CETA: Die Blaupause – für die Europäische Demokratie

Eine Bilanz zur geplanten Freihandelszone zwischen Kanada und der Europäischen Union

3. Im CETA-Vertrag wird das in der EU geltende Vorsorgeprinzip durch das sogenannte „wissenschaftsbasierte“ Prinzip ersetzt. Das ist in den USA gängige Rechtspraxis: Potenziell gefährliche Produkte und Technologien können dort nicht „vorsorglich“ von den Behörden aus dem Verkehr gezogen werden, sondern erst, wenn ihre Schädlichkeit zweifelsfrei nachgewiesen ist – und das ist oft sehr schwer. Dieses System funktioniert in den USA leidlich, weil Hersteller von Produkten bei Fehlern mit Milliardenklagen von Betroffenen rechnen müssen. VW erlebt das gerade. Doch in Europa gibt es keine amerikanische Klageindustrie. Daher argumentieren vor allem Verbraucherschützer, dass es leichtsinnig ist, nun das Vorsorgeprinzip zu schwächen – zumal es in der Vergangenheit die Europäischen Bürger zwar nicht immer, aber oft gut geschützt hat: In der EU sind weit über 1300 Substanzen in Lippenstift, Lidschatten und Co. wegen möglicher Gesundheitsgefahren verboten, in den USA sind es wegen nachgewiesener Gefahren elf.

 

4. CETA gilt als „lebendes Abkommen“. Ein sogenannter Hauptausschuss wird den Vertrag weiterentwickeln. Durch ihn können völkerrechtlich verbindliche Entscheidungen getroffen werden. Kritiker sorgen sich, dass dadurch die Parlamente umgangen werden.

 

All diese Kritikpunkte wiegen schwer – zumal sie nicht nur von traditionellen Globalisierungsgegnern, sondern von ganz unterschiedlichen Experten aus ganz unterschiedlichen Gruppen vorgetragen werden: Da protestieren der Deutsche Richterbund gegen die Schiedsgerichte. Völkerrechtler gegen den Hauptausschuss und Verbraucherinitiativen gegen die Aufgabe des Vorsorgeprinzips. Doch die Brüsseler EU-Kommission ignoriert all dies konsequent – aus taktischen Gründen. Sie will CETA möglichst bald vom Tisch haben. Denn seit immer offensichtlicher ist, dass der TTIP-Vertrag so bald nicht fertig wird, hat der Vertrag auch für Brüssel eine symbolische Bedeutung bekommen: Die Vollendung der Freihandelszone mit Kanada soll beweisen, dass man dort noch irgendetwas hinkriegt. Jede weitere Diskussion über die Inhalte würde das verzögern.

 

Noch bis zum Frühsommer hatte die Kommission gehofft, ihr Ziel einfach durch möglichst wenig demokratische Beteiligung zu erreichen. Frei nach dem Motto: Je weniger Parlamente über das Abkommen reden und entscheiden, desto weniger hat der Protest eine Chance. Sie wollte den Vertrag daher als „Nur-EU-Abkommen“ einstufen. Damit hätte ihr das grüne Licht vom Rat der Regierungen und vom EU-Parlament gereicht. Doch der Protest gegen diese Taktik wurde so groß, dass die Regierungen das nicht zulassen konnten. Sie zeigten Brüssel die rote Karte. Und so legte die Kommission CETA dann Anfang Juli als »gemischtes Abkommen« zur Abstimmung vor – unter Protest. Dadurch dürfen nun auch der Bundestag und die anderen nationalen Parlamente über den Vertrag entscheiden. Der Jubel über diese vermeintliche neue Bürgernähe währte allerdings kurz: Denn auch dieser Schritt erwies sich schnell als reine Taktik. Die Kommission schlägt das Abkommen nun zugleich auch zur „vorläufigen Anwendung“ vor. Das klingt technisch, ist aber von enormer Tragweite. Stimmen der EU-Rat (der Regierungen) und das EU-Parlament diesem juristischen Kniff zu, dann würde die europäisch-kanadische Freihandelszone faktisch ab Herbst existieren. Dann wäre auch der meist umstrittene Teil des Abkommens wirksam: der besondere Investitionsschutz für kanadische Firmen. Und zwar, bevor der Bundestag dem Vertrag überhaupt zugestimmt hat.

 

Passiert dies, wäre wahrscheinlich ziemlich irrelevant, was die nationalen Parlamente noch zu CETA sagen. Denn viele der Rechtsvorschriften wären einfach in der Welt, viele Unternehmen könnten ihre Geschäfte danach ausrichten. Ob und wie diese dann später zurückgenommen werden können – darüber streiten sich die Juristen schon jetzt.

 

Noch könnte auch dieser Plan der Kommission gestoppt werden: Wenn die Regierungen oder auch das EU-Parlament einfach „Nein“ sagen – und das mit einem Reformauftrag verbinden: Warum nicht CETA doch noch einmal nachverhandeln und damit dann eine wirklich gute Blaupause für TTIP schaffen? Warum nicht die umstrittenen Schiedsgerichte aus dem Vertrag streichen, die Kanada ursprünglich sowieso nicht wollte. Warum nicht die öffentlichen Dienstleistungen vor Zwangsprivatisierungen besser schützen und das Vorsorgeprinzip besser im Vertrag verankern? CETA würde durch solche Reformen zum Modell für moderne Handelsverträge.

 

Noch will man in Brüssel von solchen Ideen nichts hören. Unbeirrt von allem Protest glaubt die Kommission immer noch, mit der Handelspolitik einfach wie bisher weitermachen zu können.

 

Doch damit verpasst sie derzeit die Chance: Denn gerade in Kanada genießt Europa so viel Sympathie, dass mit dieser Regierung eine moderne, soziale und umweltfreundliche Handelspolitik sicher möglich wäre. Trudeau gehört doch zu den Guten.

Petra Pinzler
Petra Pinzler ist Autorin des Buches "Der Unfreihandel", erschienen bei Rowohlt, 2015.
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