Leute mischen und ihre Vorlieben und Abneigungen bemerken. Das ist ja auch ein Moment sozialen Gestaltens: Was wollen die Menschen? Nicht formale Mätzchen, sondern Brauchbarkeit. An- und Aufbaumöbel gab es inzwischen genug. Deren Funktionalität und Ästhetik hatte sich erschöpft. Ich wollte etwas Neues. Mein Ziel war, den Bürgern, den Käufern Entscheidungsspielraum zu lassen, vor allem den jungen Leuten mit wenig Wohnraum. Die Montagemöbel, die wir entwickelt haben, bedeuteten eine komplette Auflösung der Möbel, die man bis dahin kannte. Wir wollten keine fertigen Möbel, sondern Bauteile, die sich jeder selbst nach seinen Wünschen zusammenstellen konnte. Der Nutzer ist Finalist, er bestimmt, was er braucht, nicht der Gestalter, Produzent, Händler: Das war mein Prinzip.

 

Hat das funktioniert?

Ja, das ist aufgegangen. Gegen den Widerstand des staatlichen Handels. Für den bedeutete das viel mehr Arbeit. Ich habe mit Genehmigung der Nutzer Fotos in Wohnungen mit meinen Möbeln gemacht. Da sind wunderbare Dinge entstanden. Sehr fantasievolle Milieus.

 

Sie hatten sogar die Idee eines variablen Wohnens ohne feste Innenwände. Ebenfalls hochmodern.

Als sich das Möbelsystem bewährte, kam uns der Gedanken, mit freigespannten Decken auch die Raumstrukturen flexibel zu gestalten. Mit einem Jugendfreund, der an der Bauakademie in Berlin arbeitete, konnten wir in Rostock schließlich 60 Musterwohnungen mit beweglichen Innenwänden bauen. Die Bewohner konnten selbst entscheiden, wie sie die Räume aufteilen wollten. Die Möbel waren konstruktiv mit den Wänden verbunden. Das eröffnete schlagartig ganz neue Möglichkeiten, die Wohnungen später anders zu nutzen, wenn zum Beispiel die Kinder auszogen. Das war ein revolutionärer Gedanke.

 

Aber es blieb bei diesem Experiment?

Leider. Das variable Wohnen erfordert eine große Flexibilität der beteiligten Industriezweige. Die war in den 1960er Jahren in der DDR nicht gegeben.

Rudolf Horn & Ludwig Greven
Rudolf Horn war nach einer Lehre als Tischler und Innenarchitekt Mitarbeiter im DDR-Ministerium für Leichtindustrie. Nach einem Studium als Ingenieur für Holztechnologie unterrichtete er an der Burg Giebichenstein Hochschule für Kunst und Design Halle. Ludwig Greven ist freier Publizist.
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