Gleichberechtigung in der Bildenden Kunst

Goldrausch fördert Künstlerinnen seit 1989

Seit 30 Jahren besteht das Goldrausch Künstlerinnenprojekt, das Bildende Künstlerinnen fördert, um die wirtschaftliche und berufliche Diskrepanz zwischen Künstlerinnen und Künstlern zu minimieren. Cornelie Kunkat spricht mit Hannah Kruse von Goldrausch über Erfahrungen, Hemmnisse und Chancen.

 

Cornelie Kunkat: Seit wann gibt es das Goldrausch-Programm und aus welcher Erkenntnis heraus wurde es gegründet?

Hannah Kruse: Das erste Künstlerinnenprojekt, damals noch ein zweijähriges Professionalisierungsprogramm, startete – lang ist es her – 1989 in Westberlin. Anstoß war die offensichtliche Kluft zwischen der künstlerischen Sichtbarkeit von Frauen und Männern. Das Goldrausch Frauennetzwerk, unser Trägerverein, setzt sich für die wirtschaftliche und berufliche Gleichberechtigung von Frauen ein. Denn in der Bildenden Kunst ist die Diskrepanz besonders groß: Zwei Drittel der Kunststudierenden sind weiblich, dennoch haben Männer nach dem Studium ungleich größere Chancen, künstlerisch erfolgreich zu sein. So liegt das aktuelle Einkommens-Gender-Gap von Bildenden Künstlerinnen bei 28 Prozent, gesamtgesellschaftlich indes bei 21 Prozent. In unserem einjährigen Professionalisierungsprogramm erarbeiten Frauen sich das für den Beruf erforderliche Rüstzeug, um ihre Kunst sichtbar zu machen und erfolgreich zu sein.

 

Goldrausch vermittelt Bildenden Künstlerinnen berufsspezifische
Kenntnisse, die diese Frauen für eine selbständige Tätigkeit benötigen. Welche Schwerpunkte werden hier gesetzt?

Kunst muss öffentlich sein, um rezipiert zu werden. Wir setzen daher auf drei öffentliche und bleibende Produktionsformate, die jede Künstlerin im Kurs erstellt: Erstens, die eigene, stets aktualisierbare Webseite, zweitens die individuelle Katalogbroschüre und drittens die große Gruppenausstellung mit vielen Vermittlungsangeboten. Darüber hinaus bieten wir viel berufsspezifisches Wissen, das für aktuelle Kunstproduktion und Selbständige wesentlich ist: von Steuer- über Urheberrecht bis zu Zeitmanagement. Die Teilnehmerinnen lernen, durch die Seminarleitenden, bei Galeriebesuchen und in Kuratorinnen- und Kuratorengesprächen das „Kunstfeld“ Berlin kennen und bilden so ein großes Netzwerk. In der Gesamtheit ermöglicht es den Teilnehmerinnen, selbst- und zielbewusst zu handeln, d. h. Akteurinnen zu sein.

 

Bringt jedes Jahrzehnt neue Herausforderungen für die Künstlerinnen oder sind diese eher konstant?

Das Goldrausch-Programm beobachtet und begleitet die Entwicklung der Kunstszene der Stadt von der Nischenexistenz in Westberlin zu Europas größter Kunstproduktionsstätte. Die Szenen werden viel internationaler, zugleich steigen ökonomische Zwänge. Ateliers müssen wegen der Gentrifizierung weichen. Auf diesen Druck reagieren wir seit 2019 mit einem kompakteren Programm, das an zwei Tagen pro Woche mit Gruppen- und Einzelterminen bei gleichen Inhalten den Künstlerinnen mehr Freiraum bietet, damit sie parallel zur Kursteilnahme arbeiten können.

 

Verfügen Bildende Künstler, also Männer, von allein über die Kenntnisse, die Sie in Ihrem Programm vermitteln?

