Petra Pinzler - 26. August 2016 Kulturrat_Logo_72dpi-01

CETA

CETA: Die Blaupause – für die Europäische Demokratie


Eine Bilanz zur geplanten Freihandelszone zwischen Kanada und der Europäischen Union

In diesem Herbst entscheidet sich, ob die EU-Kommission das europäisch-kanadische Abkommen CETA durchpeitschen kann – oder ob Regierungen und Abgeordnete den Bürgerprotest doch ernst nehmen und das Projekt noch mal überarbeiten: Zugunsten von Demokratie, Umweltschutz und sozialer Sicherheit.

 

Der neue kanadische Premierminister Justin Trudeau wird gern der Kennedy des Nordens genannt – und zwar nicht nur, weil er ziemlich gut aussieht. Der Mann hat auch ähnliche politische Ziele wie der legendäre amerikanische Präsident, er investiert in Bildung und Infrastruktur, kämpft gegen den Klimawandel und unterstützt auf vielerlei Weise die internationale Zusammenarbeit. Als er kurz nach seinem Wahlsieg gefragt wurde, warum sein Kabinett zur Hälfte aus Frauen bestehe, antwortete er nur knapp: „Weil wir 2015 haben!“ Justin Trudeau, so könnte man zusammenfassen, ist ein Mann, mit dem Europa gut und mehr zusammenarbeiten sollte.

 

Genau so argumentiert auch die EU-Kommission – wenn es um den europäisch-kanadischen Freihandelsvertrag CETA geht. Leider nur gibt es bei diesem Projekt ein fundamentales Problem. Und das wiederum verschweigt die Brüsseler Behörde gern: Der CETA-Vertrag stammt gar nicht von Trudeau! Er wurde noch unter dessen Vorgänger Stephen Harper, und damit von einer der marktliberalsten und umweltfeindlichsten Regierungen der letzten Jahrzehnte verhandelt. Die wurde zwar von den Kanadiern 2015 mit einem vernichtenden Ergebnis abgewählt. Doch da war CETA bereits fertig verhandelt.

 

In diesem Herbst nun soll CETA aktiviert werden. Die EU-Kommission braucht dafür vom EU-Rat der Regierungen und vom Europäischen Parlament grünes Licht. Diese Gremien sollen den Vertrag dann auch gleich „vorläufig in Kraft setzen“ und zwar bevor die nationalen Parlamente überhaupt darüber abgestimmt haben. Genau das aber wäre fatal: Den Europäern würde damit ein Vertrag mit zweifelhaftem Inhalt durch ein intransparentes und von vielen auch wenig legitimiertes Verfahren untergejubelt. Und es gäbe kaum noch eine Chance, dies rückgängig zu machen.

 

Genau deswegen wird der Umgang mit CETA in diesem Herbst zum Symbol: Entweder können die Brüsseler Behörden eine neoliberale Handelspolitik auch gegen den wachsenden Protest der Bürger und einiger Parlamente durchpeitschen – unterstützt vom EU-Rat und dem EU-Parlament. Oder diese beiden Gremien hören auf den wachsenden Protest der Bürger und die vielen Kritiker, die längst Vorschläge für eine demokratischere, umweltfreundlichere und sozialere Handelspolitik erarbeitet haben. Und die daher den CETA-Vertragstext noch einmal ändern wollen. Möglich sind beide Szenarien.

