Kitty Eißmann und Behrang Samsami - 30. Januar 2020 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Ost-West-Perspektiven

Codewort "Jägerschnitzel"


Kitty Eißmann über ihre Erlebnisse als West-Tournee-Managerin der DDR-Bands Puhdys, City und Karat

„Alt wie ein Baum“, „Am Fenster“, „Über sieben Brücken musst du gehen“ – die Lieder der DDR-Bands Puhdys, City und Karat sind nicht nur Ostdeutschen ein Begriff. Auch im Westen haben die drei Bands ihre Fangemeinden. Dafür, dass sie auch in der früheren BRD bekannt und erfolgreich wurden, ist Kitty Eißmann mit verantwortlich. Zwischen 1980 und 1983 managte die Berlinerin die Tourneen der Bands im Westen, ging mit ihnen auch auf Tour und zu Fernsehauftritten und kümmerte sich um die Promotion. Mit Kitty Eißmann, die auch heute noch Konzerte organisiert und seit 35 Jahren einen Musiker-Stammtisch betreibt, sprach Behrang Samsami über ihren Weg ins Musikgeschäft, den Job als Tournee-Managerin der drei DDR-Bands und ungewöhnliche deutsch-deutsche Begebenheiten – mitten im Kalten Krieg.

 

Behrang Samsami: Frau Eißmann, bevor wir zu Ihrer Tätigkeit als Tournee-Managerin der drei DDR-Bands Puhdys, City und Karat kommen: Wie sind Sie ins Musikgeschäft gekommen?
Kitty Eißmann: Ich war Teenie in den 1960er Jahren in West-Berlin. Es war diese Aufbruchszeit, als Beat und R&B aus Großbritannien herüberschwappten und Bands bei uns anfingen, diese Musik nachzuspielen und in Clubs wie dem Top Ten aufzutreten. Ich war mit zwei Freundinnen am Wochenende immer unterwegs, um Musik zu hören. Dabei freundeten wir uns mit Bands wie The Hound Dogs, The Boots und The Allies an und waren ständig dabei. In einem dieser Clubs habe ich auch Dave Eaglen von der britischen Band The Shamrocks kennengelernt. Es war Liebe auf den ersten Blick. Ich hatte meine Lehre als Dekorateurin beendet, verlobte mich mit Dave und bin nach der Auflösung der Shamrocks mit ihm nach England gegangen. Mit einer dort neu gegründeten Band sind wir dann knapp zwei Jahre durch den Nahen Osten getourt, was in dieser Zeit ein absolutes Abenteuer war: Ein Konzert beim Schah in Teheran oder in einem israelischen Soldatencamp im durch den Sechs-Tage-Krieg besetztem Gebiet, fatale Unfälle in der Türkei, Erdbeben und vieles mehr. In dieser Zeit habe ich festgestellt, dass ich Talent zum Organisieren habe und gut kommunizieren kann. Als dann der Plan, in England zu heiraten, scheiterte, bin ich nach Berlin zurückgekehrt und habe angefangen, mich um Konzerte und Musiker zu kümmern. Für die britische Edgar Broughton Band habe ich 1975 meine erste Veranstaltung gemacht und Supertramp bei ihrem ersten Konzert in Berlin betreut.

 

Und wie sind Sie Managerin geworden?
Im April 1976 habe ich das Management der West-Berliner Band Wednesday übernommen und nebenbei für andere Bands auch Bookings gemacht. Dadurch, dass West-Berlin zu jener Zeit eine kleine Insel war, habe ich dann sämtliche Leute kennengelernt, die im Musikgeschäft unterwegs waren. Und so kam es, dass Peter Schimmelpfennig, der Labelchef von Pool, der die Platten der DDR-Bands im Westen vermarkten durfte, mich gefragt hat, ob ich nicht zu ihm kommen wolle, um noch eine Konzertagentur für die Bands aus der DDR aufzubauen. Ich war zuerst skeptisch, dann aber neugierig und wollte sehen, was daraus wird. 1980 gründeten wir die Konzertagentur Nordrock, die die Tournee-Geschäfte des Pool-Labels verantwortete, von Ost- und West-Gruppen.

 

Was war Ihre konkrete Aufgabe?
Da das Label, der dazu gehörige Verlag und Nordrock in einem Büro untergebracht waren, ging alles irgendwie ineinander über. Ich war für die Tourneen, dann auch Promotion, hauptsächlich der drei DDR-Bands Puhdys, City und Karat, zuständig, wobei es hier Unterschiede gab. Da Karat als Gruppe im Westen aufgebaut werden sollte, war ich bei deren Tourneen im Westen immer dabei. Die Tourneen der Puhdys und von City habe ich zwar geplant und organisiert, war aber selbst auf Tour nicht so häufig dabei. Es gab da noch andere Reisebegleiter. Daneben haben wir auch vereinzelt Konzerte von DDR-Solokünstlern in West-Berlin verantwortet.

