Lebendige Kultur- und Wirtschaftsstandorte

Eine Triologie zu Industriebauten und ihren Architekten

Die AEG-Turbinenhalle von Peter Behrens, das FagusWerk von Walter Gropius und der Erweiterungsbau des Feuerlöschgerätewerks von Egon Eiermann – sie zählen wohl zu den bekanntesten Bauten deutscher Industriekultur. Bemerkenswert sind jedoch neben ihren Entstehungsgeschichten die zur damaligen Zeit neuartige Formsprache sowie das Neudenken der Arbeitsbedingungen und vor allem, dass die Vertreter der Architekturgeschichte es geschafft haben, bis heute zu bestehen und noch immer als Fabriken und Produktionsstätten genutzt werden – wenn auch teils im übertragenen Sinne. Ihr Entstehen ist zurückzuführen auf die Verknüpfung eines fortschrittlichen Unternehmergeists mit der Vorstellungskraft und dem Ideenreichtum sehr junger Architekten – eine explosive Mischung, die zu zeitlosen und flexiblen, noch immer relevanten Architekturen führte. Es sind lebende Denkmäler, die sich im ständigen Prozess der Veränderung neuen Entwicklungen und Nutzungen anpassen.

 

Die Turbinenhalle der Allgemeinen Elektrizitätsgesellschaft (AEG), die in der Huttenstraße im Berliner Viertel Moabit steht, ging als „Tempel der Arbeit“ und „Maschinendom“, wie er von den Berlinern genannt wurde, in die Geschichte ein und ist eines der Schlüsselwerke der Architekturgeschichte. In großem Stil sollte Peter Behrens (1866-1940) im Auftrag Walter Rathenaus, dem Sohn des AEG-Gründers, für die kurz nach der Jahrhundertwende in die Produktion von Dampfturbinen eingestiegene Firma einen eindrucksvollen und kultivierten Bau entwerfen. Ein Projekt, das er 1909 zusammen mit dem Statiker Karl Bernhard realisierte. Statt auf historisierende Stilelemente oder die Backsteingotik der damaligen Industriebauten zurückzugreifen, entstand hier mit dem nicht verkleideten Konstruktionsgerüst aus Stahl und Glas eine völlig neue Sprache. Es dominieren großflächige, tragende Fensterformate, die sich leicht nach innen neigen und von massiv erscheinenden Elementen umrahmt werden. Bekannt ist das Werk – die AEG Turbinenhalle – vor allem für den Ausdruck einer völlig neuen Unternehmenskultur. Erstmals wurden mit der stützenfreien und lichtdurchfluteten Halle die Arbeitsbedingungen der Belegschaft mitgedacht.

 

Seit 1977 ist der Eigentümer des Geländes und der seit 1956 denkmalgeschützten Halle der Großkonzern Siemens, der diese noch immer zur Produktion von Gasturbinen nutzt. Die verbliebenen Fabriken auf dem restlichen Gelände werden als Technologie- und Innovationspark Berlin (TIP), von Instituten der Technischen Universität, Gewerbebetrieben und Medienunternehmen genutzt.

 

Behrens selbst, ursprünglich Maler, hatte an Kunstschulen in Hamburg, Karlsruhe und Düsseldorf studiert und war 1907 nach Berlin gegangen, wo er sich als selbständiger Architekt niederließ und künstlerischer Beirat der AEG wurde. Er übernahm die Gestaltung von Grafik, Reklame, Produkten und schließlich auch Fabrik- und Verwaltungsbauten – ein Spektrum, welches das heutige Konzept der Corporate Identity begründete und das Erscheinungsbild des Unternehmens nachhaltig prägte. Zeitweise arbeiteten in seinem Berliner Büro einige der später bekanntesten Vertreter der Architektur: Walter Gropius, Ludwig Mies van der Rohe und Le Corbusier.

 

Gropius (1883-1969) war es auch, der die Idee der modernen Fabrik weiterentwickelte. Mit 28 Jahren bekam er den Auftrag, den Vorentwurf des erfahrenen Industriebau-Architekten Eduard Werners für das Fagus-Werk zu überarbeiten, woraufhin 1911 in Zusammenarbeit mit Adolf Meyer das weltberühmte Gebäude mit der gläsernen Ecke entstand. Sein Ausspruch „Der Arbeit müssen Paläste errichtet werden“ ging einher mit den Vorstellungen des Fabrikbesitzers Carl Benscheidt, eine moderne Fabrik zu errichten, bei der das Arbeiten nicht mehr im Verborgenen stattfinden sollte, sondern in Verbindung mit der Außenwelt.

 

Besonders an der schmalen, dreistöckigen Fabrikanlage, die in Alfeld, 50 Kilometer südlich Hannovers, steht, sind die klaren Linien, auch hier die Materialien Glas und Stahl, sowie die breiten Fensterfronten und voll verglasten, stützenlosen Ecken des Werkstattgebäudes – konstruktiv war die verwendete Skelettbauweise – ein absolutes Novum. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts stand sie, wie bereits das Berliner Beispiel, im Kontrast zu den schwerfälligen Industriebauten der damaligen Zeit und vermittelt Leichtigkeit, Transparenz und eine freundliche Arbeitsatmosphäre, die sich bis heute gehalten hat. Im Inneren experimentierte Gropius mit Glasverkleidungen verschiedenster Art. „Fagus“, der lateinische Werksname, heißt zu Deutsch Buche und steht für den Rohstoff, der in der Produktionsstätte einst zu Schuhleisten verarbeitet wurde – heute sind diese meist aus Plastik. Nach wie vor werden sie in dem viel besuchten, 2011 zum UNESCO-Weltkulturerbe erklärten Bau, nach modernster Technik gefertigt.

 

Nachdem das Gebäude bereits zwei Generationen überlebt hatte, wurde es 1946 unter Denkmalschutz gestellt und von 1982 bis 2002 über einen Zeitraum von 20 Jahren saniert. Betrieben wird das heutige „Fagus-Grecon“ von Ernst Greten, dem Urenkel des Fabrikgründers. Es ist eine Ausbildungs- und Produktionsstätte für Schuhleisten, wird aber auch zur Herstellung von Maschinen zur Massivholzbearbeitung sowie Mess- und Brandschutzsystemen für die Holzwerkstoffindustrie genutzt – inzwischen mit einem Museum im ehemaligen Lagerhaus.

Riccarda Cappeller
Riccarda Cappeller ist Architekturjournalistin mit Fokus auf Projekten mit sozialem Hintergrund und neuen Nutzungsformen sowie wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Leibniz-Universität Hannover.
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