 

Der Streit um CETA ist noch aus einem anderen Grund richtungsweisend: CETA ist die Blaupause für TTIP, für das geplante, aber noch lange nicht fertig verhandelte europäisch-amerikanische Abkommen. Denn wie bei TTIP geht es auch bei CETA um weit mehr als nur die Senkung von ein paar Zöllen oder die Harmonisierung einiger Standards. Der Vertrag greift tief in viele Bereiche des Wirtschaftens, Arbeitens und Lebens ein. Er formuliert Regeln zum Umweltschutz, zum Umgang mit der Kulturwirtschaft und zum Verhältnis von Staat und Markt. Dabei entzündet sich die Kritik immer wieder an vier Punkten:

 

1. CETA räumt ausländischen Investoren weitreichende Klagerechte ein. Unternehmen mit Sitz in Kanada können europäische Staaten künftig vor Schiedsgerichten auf Schadensersatz verklagen. Zwar bieten auch andere bilaterale Verträge bereits diese Möglichkeit, doch durch CETA würde die Zahl der Konzerne, die diese Möglichkeit nutzen können, massiv steigen. Denn auch US-Unternehmen könnten ihre kanadischen Töchter zu diesem Zweck nutzen. Tritt CETA in Kraft, bräuchten sie also zumindest in diesem Bereich TTIP gar nicht mehr.

 

2. CETA wird den Spielraum der nationalen Wirtschaftspolitik einschränken, durch sogenannte Negativlisten. Das klingt technisch, hat aber weitreichende Folgen: Denn es bedeutet, dass die Wirtschaft einem allgemeinen Liberalisierungsgebot unterworfen wird. Bereiche, die nicht immer weiter für den Markt geöffnet werden sollen, mussten im Vertrag explizit gelistet werden – nach dem Prinzip „list it or lose it“. Deswegen schrieb die kanadische Provinz Nunavut beispielsweise in den Vertrag, dass sie den Handel mit Fisch beschränken kann oder Deutschland behielt sich das Recht vor, privat betriebene Bundeswehrkrankenhäuser möglicherweise wieder zu verstaatlichen. Das klingt absurd kleinteilig, aber es macht klar, wo die Gefahr liegt: Was auf den Listen vergessen wurde, kann nur schwer wieder in staatliche Obhut genommen werden. So wird beispielsweise die Rekommunalisierung von Dienstleistungen schwerer. Die Stadtwerke Köln und Karlsruhe, aber auch andere kommunale Dienstleister, haben in Gutachten vor dieser Gefahr gewarnt. Bisher vergeblich.


3. Im CETA-Vertrag wird das in der EU geltende Vorsorgeprinzip durch das sogenannte „wissenschaftsbasierte“ Prinzip ersetzt. Das ist in den USA gängige Rechtspraxis: Potenziell gefährliche Produkte und Technologien können dort nicht „vorsorglich“ von den Behörden aus dem Verkehr gezogen werden, sondern erst, wenn ihre Schädlichkeit zweifelsfrei nachgewiesen ist – und das ist oft sehr schwer. Dieses System funktioniert in den USA leidlich, weil Hersteller von Produkten bei Fehlern mit Milliardenklagen von Betroffenen rechnen müssen. VW erlebt das gerade. Doch in Europa gibt es keine amerikanische Klageindustrie. Daher argumentieren vor allem Verbraucherschützer, dass es leichtsinnig ist, nun das Vorsorgeprinzip zu schwächen – zumal es in der Vergangenheit die Europäischen Bürger zwar nicht immer, aber oft gut geschützt hat: In der EU sind weit über 1300 Substanzen in Lippenstift, Lidschatten und Co. wegen möglicher Gesundheitsgefahren verboten, in den USA sind es wegen nachgewiesener Gefahren elf.

 

4. CETA gilt als „lebendes Abkommen“. Ein sogenannter Hauptausschuss wird den Vertrag weiterentwickeln. Durch ihn können völkerrechtlich verbindliche Entscheidungen getroffen werden. Kritiker sorgen sich, dass dadurch die Parlamente umgangen werden.