 

Wie sah Ihre Arbeit im Bereich Promotion aus?
Um die Plattenverkäufe der Bands anzukurbeln, kümmerte ich mich um die Vertriebsleute von Teldec, damals eine der größten deutschen Schallplattenfirmen. Denn sie waren dafür zuständig, die Schallplatten-Automaten in den Kneipen zu bestücken und die Diskotheken zu beliefern, damit diese die Songs der Bands spielen. Das war in dieser Zeit extrem wichtig. Der Kontakt zur Presse – wir hatten viel Berichterstattung – und zum Fernsehen, war es ebenfalls. Die Bands sind etwa bei Disco mit Ilja Richter und in der ZDF-Hitparade bei Dieter Thomas Heck aufgetreten.

 

Wie sah Ihre persönliche Zusammenarbeit mit den drei Bands aus?
Da die Puhdys schon vorher im Westen gespielt hatten, war die Zusammenarbeit problemlos. Die Band war selbstbewusst, diszipliniert und professionell, es hat immer alles funktioniert. Für mich waren sie ein unglaubliches Phänomen. Mein erstes Puhdys-Konzert hat mich total geflasht: Als die Musiker auf die Bühne kamen, stieg das gesamte Publikum auf die Stühle. Und ich dachte: Was ist denn jetzt los? Das war total wahnsinnig. Und das war fast immer so bei denen.

 

Wie war es bei den anderen Musikern?
Die Mitglieder von Karat waren zuerst schüchtern, zurückhaltend, aber auch neugierig: Was, eine Frau als Tournee-Managerin? Mhm. Das hat sich dann schnell gelegt. Ich bin kein harter Business-, sondern mehr so Kumpeltyp und habe wirklich alles für die Jungs gemacht, sogar die Routen so gelegt, dass sie nicht lange fahren müssen. Catering kannten sie nicht, so etwas gab es drüben nicht. Ich habe stets bis ins kleinste Detail geplant und so organisiert, dass alles gut klappt. Aber das hatte auch seine Nachteile, denn ich habe die Band viel zu sehr verwöhnt. Einige wurden mit der Zeit immer fordernder. Ein Problem, das immer mehr zur Unzufriedenheit führte, war auch die Tatsache, dass die Gage für die Bands an die Künstleragentur der DDR abgetreten werden musste. Diese wiederum zahlte die Musiker nur zu einem kleinem Teil in D-Mark, zum großen Teil aber in DDR-Mark aus. Die Band wollte, was nachzuvollziehen ist, natürlich lieber Westgeld haben. Das konnten wir allerdings nicht ändern.

 

Gab es Überlegungen bei den Bands, im Westen zu bleiben?
Wir haben ab und zu drüber gesprochen, aber keiner wollte das. Es hatten ja alle Familien. Abgesehen davon, war den Bands auch bewusst, dass sie sehr privilegiert waren und viele Vorteile hatten – in West wie in Ost gefeiert wurden, gutes Geld verdienten und als DDR-Bands im Westen einfach etwas Exotisches waren. Wir waren ja nicht nur in der BRD auf Tour, sondern auch in der Schweiz, in Dänemark und Luxemburg. Karat ist im schwedischen Fernsehen aufgetreten. Die Puhdys waren 1980 sogar in London und haben dort ein Album auf Englisch aufgenommen.

 

Wurden die Musiker von der Staatssicherheit beobachtet?
Ich erfuhr erst im Nachhinein, dass es bei jeder „reisefähigen“ Band ein Mitglied gab, das der Staatssicherheit der DDR berichten musste. Damit nicht noch jemand zusätzlich mitreiste, musste es jemanden bandintern geben. Aber diese Musiker waren nicht linientreu, sondern haben nur so getan. Denn nicht jeder durfte reisen, es musste etwas „Positives“ vorliegen, was einen vertrauenswürdig machte, im Westen touren zu dürfen.
Wir hatten mit Karat in vielen Städten der BRD auch „Fans“ im Schlepptau, die uns im Auftrag der Stasi beobachtet haben. Sie haben meist auf eine lächerliche Art versucht, unauffällig zu sein, sodass wir sie immer bemerkten. Teilweise waren sie sehr penetrant. Uns hat mal einer verfolgt und ist uns nach dem Konzert hinterhergefahren. Im Hotel konnten wir ihn dann abschütteln. Wir mussten immer sehr aufpassen, was wir sagen, denn wir sind mit allen recht locker umgegangen. Vieles, etwa Kritik am System und der Herrschaft in der DDR, durfte gar nicht geäußert werden. Irgendwann habe ich dann mal ein Codewort erfunden, damit jeder Bescheid weiß, wenn wir wieder einen Spitzel bei uns haben. Es hieß „Jägerschnitzel“. Wir hatten dieses Gericht so oft im Catering zu essen bekommen, dass es völlig unverfänglich war, wenn einer von uns sagte: „Wenn es heute Abend wieder Jägerschnitzel gibt, dann will ich das heute nicht essen.“ Danach wusste jeder: Vorsicht ist geboten!

