Was machte die Schriften der DDR aus und welche kennen wir noch heute? Maike Karnebogen spricht mit Lena Haubner und Tobias-David Albert über die Geschichte und die Besonderheiten von Type-Design und Typografie in der DDR.
Maike Karnebogen: Wie groß war der Bedarf an neuen Schriften in der DDR nach dem Krieg?
Lena Haubner: Durch den Krieg waren zwei Drittel des Schriftbestandes zerstört und durch die Teilung Deutschlands viele Produktionsstandorte weggefallen. Deshalb gab es einen grundlegenden Bedarf an Schriften. Im Zuge des Aufbaus griff man auf die Bestände dreier Betriebe zurück: die Dresdner Schriftguß AG sowie Schelter & Giesecke und Ludwig
Wagner aus Leipzig. Darunter befand sich die Super Grotesk, die bereits in den 1930er Jahren von Arno Drescher entworfen wurde. Sie galt als unbelastet, da sie im Nationalsozialismus nicht verwendet worden war und gehörte bald zur Grundausstattung jedes grafischen Betriebs.
Herbert Tannhäuser, erster künstlerische Leiter der VEB Typoart, brachte 1951 neue Schriften auf den Markt. Dabei handelte es sich vor allem um Repliken alter Schriften, wie die Garamond oder die Didot.
Ab 1969 kam neuer Wind auf, als die Gießereien der RGW-Länder ein Programm entwickelten, das die Entwicklung von neuen Schriften für das sozialistische Wirtschaftsgebiet vorsah.
Was machte Schriften und Typoart in der DDR aus?
Tobias-David Albert: Die Ressourcen waren anders aufgestellt als in der BRD. Es ging erst mal darum, dass es überhaupt Schriften gab und man Arbeitsmaterial hatte. Anfang der 1960er Jahre wurde Albert Kapr künstlerischer Leiter von Typoart. Kapr ging es darum, klassische Schriften zu entwickeln, die gut recherchiert hergestellt wurden. Als obere Führungskraft konnte Kapr auch das Ausland bereisen. Er fuhr nach England und besorgte für viele Schriften, z. B. die Baskerville, die besten Vorlagen, die es zu finden gab.
Welche Schriften prägten die grafische Gestaltung in der DDR? Wofür wurden sie benutzt, wo hat man sie gesehen?
Lena Haubner: Drucksachen des täglichen Bedarfs wurden in den Setzereien mit den jeweils vorhandenen Mitteln hergestellt. Da standen wahlweise die Super Grotesk, die Typoart-Garamond und vielleicht Schriften wie die Liberta oder Primus zur Auswahl. Für Überschriften wählte man oft Zierschriften wie die Impuls oder die Splendor. Gebrauchsgrafiker mussten für den Buchsatz ebenfalls aus den vorhandenen Mitteln schöpfen, gingen aber bei der Umschlaggestaltung oder bei Plakaten gern eigene Wege, indem sie Auszeichnungsschriften selbst zeichneten. Oft finden sich auch kalligrafische Umsetzungen. Viele hatten provisorische Repro-Studios, um Abzüge von abfotografierten Schriften herzustellen, aus denen Layouts geklebt wurden. Axel Bertram entwickelte für die Modezeitschrift Sibylle sogar eine eigene Auszeichnungsschrift: die Sans Serif Nr 1.
Tobias-David Albert: Dann gab es noch die Maxima, die von Gert Wunderlich entwickelt wurde. Sie ist ein Pendant zur Univers in der westlichen Welt. Interessant ist, dass man in der DDR viele Dinge noch mal neu erfinden konnte, weil die Mauer dazwischen war. Im Vergleich zur Univers ist die Maxima traditioneller angebunden. Dieses Traditionsverbundene ist ein Gestus, den man in der DDR viel finden konnte. Gleichzeitig war es eine Art Statement, denn man wusste, was aktuell angesagt war, hat sich informiert, ist zu Schriftkonferenzen gereist.
