Industriekultur 4.0

Leitbilder müssen auch Modernität und Zukunft widerspiegeln

 

Mit thematischem Blick auf die Kulturförderung setzt sich die Stiftung zum einem das Ziel, bergmännische Traditionen zu pflegen. So fördert sie seit Jahren auch die Knappenvereine, Bergmannstage oder die bergmännischen Klangkörper. Auch größere Kulturveranstaltungen mit überregionaler Strahlkraft nimmt die Stiftung in den Blick. Zu nennen sind hier beispielsweise die Ruhrfestspiele Recklinghausen oder die ExtraSchicht. Zum anderen trägt die RAG-Stiftung aber auch dazu bei, ausgewählte Industriedenkmale des Bergbaus in Nordrhein-Westfalen (NRW) und im Saarland zu erhalten. Den Leitrahmen dafür bildet die Erkenntnis der RAG-Stiftung-Zukunftsstudie, dass „die Strahlkraft einer Region nur durch die Verbindung von Tradition und Moderne entsteht“. Um hier ein nachhaltiges und kosteneffizientes Handeln zu gewährleisten, setzt die Stiftung, in Kooperation mit Vertretern beider Bundesländer, eine Denkmalstrategie um, bei der neueste wissenschaftliche Erkenntnisse einfließen. Wenn es zu entscheiden gilt, ob ein Industriedenkmal es „wert“ ist, erhalten zu bleiben, sind immer langfristig angelegte Konzepte der Denkmalpflege erforderlich. Und auch die Anerkennung als nationales Kulturgut wäre sinnvoll.

 

Die vom Land NRW und der RAG Aktiengesellschaft gegründete Stiftung Industriedenkmalpflege und Geschichtskultur sichert und erhält zwölf ausgewählte denkmalgeschützte Industrieanlagen im Ruhrgebiet, darunter die Kokerei Hansa in Dortmund sowie die Zechen Pattberg in Moers und Schlägel & Eisen in Herten. Die RAG-Stiftung fördert – in enger Abstimmung mit dem NRW-Ministerium für Heimat, Kommunales, Bau und Gleichstellung – die Institution bereits seit dem Jahr 2010. Für das Jahr 2020 steht hierfür ein höherer sechsstelliger Betrag zur Verfügung. Insgesamt beliefen sich die Förderungen bis heute auf rund 4,4 Millionen Euro.

 

Das Engagement der RAG-Stiftung soll dazu beitragen, dass auch kommende Generationen die Bergbautradition ihrer Heimat und die Werte der Bergleute erfahren. Aber nicht jedes Bauwerk kann für die Ewigkeit erhalten bleiben. Denn es braucht gleichzeitig auch Raum für Leitbilder, die auch Modernität und Zukunft widerspiegeln. Neben allen Traditionen prägte die Industrieregionen ein rasanter Strukturwandel, der vor allem die Menschen, aber auch die Wirtschaft immer wieder vor neue Herausforderungen stellte. Während die Städte im Osten aufholten, kämpfte der Westen mit Problemen. Deutschland, insbesondere das Ruhrgebiet, hat den Strukturwandel in beispielhafter Weise gemeistert und aus den Orten der Industriekultur modellhaft für Europa und im internationalen Zusammenhang Neues gestaltet. Und doch stellt der Rückzug von Kohle und Stahl und der damit bedingte Wegfall von Arbeits- und Ausbildungsplätzen noch immer eine große Herausforderung für die Menschen dar.

 

Industriedenkmale sind ein inspirierender Ort für Künstler, Events und Kreativwirtschaft, aber sie müssen noch auf mehr einzahlen: Sie müssen Raum geben für Arbeitsplätze, lebenswerte Wohnquartiere und engagierte Gründer. Hier den Spagat zu schaffen, muss erklärtes Ziel der Industriekultur sein. Das genau ist Industriekultur 4.0. Historisch gesehen, war das Ruhrgebiet schon immer ein Gründerstandort. Doch wurden die Erfolgsgeschichten bisher von großen Unternehmen der Montanindustrie geschrieben. Auch hier setzt das Engagement der RAG-Stiftung an: Wir wollen die Gründerszene stärken und beflügeln, Ideenfinder dazu ermutigen und befähigen, ihre eigenen Unternehmen zu gründen. Dies unterstützen wir mit Projekten wie der Gründerallianz, die in Kooperation mit dem Initiativkreis Ruhr entstanden ist – und die ebenfalls als Heimat das UNESCO-Welterbe Zollverein wählte. Auch das Essener Colosseum, das wir jüngst erworben haben, ist in diesem Zusammenhang ein wichtiger Baustein. Die denkmalgeschützte, ehemalige Krupp-Werkshalle soll in ihren historischen Wänden mit zukunftsgewandtem Leben gefüllt werden. Und wenn wir es schaffen, die historische Industriekultur zu bewahren, ihre Stätten mit neuem Leben zu füllen und zukunftsfähig zu machen, dann werden wir auch die Transformation der Region erfolgreich gestalten.

 

Der Beitrag ist zuerst in Politik & Kultur 5/20 erschienen.

Bernd Tönjes
Bernd Tönjes ist Vorstandsvorsitzender der RAG-Stiftung.
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