Rudolf Horn & Ludwig Greven - 1. Februar 2021 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Ost-West-Perspektiven

„Das ist nicht meine Gesellschaft“


DDR-Möbeldesigner Rudolf Horn im Gespräch

Die Zeit nennt ihn den „Design-Papst der DDR“; eine Design-Ikone ist Rudolf Horn ohne Frage. Sein am Plattenbau orientiertes Montagemöbelprogramm MDW zählt zu den erfolgreichsten der Ostmoderne. Ludwig Greven spricht mit dem Innenarchitekten, Ingenieur, Formgestalter und Hochschullehrer über unterschiedliche Formvorstellungen in den beiden deutschen Staaten, variables Wohnen und nachhaltiges Produzieren und Nutzen im Kapitalismus.

 

Ludwig Greven: Sie haben vor 60 Jahren in der DDR eine modulare Möbelserie zum Selbstaufbau entwickelt, eine Pioniertat. War es für Sie eine späte Genugtuung, dass sie 2019 noch einmal in einer Ausstellung in Dresden gezeigt wurde?

Rudolf Horn: Es war spannend, mit Arbeiten konfrontiert zu werden, die weit weggerückt sind. Besonders gefreut hat mich, dass es mir die Gelegenheit gab zu erklären, dass man die deutsche Nachkriegsmoderne nicht verstehen kann ohne die deutsche Teilung in zwei Staaten mit ganz unterschiedlichen Wertevorstellungen und wirtschaftlichen Systemen.

 

Wie sehr schmerzt es Sie und Ihre Kollegen, dass die eigenständigen Leistungen des DDR-Designs im Westen bis heute kaum wahrgenommen und gewürdigt werden?

Gar nicht. Denn diese Leistungen wurden in einem Land erbracht, in dem sie angenommen und gewürdigt wurden. Anerkennung aus dem Westen war für uns kein Thema.

 

Bekommen Sie die im Osten noch?

Ich erhalte immer noch Briefe. Die Macher der Dresdner Ausstellung hatten Bürger aufgerufen, sich mit Dokumentationen zu melden, wenn sie Möbel aus meinen Entwürfen haben. Viele schickten Dankesbriefe, Fotos und Kaufquittungen. Die wurden in einem eigenen Raum gezeigt. Da sah man die Hinwendung zu den Produkten, die damals zum Teil ganz schön teuer waren. Das hat mich sehr ergriffen. Manche schrieben, wir sind schon mehrfach umgezogen und haben Ihre Möbel immer wieder aufgebaut. Das ist eine Anerkennung, die mir nahegeht.

 

Sie haben Anfang der 1960er Jahre die industriellen Plattenbauten mitentwickelt, und Sie haben dafür ihr Möbelsystem entworfen. Beides sehr moderne Ansätze. Seit der Wende gelten die Plattenbauten als Inbegriff menschenfeindlichen Wohnens, obwohl im Westen ähnliche Großsiedlungen gebaut wurden. Weshalb diese unterschiedliche Sichtweise?

Diese Bauten waren nicht menschenfeindlich, sondern ein großer Fortschritt für die Bewohner. Ich war damals gerade fertig mit der Ausbildung. Sechs Millionen Wohnungen im Osten waren zerstört. Es fehlte an allem. Der Neubau Hunderttausender Wohnungen, in den die DDR einen erheblichen Teil ihrer Wirtschaftsleistung steckte, war eine Hoffnungsleistung, die uns fest mit diesem Land verbunden hat. Das ging nur in serieller Fertigung. In meinem ganzen Leben als Gestalter stand ich in einem Spannungsfeld sehr unterschiedlicher Impulse. In den 1950er Jahren gab es eine große Auseinandersetzung, wie sollen unsere Innenstädte, unsere gegenständliche Kultur aussehen. Die damalige Führung unter Walter Ulbricht setzte auf Adaption historischer Formen. Ziel war die Wiedervereinigung. Die Führung wollte die Formen des Westens aber nicht einfach unkritisch übernehmen, sondern eine eigene sozial determinierte Kultur entwickeln. Der Formalismusstreit, der darüber entbrannte, erfasste auch Kunst und Literatur.

 

Sie haben sich wie viele Designer der jungen Bundespublik vom Deutschen Werkbund und dem Bauhaus der Vorkriegszeit leiten lassen, die ja ebenfalls sehr soziale Vorstellungen hatten. Wieso hatten sie es dennoch so schwer gegen den sozialistischen Realismus?

Nicht mit dem sozialen Grundgedanken, aber mit seiner formalen Ausgestaltung. Wir Jungen haben gesagt, wir können uns doch nicht so kleiden wie unsere Großväter, es muss eine neue Sichtweise her. Das ging bis in die 1960er Jahre, dann hatte sich das erledigt. So dogmatisch, wie es die Ulbricht-Führung wollte, war es gar nicht durchsetzbar. Mit den knappen Ressourcen auch in der Produktion musste man wirtschaftlich umgehen.

 

Was bedeutete das für die Möbel?

