CETA: Die Blaupause – für die Europäische Demokratie

Eine Bilanz zur geplanten Freihandelszone zwischen Kanada und der Europäischen Union

In diesem Herbst entscheidet sich, ob die EU-Kommission das europäisch-kanadische Abkommen CETA durchpeitschen kann – oder ob Regierungen und Abgeordnete den Bürgerprotest doch ernst nehmen und das Projekt noch mal überarbeiten: Zugunsten von Demokratie, Umweltschutz und sozialer Sicherheit.

 

Der neue kanadische Premierminister Justin Trudeau wird gern der Kennedy des Nordens genannt – und zwar nicht nur, weil er ziemlich gut aussieht. Der Mann hat auch ähnliche politische Ziele wie der legendäre amerikanische Präsident, er investiert in Bildung und Infrastruktur, kämpft gegen den Klimawandel und unterstützt auf vielerlei Weise die internationale Zusammenarbeit. Als er kurz nach seinem Wahlsieg gefragt wurde, warum sein Kabinett zur Hälfte aus Frauen bestehe, antwortete er nur knapp: „Weil wir 2015 haben!“ Justin Trudeau, so könnte man zusammenfassen, ist ein Mann, mit dem Europa gut und mehr zusammenarbeiten sollte.

 

Genau so argumentiert auch die EU-Kommission – wenn es um den europäisch-kanadischen Freihandelsvertrag CETA geht. Leider nur gibt es bei diesem Projekt ein fundamentales Problem. Und das wiederum verschweigt die Brüsseler Behörde gern: Der CETA-Vertrag stammt gar nicht von Trudeau! Er wurde noch unter dessen Vorgänger Stephen Harper, und damit von einer der marktliberalsten und umweltfeindlichsten Regierungen der letzten Jahrzehnte verhandelt. Die wurde zwar von den Kanadiern 2015 mit einem vernichtenden Ergebnis abgewählt. Doch da war CETA bereits fertig verhandelt.

 

In diesem Herbst nun soll CETA aktiviert werden. Die EU-Kommission braucht dafür vom EU-Rat der Regierungen und vom Europäischen Parlament grünes Licht. Diese Gremien sollen den Vertrag dann auch gleich „vorläufig in Kraft setzen“ und zwar bevor die nationalen Parlamente überhaupt darüber abgestimmt haben. Genau das aber wäre fatal: Den Europäern würde damit ein Vertrag mit zweifelhaftem Inhalt durch ein intransparentes und von vielen auch wenig legitimiertes Verfahren untergejubelt. Und es gäbe kaum noch eine Chance, dies rückgängig zu machen.

 

Genau deswegen wird der Umgang mit CETA in diesem Herbst zum Symbol: Entweder können die Brüsseler Behörden eine neoliberale Handelspolitik auch gegen den wachsenden Protest der Bürger und einiger Parlamente durchpeitschen – unterstützt vom EU-Rat und dem EU-Parlament. Oder diese beiden Gremien hören auf den wachsenden Protest der Bürger und die vielen Kritiker, die längst Vorschläge für eine demokratischere, umweltfreundlichere und sozialere Handelspolitik erarbeitet haben. Und die daher den CETA-Vertragstext noch einmal ändern wollen. Möglich sind beide Szenarien.

 

Der Streit um CETA ist noch aus einem anderen Grund richtungsweisend: CETA ist die Blaupause für TTIP, für das geplante, aber noch lange nicht fertig verhandelte europäisch-amerikanische Abkommen. Denn wie bei TTIP geht es auch bei CETA um weit mehr als nur die Senkung von ein paar Zöllen oder die Harmonisierung einiger Standards. Der Vertrag greift tief in viele Bereiche des Wirtschaftens, Arbeitens und Lebens ein. Er formuliert Regeln zum Umweltschutz, zum Umgang mit der Kulturwirtschaft und zum Verhältnis von Staat und Markt. Dabei entzündet sich die Kritik immer wieder an vier Punkten:

 

1. CETA räumt ausländischen Investoren weitreichende Klagerechte ein. Unternehmen mit Sitz in Kanada können europäische Staaten künftig vor Schiedsgerichten auf Schadensersatz verklagen. Zwar bieten auch andere bilaterale Verträge bereits diese Möglichkeit, doch durch CETA würde die Zahl der Konzerne, die diese Möglichkeit nutzen können, massiv steigen. Denn auch US-Unternehmen könnten ihre kanadischen Töchter zu diesem Zweck nutzen. Tritt CETA in Kraft, bräuchten sie also zumindest in diesem Bereich TTIP gar nicht mehr.

 

2. CETA wird den Spielraum der nationalen Wirtschaftspolitik einschränken, durch sogenannte Negativlisten. Das klingt technisch, hat aber weitreichende Folgen: Denn es bedeutet, dass die Wirtschaft einem allgemeinen Liberalisierungsgebot unterworfen wird. Bereiche, die nicht immer weiter für den Markt geöffnet werden sollen, mussten im Vertrag explizit gelistet werden – nach dem Prinzip „list it or lose it“. Deswegen schrieb die kanadische Provinz Nunavut beispielsweise in den Vertrag, dass sie den Handel mit Fisch beschränken kann oder Deutschland behielt sich das Recht vor, privat betriebene Bundeswehrkrankenhäuser möglicherweise wieder zu verstaatlichen. Das klingt absurd kleinteilig, aber es macht klar, wo die Gefahr liegt: Was auf den Listen vergessen wurde, kann nur schwer wieder in staatliche Obhut genommen werden. So wird beispielsweise die Rekommunalisierung von Dienstleistungen schwerer. Die Stadtwerke Köln und Karlsruhe, aber auch andere kommunale Dienstleister, haben in Gutachten vor dieser Gefahr gewarnt. Bisher vergeblich.

Petra Pinzler
Petra Pinzler ist Autorin des Buches "Der Unfreihandel", erschienen bei Rowohlt, 2015.
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