Nein, aber sie können leichter und schneller in bereits vorhandenen, informellen männlichen Netzwerken Fuß fassen. Unser Programm zeigt den Künstlerinnen individuelle Wege auf, um mit kommunikativen und unternehmerischen Kompetenzen ihre eigenen Rollen im Kunstfeld einzunehmen. Das erforderliche Wissen und die notwendigen Schritte zur Umsetzung erarbeiten die Teilnehmerinnen im Dialog mit ihrer PeerGroup.

 

Konnten Sie darauf hinwirken, dass diese offenbar fehlenden Kenntnisse auch von den Hochschulen in ihr Curriculum aufgenommen werden?

Viele Hochschulen haben berufliche Inhalte im Programm, wir selber bieten teilweise dort Portfolio-Reviews an. Viele Goldrausch-Absolventinnen sind mittlerweile selber Akademie-Professorinnen. Unser Ansatz ist ein anderer: Der gemeinsame Berufseinstieg, auch Wiedereinstieg, in einer verlässlichen Gruppe von Frauen, die sich unterstützen und mit Feedback begleiten, hilft in dieser entscheidenden Gründungsphase. Die hohe Zahl an Bewerbungen, die uns erreicht, bestätigt dieses Alleinstellungsmerkmal.

 

Welche größten Hemmnisse verstellen Frauen den Weg in den Kunstmarkt bzw. die Kunstöffentlichkeit?

In vielen Bereichen spielen das männlich konnotierte, dem Geniekult huldigende Künstlerbild eine Rolle wie auch „Old-Boys-Networks“ – in dem ein Altstar eine jugendliche Version seiner selbst protegiert. Zudem sind die Verkaufspreise für Kunst von Frauen deutlich niedriger, das erschwert es Galerien, auf teuren Messen noch nicht etablierte Künstlerinnen zu zeigen – denn die Kosten müssen ja wieder eingespielt werden. Bei öffentlicher Kunstförderung fordern wir das „Gender-Budgeting“ sowie die Koppelung von Förderung an ein Programm, das die Kunst von Frauen einschließt – das hat Vorbildfunktion.

 

Goldrausch ist mittlerweile etabliert. Gelingt es Ihnen, die vielen Jahrgänge in einem großen Netzwerk zusammenzubinden?

Das Goldrausch-Netzwerk hat viele Facetten: Die einzelnen Jahrgänge bleiben miteinander in Kontakt. Dauerhaft ist in vielen Fällen die Kooperation mit Autorinnen und Autoren oder Grafikerinnen und Grafikern, und mit Dozierenden, die ihre Expertise oft über den Kurs hinaus zur Verfügung stellen. Wir bieten Stammtische für alle Ehemaligen, mittlerweile sind das über 400 Künstlerinnen. Die gemeinsame Erfahrung bringt Künstlerinnen, die sich vorher nicht kannten, zusammen.

 

Welche Voraussetzungen muss eine Bewerberin für Ihr Programm mitbringen?

Sie sollte ihre Ausbildung abgeschlossen haben und ihre künstlerische Arbeit so weit für sich selbst gefestigt haben, um im Kursprogramm Öffentlichkeit für Ihre Werke herstellen zu können. Wir sind offen für alle Kunstformen, von Malerei über Performance zu Sound Art und anderen Sparten. Grundkenntnisse der deutschen Sprache sind wichtig, jede Frau kann aber alles in Englisch einreichen und beitragen. Das Alter spielt keine Rolle. Und die Kurstermine sind mit Familienaufgaben kompatibel. Eine der Bedingungen ist, dass die Kursteilnehmerin in Berlin wohnt, Zeit und Engagement mitbringt. Die Vielseitigkeit der Künstlerinnen und ihrer Werke, und deren Unterschiedlichkeit ist das, was das gemeinsame Kursjahr so reichhaltig und produktiv macht.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 07-08/2019.

Hannah Kruse und Cornelie Kunkat
Hannah Kruse ist Kunstwissenschaftlerin und Leiterin des Goldrausch Künstlerinnenprojektes. Cornelie Kunkat ist Referentin für Frauen in Kultur und Medien beim Deutschen Kulturrat.
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