Da konnte man die begrenzten Kapazitäten nicht auch noch nutzen, um Profile, Schnitzereien und anderen Schmuckkram herzustellen. Rationalität war gefragt. Bevor die Deutschen Werkstätten zu mir kamen und ich für sie das modulare Wohnprogramm entwickelte, hatte ich schon eine Reihe Entwürfe gemacht für die Möbelindustrie, die ich bei den Leipziger Frühjahrsmessen zeigen durfte. Da konnte ich mich unter die Leute mischen und ihre Vorlieben und Abneigungen bemerken. Das ist ja auch ein Moment sozialen Gestaltens: Was wollen die Menschen? Nicht formale Mätzchen, sondern Brauchbarkeit. An- und Aufbaumöbel gab es inzwischen genug. Deren Funktionalität und Ästhetik hatte sich erschöpft. Ich wollte etwas Neues. Mein Ziel war, den Bürgern, den Käufern Entscheidungsspielraum zu lassen, vor allem den jungen Leuten mit wenig Wohnraum. Die Montagemöbel, die wir entwickelt haben, bedeuteten eine komplette Auflösung der Möbel, die man bis dahin kannte. Wir wollten keine fertigen Möbel, sondern Bauteile, die sich jeder selbst nach seinen Wünschen zusammenstellen konnte. Der Nutzer ist Finalist, er bestimmt, was er braucht, nicht der Gestalter, Produzent, Händler: Das war mein Prinzip.

 

Hat das funktioniert?

Ja, das ist aufgegangen. Gegen den Widerstand des staatlichen Handels. Für den bedeutete das viel mehr Arbeit. Ich habe mit Genehmigung der Nutzer Fotos in Wohnungen mit meinen Möbeln gemacht. Da sind wunderbare Dinge entstanden. Sehr fantasievolle Milieus.

 

Sie hatten sogar die Idee eines variablen Wohnens ohne feste Innenwände. Ebenfalls hochmodern.

Als sich das Möbelsystem bewährte, kam uns der Gedanken, mit freigespannten Decken auch die Raumstrukturen flexibel zu gestalten. Mit einem Jugendfreund, der an der Bauakademie in Berlin arbeitete, konnten wir in Rostock schließlich 60 Musterwohnungen mit beweglichen Innenwänden bauen. Die Bewohner konnten selbst entscheiden, wie sie die Räume aufteilen wollten. Die Möbel waren konstruktiv mit den Wänden verbunden. Das eröffnete schlagartig ganz neue Möglichkeiten, die Wohnungen später anders zu nutzen, wenn zum Beispiel die Kinder auszogen. Das war ein revolutionärer Gedanke.

 

Aber es blieb bei diesem Experiment?

Leider. Das variable Wohnen erfordert eine große Flexibilität der beteiligten Industriezweige. Die war in den 1960er Jahren in der DDR nicht gegeben.

Wie kam es dazu, dass Sie eine eigene Version des berühmten Freischwingers von Mies van der Rohe entwickelt haben, der erfolgreich vertrieben wurde, allerdings nur im Westen?

Als Leiter des Entwicklungsbüros der Möbelindustrie in Leipzig hatte ich großen Entscheidungsspielraum. An einem Frühsommertag ging ich in der Stadt spazieren und ins Grassimuseum. Da stand dieser Sessel, den er gestaltet hatte für den deutschen Pavillon der Weltausstellung in Barcelona. Ich kannte den natürlich aus der wenigen Fachliteratur, die wir nach der Bücherverbrennung der Nazis und dem Krieg hatten. Der hat mich fasziniert, weil Mies van der Rohe den gleichen Gedanken hatte: Wir machen keine geschlossenen Räume. Ich habe mich reingesetzt – und war bitter enttäuscht. Er sieht wunderbar aus, aber er nimmt einen nicht auf. Er ist zu hart. Dieser Widerspruch, meine Verehrung für die Form des sich kreuzenden Stahls und die mangelnde Funktionalität, hat mich gereizt. Also habe ich in meiner Wohnung ein großes Stück Packpapier genommen und überlegt, wie kann man mit Bandstahl eine bessere Dynamik und Federwirkung erzeugen. So ist mein Entwurf entstanden. Man kann meinen Sessel hoch heute kaufen. Springer hat für sein neues Gebäude in Berlin eine Reihe davon erworben.

 

Gab es keine Plagiatsvorwürfe?

Nie. Mein Stahlgestell folgt einer völlig anderen Konstruktion. Ich habe meinen Entwurf auf der Leipziger Messe vorgestellt. Da kam der Chef einer Polstermöbelfabrik in Potsdam, der hat den Sessel dann für den westdeutschen Markt gebaut. Das war nicht so einfach, denn es gab den Stahl dafür in der DDR kaum. Ich habe kein Honorar bekommen. Es machte mir einfach Freude, dass er gebaut wurde. Einer der ersten Sessel steht seither in meiner Wohnung.

 

Gab es einen Austausch der Formgestalter der DDR mit Designern in der Bundesrepublik?