Lena Haubner: Es bestand der Versuch, mit der Zeit zu gehen, denn natürlich verfolgte man die gestalterischen Entwicklungen im Ausland. Auch in der DDR waren die Grafiker vom Schweizer Stil begeistert. Gleichzeitig versuchte man, sich unabhängig vom Markt zu machen, denn um mit einer Helvetica arbeiten zu können, mussten teure Lizenzen gekauft werden. Das kam selten vor.
Gab es einheitliche, vorgeschriebene Schrifttypen? Welche Rolle spielte dabei der Staat?
Lena Haubner: Für Auflagendrucke brauchte man eine Druckgenehmigung, dabei stand aber nicht die Wahl der Schrift zur Diskussion. Aufgrund des Papiermangels gab es Anweisungen, wie viel Prozent einer Buchseite bedruckt sein mussten. Das hatte wiederum Einfluss auf die typografische Gestaltung.
Wie unterschieden sich die Schriften der DDR von westdeutschen Schriften?
Tobias-David Albert: Auch dabei spielte die Beschränkung der Materialien eine Rolle. Der Schriftgestalter Volker Küster, der bei Albert Kapr studierte und 1984 aus der DDR ausgewandert ist, erzählte mir, dass die alte Bundesrepublik deutlich experimentierfreudiger war in den Schriftformen. Die technischen Mittel waren besser, was auch damit zusammenhing, dass die USA in die alte Bundesrepublik investierte. Nicht, dass in der DDR nicht auch experimentiert wurde, im Gegenteil. Die Materialien waren aber eben beschränkt. Gleichzeitig haben diese Beschränkungen interessante Entwicklungen hervorgebracht, z. B. die Minima. Die Schrift von Karl-Heinz Lange ist für sehr hohe Textmengen auf wenig Seiten optimiert worden. Auch auf schlechtem Papier musste sie gut funktionieren. Qualitativ waren aber beide Länder gleichauf.
Wie wurde man Schriftgestalter in der DDR?
Tobias-David Albert: Schriftgestaltung teilt sich in drei Bereiche auf: in das Schreiben von Schrift. Das meint nicht nur schön schreiben, sondern wirklich die Schreibtätigkeit. Das Zeichnen von Schrift. Und das Type-Design – die gezeichneten Buchstaben werden hinterlegt, um mit vorgefertigten Buchstaben zu schreiben. In der DDR wurde man in allen drei Bereichen ausgebildet, z. B. an der HGB Leipzig, an der Fachhochschule in Weißensee und in Heiligendamm. In Leipzig hat Albert Kapr die ausgebildet, die er auch bei Typoart verpflichten konnte. Für jemanden, der nicht in diesem Dunstkreis der Leipziger Hochschule stand, war es schwierig reinzukommen. Da sieht man die zentrale Steuerung bzw. die Konkurrenzlosigkeit der DDR-Schriftgestaltung.
Gingen die Schriften nach der Wende verloren? Oder werden sie heute noch verwendet?
Tobias-David Albert: Neulich habe ich mir einen Katalog von Waschbär, einen ökologischen Mode- und Haushaltswarenkatalog, angeschaut. Da ist die Minima im Einsatz. Keine der Schriften ist wirklich im Abgrund versunken. Zunächst war nach der Wende die Rechtesituation für die Schriften von VEB Typoart nicht geklärt. VEB Typoart als Immobilie wurde verkauft. Der neue Besitzer hat sich nicht um die Schriften gekümmert. Das Schriftgestalterpaar Elsner+Flake hat sich dafür eingesetzt, die Rechte an den Schriften zu kaufen. Das war ein langer Prozess, aber sie haben den Großteil der Lizenzen erhalten. Darauf folgte eine mit der neuesten Technik überarbeitete Neuauflage der Schriften.
Vielen Dank.
Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 2/2021.