Codewort „Jägerschnitzel“

Kitty Eißmann über ihre Erlebnisse als West-Tournee-Managerin der DDR-Bands Puhdys, City und Karat

 

Wie war es bei den anderen Musikern?
Die Mitglieder von Karat waren zuerst schüchtern, zurückhaltend, aber auch neugierig: Was, eine Frau als Tournee-Managerin? Mhm. Das hat sich dann schnell gelegt. Ich bin kein harter Business-, sondern mehr so Kumpeltyp und habe wirklich alles für die Jungs gemacht, sogar die Routen so gelegt, dass sie nicht lange fahren müssen. Catering kannten sie nicht, so etwas gab es drüben nicht. Ich habe stets bis ins kleinste Detail geplant und so organisiert, dass alles gut klappt. Aber das hatte auch seine Nachteile, denn ich habe die Band viel zu sehr verwöhnt. Einige wurden mit der Zeit immer fordernder. Ein Problem, das immer mehr zur Unzufriedenheit führte, war auch die Tatsache, dass die Gage für die Bands an die Künstleragentur der DDR abgetreten werden musste. Diese wiederum zahlte die Musiker nur zu einem kleinem Teil in D-Mark, zum großen Teil aber in DDR-Mark aus. Die Band wollte, was nachzuvollziehen ist, natürlich lieber Westgeld haben. Das konnten wir allerdings nicht ändern.

 

Gab es Überlegungen bei den Bands, im Westen zu bleiben?
Wir haben ab und zu drüber gesprochen, aber keiner wollte das. Es hatten ja alle Familien. Abgesehen davon, war den Bands auch bewusst, dass sie sehr privilegiert waren und viele Vorteile hatten – in West wie in Ost gefeiert wurden, gutes Geld verdienten und als DDR-Bands im Westen einfach etwas Exotisches waren. Wir waren ja nicht nur in der BRD auf Tour, sondern auch in der Schweiz, in Dänemark und Luxemburg. Karat ist im schwedischen Fernsehen aufgetreten. Die Puhdys waren 1980 sogar in London und haben dort ein Album auf Englisch aufgenommen.

 

Wurden die Musiker von der Staatssicherheit beobachtet?
Ich erfuhr erst im Nachhinein, dass es bei jeder „reisefähigen“ Band ein Mitglied gab, das der Staatssicherheit der DDR berichten musste. Damit nicht noch jemand zusätzlich mitreiste, musste es jemanden bandintern geben. Aber diese Musiker waren nicht linientreu, sondern haben nur so getan. Denn nicht jeder durfte reisen, es musste etwas „Positives“ vorliegen, was einen vertrauenswürdig machte, im Westen touren zu dürfen.
Wir hatten mit Karat in vielen Städten der BRD auch „Fans“ im Schlepptau, die uns im Auftrag der Stasi beobachtet haben. Sie haben meist auf eine lächerliche Art versucht, unauffällig zu sein, sodass wir sie immer bemerkten. Teilweise waren sie sehr penetrant. Uns hat mal einer verfolgt und ist uns nach dem Konzert hinterhergefahren. Im Hotel konnten wir ihn dann abschütteln. Wir mussten immer sehr aufpassen, was wir sagen, denn wir sind mit allen recht locker umgegangen. Vieles, etwa Kritik am System und der Herrschaft in der DDR, durfte gar nicht geäußert werden. Irgendwann habe ich dann mal ein Codewort erfunden, damit jeder Bescheid weiß, wenn wir wieder einen Spitzel bei uns haben. Es hieß „Jägerschnitzel“. Wir hatten dieses Gericht so oft im Catering zu essen bekommen, dass es völlig unverfänglich war, wenn einer von uns sagte: „Wenn es heute Abend wieder Jägerschnitzel gibt, dann will ich das heute nicht essen.“ Danach wusste jeder: Vorsicht ist geboten!

 

Was für ein Publikum hatten die drei DDR-Bands in der alten Bundesrepublik?
Ein völlig gemischtes, hauptsächlich junges Publikum, das einfach nur auf die Musik abgefahren ist.