Nein. Wenn, war es Zufall. Aus der Hochschule für Gestaltung in Ulm, deren Ideen mit unseren geistesverwandt waren, kam eine Delegation zu Besuch, um unsere Ausbildung kennenzulernen. Ich war zu der Zeit noch nicht lange an der Hochschule für Industrielle Formgestaltung in Halle. Am Schluss haben die gesagt: Am liebsten würden wir zu euch kommen. Denn die Ulmer waren von bürgerlicher Seite ständig unter Druck. Auch sie wollten modernes, sachliches, soziales Gestalten. Da trafen sich unsere Vorstellungen, nur unter ganz anderen gesellschaftlichen Voraussetzungen. Das war einer der wenigen offiziellen Kontakte. Ansonsten hatte ich nur die Chance, gelegentlich die Kölner Möbelmesse zu besuchen, und es gab mal ein gemeinsames Kolloquium in Stuttgart. Wir hatten auch keinen Zugang zu westdeutschen Fachzeitschriften.

 

Wie stark hat die Planwirtschaft der DDR Sie und Ihrer Kollegen beschränkt?

In den 1960er und frühen 1970er Jahren gar nicht. Das waren Jahre des Aufbruchs, da ging viel. Danach wurden die technologischen und Material-Begrenzungen auch infolge des Wirtschaftsboykotts gegen die DDR immer spürbarer. In den 1980er Jahren wurde die Knappheit extrem. In der Zeit hatte mich die Hochschule in Halle aber bereits aus der Produktion weggefischt. Die Quälereien für die Gestalter habe ich dann nur noch von meinen Absolventen mitbekommen.

 

Mit Ihren Baukasten-Möbeln zum Selbstaufbau haben Sie etwas geschaffen wie Ikea im Westen. Ärgert es Sie, wenn man Sie den Ikea-Mann des Ostens nennt?

Überhaupt nicht. Als meine Entwürfe entstanden, gab es Ikea in der bekannten Form noch gar nicht. In den 1970er Jahren hat die DDR eine Menge für Ikea produziert. Billiges Zeug. Damit hatte ich nichts zu tun. Es entsprach auch nicht meinen Qualitätsvorstellungen. Als ich später erstmals ein Möbelhaus von Ikea besuchen konnte, haben die sogar in einem ihrer Kataloge einen Bericht über mich gebracht. Ich fand die Idee von Ikea, einfache Möbel gerade für junge Leute herzustellen und zu verkaufen vernünftig. Aber inzwischen ist Ikea bürgerlicher geworden.

 

Trotz aller Anpreisungen eines individuellen Lebens- und Einrichtungsstils ist der Geschmack oft sehr einheitlich. Welche Bedeutung hat für Sie Individualität bei der Gestaltung des Wohnens?

Jede Gesellschaft sollte sich bemühen, ihren Bürgern Wohnen als sozialen Anspruch und Ausdruck persönlichen kulturell-ästhetischen Wollens zu ermöglichen. Heute beobachte ich etwas anderes. Das Sortiment ist in seiner Vielfalt und Verschwendung maßlos. Was heute modern ist, wandert morgen auf den Müllhaufen der Geschichte. Wachstum ist alles. Das ist ein ganz anderes Denken und Gestalten, als ich es gelehrt und vertreten habe. Ein westdeutsches Unternehmen bot mir die Leitung der Produktgestaltung an. Ich musste ablehnen. Das ist nicht meine Gesellschaft, die Wertvorstellungen sind nicht die meinen.

 

Sie sind sehr früh dem Gedanken der Nachhaltigkeit gefolgt. Heute sehr aktuell.

Angesichts der ökologischen Situation der Welt wäre ein achtungsvoller Umgang mit den Ressourcen dringend vonnöten. Die kapitalitische Marktwirtschaft lässt aber wenig Raum für solche ethischen Aspekte. Wenn ich einem Hersteller sage, wir produzieren nur noch Möbel, deren Form sich nicht modisch verschleißt und Generationen überdauert, sagt der mir: Dann bin ich alsbald am Ende. Dabei ist doch die Achtung vor dem Produkt, der stofflichen Substanz in jedem Menschen verborgen.

 

Der Palast der Republik, ein zentraler Bau der DDR-Moderne, wurde abgerissen und durch die äußerliche Nachbildung des Hohenzollernschlosses ersetzt. Was bedeutet das für Sie?

Einen Verlust. Der Abriss war keine kulturelle oder ästhetische Entscheidung, sondern eine politische. Den Leuten, die diesen Neubau mit historisierender Fassade hingesetzt haben, fehlte jede schöpferische Fantasie. Wenn Ulbricht, der in den 1950er Jahren genau das wollte, das sähe, würde er es in den höchsten Tönen loben. Man hätte den Palast mit neuen Elementen ergänzen sollen zu einem Gebäude, das sich zur Vergangenheit bekennt und zur deutschen Wiedereinigung mit all ihren Widersprüchen, als modernes Zeugnis der Einheit. Stattdessen hat man eine alte Hülle mit einem Betonbau verbunden, der damit nichts zu tun hat. Das ist ein kulturelles Armutszeugnis.

 

Vielen Dank.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 2/2021.


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