Eine Grundbedingung der Demokratie

Pro Quote Film fordert Geschlechtergerechtigkeit in der Filmbranche

Pro Quote Film ging aus der Initiative Pro Quote Regie hervor. Mit über 500 engagierten filmschaffenden Frauen ist die Organisation zu einer politischen Bewegung für eine geschlechtergerechte, diverse Gesellschaft geworden. Cornelie Kunkat spricht mit Gründungsmitglied Tatjana Turanskyj.

 

Cornelie Kunkat: Wann kam es zur Gründung von Pro Quote Film und was waren die zentralen Beweggründe?
Tatjana Turanskyj: Pro Quote Film ist aus der Initiative Pro Quote Regie hervorgegangen, die wir 2014 gegründet haben. Diese Erweiterung war ein logischer Schritt. Denn die Gewerke verbindet bei allen Unterschieden das gemeinsame Ziel: mehr Frauen vor und hinter der Kamera. Am Anfang stand ein Gefühl, als Filmemacherin nicht wahrgenommen zu werden und nicht so zum Zuge zu kommen wie die Kollegen. Andere wiederum empfanden, dass ihre Karriere stagniert, während Kollegen vorbeiziehen. Es war ein Gefühl – von Diskriminierung haben wir nicht gesprochen. Aber Gefühle brauchen Beweise. Deshalb hat Pro Quote Regie 2013/14 zunächst in „Heimarbeit“ erste Statistiken erstellt, die Anzahl von Regisseurinnen im TV gezählt und die Förderzahlen analysiert. Das Ergebnis war ernüchternd: Nur durchschnittlich 15 Prozent aller (Fernseh-)Filme werden von Regisseurinnen gemacht, obwohl 42 Prozent aller Hochschulabgängerinnen im Filmbereich weiblich sind.

 

Was war Ihr nächster Schritt, nachdem sich das vage Gefühl zu bestätigen schien?
2017 wurde auf unsere Initiative die Studie „Gender & Film, Gender & Fernsehfilm“ von der Filmförderungsanstalt (FFA), ARD und ZDF veröffentlicht. Diese zeigt deutlich, dass die mangelnde Beschäftigung von Frauen nicht nur die Regie, sondern alle kreativen Schlüsselpositionen betrifft. Es sind strukturelle Benachteiligungen, die verhindern, dass sich das kreative weibliche Potenzial entfalten kann.

 

Welche Muster konnten identifiziert werden?
Die Studie benennt konkrete Barrieren für Frauen im Film- und Fernsehgeschäft: Auf der Entscheidungsebene herrscht Risikoaversion und Mutlosigkeit, man setzt auf Altbekanntes und fördert scheinbar Bewährtes. Hinzu kommen stereotype Wahrnehmungskriterien bei der Beurteilung von Personen und Projekten sowie männlich konnotierte Berufsbilder, die Frauen in den kreativen Schlüsselpositionen verhindern. Insgesamt betrachtet sind Studien sehr wichtig für unsere Arbeit. Denn mit jeder weiteren erfahren wir mehr über die Ursachen von Diskriminierung, über Sexismus konkret in der Filmbranche, wie in der Kultur insgesamt.

 

Auf welche Erfolge kann das Netzwerk bereits zurückblicken?
Als wir uns 2014 gegründet haben, gab es so gut wie kein Problembewusstsein aufseiten der Entscheiderinnen und Entscheider. Wir stießen mit unseren Forderungen auf eine Mauer aus Ignoranz bei Sendern und Förderanstalten. Das hat sich in nur fünf Jahren völlig verändert. Wir haben einen Bewusstseinswandel angestoßen. Niemand in der Branche kommt heute an Gleichstellungsfragen vorbei. Das ist vielleicht der größte Erfolg unserer Arbeit, denn Veränderung beginnt bekanntlich in den Köpfen.

 

Ist dieser Bewusstseinswandel messbar?
Ja, der konkrete Output unserer Arbeit kann sich sehen lassen: Wir konnten eine Gesetzesänderung erwirken. Bei der Novellierung des Filmförderungsgesetzes (FFG) wurden ein allgemeiner Paragraf zur Geschlechtergerechtigkeit und die paritätische Besetzung der Gremien festgeschrieben. Aktuell werden alle Fördergremien der Filmförderer deshalb paritätisch besetzt.
Zudem gibt es erste Quoten beim Fernsehen! Studio Hamburg hat eine 50-Prozent-Quote für alle Serienformate eingeführt und die ARD-Degeto will eine 25-Prozent-Quote für Regisseurinnen. Beide Firmen gehören zu den größten Fernseh- und Kinoproduktionsfirmen in Deutschland.
Schließlich hat Pro Quote Film infolge der #Metoo-Debatte gemeinsam mit einem breit aufgestellten Bündnis aus Sendern, Branchenverbänden und ver.di die unabhängige und überbetriebliche Vertrauensstelle gegen sexuelle Belästigung und Gewalt „Themis“ gegründet.