 

Waren die drei Gruppen auch deshalb erfolgreich, weil sie auf Deutsch sangen?
Das war natürlich ein Vorteil für die DDR-Bands. Sie haben frühzeitig lernen müssen, mit der deutschen Sprache umzugehen, und hatten hervorragende Texter. Die deutsche Sprache ist irgendwie kantig und damit umzugehen, sie in Musik zu formen, ist wirklich eine Begabung. Das muss man können. Im Westen wurde zu der Zeit meistens nur Englisch gesungen. Und da war die Musik der DDR-Bands etwas ganz Besonderes. Das haben die Leute geliebt, weil sie die Texte richtig verstanden haben. Wir hatten manchmal Fans, die mit Tränen in den Augen an die Bühne kamen. „Ich habe im Krankenhaus gelegen und war so krank und habe euer Lied gehört und bin gesund geworden“, erinnere ich noch. Das war schon großartig.

 

Was ist Ihnen noch in besonderer Erinnerung?
Es gab bei den Karat-Tourneen Zeiten, da dachte ich, ich bin bei den Beatles. Da sind uns kreischende Teenies hinterhergerannt und -gereist. Die haben sogar herausgefunden, in welchen Hotels wir wohnten, und uns in Schwärmen erwartet. Ich habe öfter mein Zimmer abgetreten, weil ich die Verantwortung nicht übernehmen konnte, dass so junge Teenies nachts auf der Straße kampieren und habe dann irgendwo anders im Hotel geschlafen.

 

Gab es noch andere außergewöhnliche Situationen für die Bands?
Oh ja, jede Menge. So gab es bei Karat etwa eine Bombendrohung in Luxemburg – wegen einer Textzeile im Song „Der Blaue Planet“. Dann die Festnahme eines Roadies in München. Sie hatten nachts unbemerkt mit dem LKW ein altes Ladenschild in einer engen Gasse beschädigt. Als sie am nächsten Morgen losfahren wollten, war der LKW weg. Wir dachten, er wäre geklaut, aber bei der Polizei stellte sich heraus, dass er wegen angeblicher Fahrerflucht abgeschleppt wurde. Sie haben den Fahrer festgesetzt. Ein Ost-Roadie im Westen festgenommen – das war der reinste Horror und musste geheim gehalten werden. Es wäre das Aus gewesen. Es hat viel Verhandlungsgeschick, Nerven und noch mehr Geld gekostet, aus dieser fatalen Situation herauszukommen.
Außergewöhnlich war auch die Verleihung einer Goldenen Schallplatte an die Gruppe City für ihren Hit „Am Fenster“. Die Single wurde auch in Griechenland vermarktet und war dort so erfolgreich, dass sie 1981 Goldstatus erreichte. Es war die einzige Verleihung einer westlichen Goldenen Schallplatte in der DDR und fand im Ost-Berliner Hotel Metropol statt – unter Anwesenheit hoher Funktionäre. Wir, Peter Schimmelpfennig und ich, wurden damals am Grenzübergang Friedrichstraße einfach ohne Kontrolle durchgewunken, mit einer unverpackten Goldenen Schallplatte unterm Arm. Das war schon irgendwie unheimlich.

 

1983 beendeten Sie Ihre Arbeit als Tournee-Managerin der drei Bands.
Es gab verschiedene Gründe. Kontroversen mit Pool, die wachsende Unzufriedenheit von Karat wegen besagter Gagen und die Doppelbelastung, auf Tour zu sein und zugleich von unterwegs das Büro zu leiten – das alles hat mich ziemlich ausgelaugt. Ich bin ein leidenschaftlicher Backstage-Mensch und kann nicht ruhig danebensitzen, sondern muss immer etwas tun. Die Zeit mit den DDR-Bands war aufregend, aber auch sehr anstrengend. Ich litt unter Schlafstörungen und musste mich erst einmal regenerieren. Das Thema DDR war für mich damit aber nicht abgeschlossen. Im Sommer 1983 tourte ich als Managerin der West-Berliner Band F.O.X. durch den „Arbeiter- und Bauernstaat“. Aber das ist eine andere abenteuerliche Geschichte.

 

Vielen Dank.

 

Dieses Interview ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 02/2020.

Kitty Eißmann und Behrang Samsami
Kitty Eißmann war 1980 bis 1983 Tournee-Managerin der DDR-Bands Puhdys, City und Karat im Westen. Behrang Samsami ist freier Journalist.
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