 

Was für ein Publikum hatten die drei DDR-Bands in der alten Bundesrepublik?
Ein völlig gemischtes, hauptsächlich junges Publikum, das einfach nur auf die Musik abgefahren ist.

 

Waren die drei Gruppen auch deshalb erfolgreich, weil sie auf Deutsch sangen?
Das war natürlich ein Vorteil für die DDR-Bands. Sie haben frühzeitig lernen müssen, mit der deutschen Sprache umzugehen, und hatten hervorragende Texter. Die deutsche Sprache ist irgendwie kantig und damit umzugehen, sie in Musik zu formen, ist wirklich eine Begabung. Das muss man können. Im Westen wurde zu der Zeit meistens nur Englisch gesungen. Und da war die Musik der DDR-Bands etwas ganz Besonderes. Das haben die Leute geliebt, weil sie die Texte richtig verstanden haben. Wir hatten manchmal Fans, die mit Tränen in den Augen an die Bühne kamen. „Ich habe im Krankenhaus gelegen und war so krank und habe euer Lied gehört und bin gesund geworden“, erinnere ich noch. Das war schon großartig.

 

Was ist Ihnen noch in besonderer Erinnerung?
Es gab bei den Karat-Tourneen Zeiten, da dachte ich, ich bin bei den Beatles. Da sind uns kreischende Teenies hinterhergerannt und -gereist. Die haben sogar herausgefunden, in welchen Hotels wir wohnten, und uns in Schwärmen erwartet. Ich habe öfter mein Zimmer abgetreten, weil ich die Verantwortung nicht übernehmen konnte, dass so junge Teenies nachts auf der Straße kampieren und habe dann irgendwo anders im Hotel geschlafen.

 

Gab es noch andere außergewöhnliche Situationen für die Bands?
Oh ja, jede Menge. So gab es bei Karat etwa eine Bombendrohung in Luxemburg – wegen einer Textzeile im Song „Der Blaue Planet“. Dann die Festnahme eines Roadies in München. Sie hatten nachts unbemerkt mit dem LKW ein altes Ladenschild in einer engen Gasse beschädigt. Als sie am nächsten Morgen losfahren wollten, war der LKW weg. Wir dachten, er wäre geklaut, aber bei der Polizei stellte sich heraus, dass er wegen angeblicher Fahrerflucht abgeschleppt wurde. Sie haben den Fahrer festgesetzt. Ein Ost-Roadie im Westen festgenommen – das war der reinste Horror und musste geheim gehalten werden. Es wäre das Aus gewesen. Es hat viel Verhandlungsgeschick, Nerven und noch mehr Geld gekostet, aus dieser fatalen Situation herauszukommen.
Außergewöhnlich war auch die Verleihung einer Goldenen Schallplatte an die Gruppe City für ihren Hit „Am Fenster“. Die Single wurde auch in Griechenland vermarktet und war dort so erfolgreich, dass sie 1981 Goldstatus erreichte. Es war die einzige Verleihung einer westlichen Goldenen Schallplatte in der DDR und fand im Ost-Berliner Hotel Metropol statt – unter Anwesenheit hoher Funktionäre. Wir, Peter Schimmelpfennig und ich, wurden damals am Grenzübergang Friedrichstraße einfach ohne Kontrolle durchgewunken, mit einer unverpackten Goldenen Schallplatte unterm Arm. Das war schon irgendwie unheimlich.

 

1983 beendeten Sie Ihre Arbeit als Tournee-Managerin der drei Bands.
Es gab verschiedene Gründe. Kontroversen mit Pool, die wachsende Unzufriedenheit von Karat wegen besagter Gagen und die Doppelbelastung, auf Tour zu sein und zugleich von unterwegs das Büro zu leiten – das alles hat mich ziemlich ausgelaugt. Ich bin ein leidenschaftlicher Backstage-Mensch und kann nicht ruhig danebensitzen, sondern muss immer etwas tun. Die Zeit mit den DDR-Bands war aufregend, aber auch sehr anstrengend. Ich litt unter Schlafstörungen und musste mich erst einmal regenerieren. Das Thema DDR war für mich damit aber nicht abgeschlossen. Im Sommer 1983 tourte ich als Managerin der West-Berliner Band F.O.X. durch den „Arbeiter- und Bauernstaat“. Aber das ist eine andere abenteuerliche Geschichte.

 

Vielen Dank.

 

Dieses Interview ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 02/2020.


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