 

Wie erklären Sie sich die verhältnismäßig starke Sichtbarkeit von Pro Quote Film im Gegensatz zu anderen Frauennetzwerken?
Wir wollten von Anfang an die breite Öffentlichkeit mit unseren Themen erreichen und haben deshalb öffentlich wirksame, pressegetriebene Kampagnen gemacht. Parallel dazu haben wir hunderte Hintergrundgespräche mit Entscheiderinnen und Entscheidern aus der Branche geführt. Und da Film untrennbar mit Filmpolitik verknüpft ist, haben wir uns an die Politik gewandt, sind dort gehört und unterstützt worden. Aber auch die prominenten Unterstützerinnen und Unterstützer haben sicher geholfen, das Thema in die Öffentlichkeit zu bringen.
Die Quotenforderung ist natürlich nicht neu. Pro Quote Film steht auf den Schultern des Verbandes der Filmarbeiterinnen, die bereits vor 40 Jahren für eine 50-prozentige Quote für Aufträge und Fördergelder gekämpft haben. Als wir Pro Quote Regie gegründet haben, war die Zeit offensichtlich reif für ein Remake alter politischer, feministischer Forderungen. Gesamtgesellschaftlich ist es nicht mehr akzeptiert, dass Frauen in der Arbeitswelt benachteiligt oder belästigt werden und ihnen dann auch noch die Schuld an der Misere gegeben wird. Nein! Es sind nicht die Frauen, die sich verändern müssen. Die Arbeitswelt muss sich wandeln, sie braucht Gendercoaching, Diversity-Standards, Beratung und Quoten.
Es gibt noch etwas, was uns von anderen Netzwerken unterscheidet: Pro Quote Film strebt einen gesamtgesellschaftlichen Bewusstseinswandel an, ein Miteinander ohne Diskriminierung und Sexismus. Das ist unsere zentrale Botschaft, und die kommunizieren wir nach außen. Insofern sind unsere expliziten Forderungen nur ein kleiner Teil eines großen Ganzen.
Ganz nebenbei ist Pro Quote Film natürlich auch ein riesiges Netzwerk geworden, mit fast 500 filmschaffenden Frauen. Das ist ein schöner und wichtiger Effekt unserer politischen Arbeit.

 

Was sind die größten Herausforderungen und wichtigsten Ziele für die kommenden Jahre?
Wir haben in den letzten fünf Jahren einen gesellschaftlich relevanten Veränderungsprozess angestoßen. Unsere bisherige Arbeit hat gezeigt, dass die Film- und TV-Branche veränderbar ist. Aber weitere Schritte sind notwendig, um zukunftsfähig zu werden, ja, demokratisch zu bleiben.
Unsere Gesellschaft ist vielfältig, die Kulturbranche international, die Hälfte des kreativen Potenzials weiblich – nur die Film- und Fernsehwelt hinkt hinterher. Deshalb fordern wir neben einer Quote die Einführung von Diversitätsstandards als Kriterien bei der Vergabe von Projektfilmförderung. Diversität und Geschlechtergerechtigkeit sind untrennbare Voraussetzungen für eine gerechte Film- und Medienbranche. Nur so können neue Perspektiven und Erzählformen entstehen!
Die Verteilung von Aufträgen, Fördermitteln und Ressourcen an Frauen und Männer zu gleichen Teilen ist eine Grundbedingung der Demokratie. Chancengleichheit, unabhängig von Geschlecht, Alter, Herkunft, Elternhaus und Hautfarbe, muss Selbstverständlichkeit werden. Es gibt also noch sehr viel zu tun für Pro Quote Film!

 

Vielen Dank.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 09/2019.

Tatjana Turanskyj und Cornelie Kunkat
Tatjana Turanskyj arbeitet als Writer-Director-Producer. Sie ist Gründungs- und Vorstandsmitglied von Pro Quote Film. Cornelie Kunkat ist Referentin für Frauen in Kultur und Medien beim Deutschen Kulturrat.
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