 

All diese Kritikpunkte wiegen schwer – zumal sie nicht nur von traditionellen Globalisierungsgegnern, sondern von ganz unterschiedlichen Experten aus ganz unterschiedlichen Gruppen vorgetragen werden: Da protestieren der Deutsche Richterbund gegen die Schiedsgerichte. Völkerrechtler gegen den Hauptausschuss und Verbraucherinitiativen gegen die Aufgabe des Vorsorgeprinzips. Doch die Brüsseler EU-Kommission ignoriert all dies konsequent – aus taktischen Gründen. Sie will CETA möglichst bald vom Tisch haben. Denn seit immer offensichtlicher ist, dass der TTIP-Vertrag so bald nicht fertig wird, hat der Vertrag auch für Brüssel eine symbolische Bedeutung bekommen: Die Vollendung der Freihandelszone mit Kanada soll beweisen, dass man dort noch irgendetwas hinkriegt. Jede weitere Diskussion über die Inhalte würde das verzögern.

 

Noch bis zum Frühsommer hatte die Kommission gehofft, ihr Ziel einfach durch möglichst wenig demokratische Beteiligung zu erreichen. Frei nach dem Motto: Je weniger Parlamente über das Abkommen reden und entscheiden, desto weniger hat der Protest eine Chance. Sie wollte den Vertrag daher als „Nur-EU-Abkommen“ einstufen. Damit hätte ihr das grüne Licht vom Rat der Regierungen und vom EU-Parlament gereicht. Doch der Protest gegen diese Taktik wurde so groß, dass die Regierungen das nicht zulassen konnten. Sie zeigten Brüssel die rote Karte. Und so legte die Kommission CETA dann Anfang Juli als »gemischtes Abkommen« zur Abstimmung vor – unter Protest. Dadurch dürfen nun auch der Bundestag und die anderen nationalen Parlamente über den Vertrag entscheiden. Der Jubel über diese vermeintliche neue Bürgernähe währte allerdings kurz: Denn auch dieser Schritt erwies sich schnell als reine Taktik. Die Kommission schlägt das Abkommen nun zugleich auch zur „vorläufigen Anwendung“ vor. Das klingt technisch, ist aber von enormer Tragweite. Stimmen der EU-Rat (der Regierungen) und das EU-Parlament diesem juristischen Kniff zu, dann würde die europäisch-kanadische Freihandelszone faktisch ab Herbst existieren. Dann wäre auch der meist umstrittene Teil des Abkommens wirksam: der besondere Investitionsschutz für kanadische Firmen. Und zwar, bevor der Bundestag dem Vertrag überhaupt zugestimmt hat.

 

Passiert dies, wäre wahrscheinlich ziemlich irrelevant, was die nationalen Parlamente noch zu CETA sagen. Denn viele der Rechtsvorschriften wären einfach in der Welt, viele Unternehmen könnten ihre Geschäfte danach ausrichten. Ob und wie diese dann später zurückgenommen werden können – darüber streiten sich die Juristen schon jetzt.

 

Noch könnte auch dieser Plan der Kommission gestoppt werden: Wenn die Regierungen oder auch das EU-Parlament einfach „Nein“ sagen – und das mit einem Reformauftrag verbinden: Warum nicht CETA doch noch einmal nachverhandeln und damit dann eine wirklich gute Blaupause für TTIP schaffen? Warum nicht die umstrittenen Schiedsgerichte aus dem Vertrag streichen, die Kanada ursprünglich sowieso nicht wollte. Warum nicht die öffentlichen Dienstleistungen vor Zwangsprivatisierungen besser schützen und das Vorsorgeprinzip besser im Vertrag verankern? CETA würde durch solche Reformen zum Modell für moderne Handelsverträge.

 

Noch will man in Brüssel von solchen Ideen nichts hören. Unbeirrt von allem Protest glaubt die Kommission immer noch, mit der Handelspolitik einfach wie bisher weitermachen zu können.

 

Doch damit verpasst sie derzeit die Chance: Denn gerade in Kanada genießt Europa so viel Sympathie, dass mit dieser Regierung eine moderne, soziale und umweltfreundliche Handelspolitik sicher möglich wäre. Trudeau gehört doch zu den Guten.


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