Geschlechtergerechtigkeit in beide Richtungen

Sarah Wedl-Wilson im Gespräch

 

Das heißt, Sie planen mit vielen weiteren Institutionen Kooperationen?
Nachdem ich das erste Semester zum Kennenlernen des Hauses und der Community genutzt habe, geht es nun darum, gemeinsam den Weg nach vorne zu definieren, unsere Position in der Stadt und in der Kulturlandschaft Deutschlands, sowie unseren Ruf als führende Musikakademie weltweit zu stärken. Und Teil davon sind natürlich die strategischen Partnerschaften mit anderen Berliner Kulturinstitutionen. Wir haben einen tollen Standort! Es passiert schon unheimlich viel in den einzelnen Abteilungen. Dies muss zum Wohle aller Studierenden übersichtlich und strategisch gebündelt werden, damit alle den Überblick haben und sagen können: Okay, das ist das, was meine Hochschule mit der Deutschen Oper, dem RIAS oder dem Radialsystem organisiert. Kann mich das weiterbringen, was könnte ich dort machen? Diese Kooperationen weiter auszubauen, das ist sehr spannend.

 

Sehen Sie es als Vorteil, als Kulturmanagerin die Hochschule für Musik Hanns Eisler zu leiten?
Ich glaube, die Bestellung einer Kulturmanagerin und eben keiner Musikprofessorin an die Eisler ist ungewöhnlich für die deutsche Musikhochschullandschaft. Dieser Wandel ist erst am Anfang, aber er steht für die Erkenntnis, dass solche Positionen sich zu so komplexen, knallharten Managementaufgaben weiterentwickelt haben, dass es sich durchaus lohnt, sie von Managerinnen und Managern mit Führungserfahrung zu besetzen. Die Leitung erfordert Kompetenzen, die vor 20 Jahren noch ganz andere waren, wenn ich nur an den Komplex des Qualitätsmanagements denke, das jetzt unser Tun und Handeln diktiert. Und natürlich habe ich als Kulturmanagerin in Leitung dieser Hochschule ein ganz anderes Miteinander mit meinen Kollegen rundherum in den Kulturinstitutionen. Aber: Jeder meiner Vorgängerinnen und Vorgänger in diesem Amt hatte eigene, besondere Qualitäten und hat auf seine oder ihre Art die Hochschule weiterentwickelt. Sonst würde die Eisler nicht dort stehen, wo sie ist.

 

Daran schließt meine nächste Frage an: Sie bezeichnen sich als Kulturmanagerin, haben aber die typischen Ausbildungen, die es heute dafür gibt, nicht absolviert. Sie lernten aus dem direkten Tun. Empfehlen Sie diesen Weg auch Nachwuchskräften?
Zu meiner Zeit gab es in Großbritannien noch kein Studienangebot für Kulturmanagement: Ich ging also direkt von Cambridge in die Praxis in eine Londoner Agentur und betrieb „Learning by Doing“. Ich persönlich finde es für Kulturmanagerinnen und -manager sehr wichtig, selbst zu wissen, was es heißt auf der Bühne zu stehen. Die Nervosität eines Künstlers vor dem Auftritt zu kennen, zu wissen, wie stark die Droge Adrenalin wirken kann. Und dieses Wissen – ich komme ja selbst aus einer Musikerfamilie, bin dort das schwarze Schaf, weil ich die einzige Nichtmusikerin bin – ist etwas ganz Wesentliches für die Wahl des Berufs. Einerseits. Andererseits die Liebe zu Organisation – und zu Führung: Führungsqualitäten hat man oder hat man nicht. Die kann man nicht lernen. Man kann sich Instrumente des Führens aneignen, aber die grundsätzliche Eignung, gepaart mit praktischer Erfahrung, ist unerlässlich. Sie führt dazu, dass man Verhaltensmuster und Persönlichkeiten besser einzuschätzen lernt oder zwischen individueller und Gruppenführung differenziert. Ein dritter Aspekt ist das unternehmerische Geschick. Ich habe das Glück, dass ich Zahlen liebe, dadurch betriebswirtschaftlich fit bin und in verschiedenen Unternehmen im Aufsichtsrat sitze. Schließlich gehört es zu meinen Aufgaben, die finanzielle Strukturierung unserer Hochschule täglich im Blick zu haben.

 

Sehen Sie denn allgemein Defizite in der Ausbildung von Kulturschaffenden, wenn es um das Thema Führungskompetenz geht? Politisch ist dieses Thema ja virulent.
Unerlässlich finde ich es als Führungskraft, sich immer wieder zurückzuziehen und zu überlegen, wie und warum man führt. Das heißt, man muss sein Tun und Handeln immer wieder reflektieren. Diese Reflexion fehlt oft – wir galoppieren alle durch die Monate und Jahre. Zudem muss man den Personen der zweiten oder dritten Führungsebene Zeit widmen, ihnen Seminare und Führungscoachings anbieten. Individuelle Karrierewege können entstehen, wenn Vorgesetzte sich dafür Zeit nehmen und man in neuen oder jungen Mitarbeitenden Qualitäten erkennt und gezielt fördert.

 

Was raten Sie denn speziell Frauen auf dem Weg in Führungspositionen, wenn sie beispielsweise die gläserne Decke spüren?
Mein Rat lautet, die gläserne Decke nicht zu akzeptieren – und auch nicht darauf zu zählen, dass andere Frauen einen unterstützen. Das kommt, glaube ich, erst jetzt in unserer Generation, dass man als Frau die Verpflichtung der nächsten Generation für herankommende weibliche Kräfte annimmt. Bislang war das überhaupt nicht der Fall. Man muss seine Mentorinnen und Mentoren selber suchen, aber diese müssen nicht weiblich sein! Gleichzeitig brauchen wir doch unsere Frauennetzwerke. Die müssen wir aufbauen, viel Kontakt zueinander halten – und reden, reden, reden. Kommunikation ist ein hohes Gut. Denn die männliche Welt ist da ganz wunderbar aufgestellt, mit allen möglichen Netzwerken und Seilschaften. Und leider sehe ich immer noch virulent die Problematik, dass man als Frau über das Aussehen definiert wird.

 

Zum Abschluss das Thema Geschlechtergerechtigkeit: Grundsätzlich ist die Eisler seit Längerem offensiv dabei. Gibt es diesbezüglich noch neue Akzente, die Sie setzen möchten?

Wir haben eine sehr aktive Frauenbeauftragte, die nun in nächster Zeit durch die Novellierung des Berliner Hochschulgesetzes „Gleichstellungsbeauftragte“ genannt werden soll. Das finde ich ganz wichtig, weil wir mit der gesamten #MeToo-Bewegung für die Frauen nun sehr viel getan haben, aber die Männer auf diesem Weg nicht hinter uns lassen dürfen. Grundsätzlich achten wir überall auf Parität. Mir wird aus der Gemeinschaft herangetragen, dass es für diese Hochschule wichtig ist, jetzt eine Frau an der Spitze zu haben. Der Wechsel ist gut, denn weibliche und männliche Führung unterscheiden sich. Wir Frauen steuern anders, haben eine ganz andere Empathie und Art, soziale Ungerechtigkeiten auszugleichen oder Transparenz zu fördern. Und das sind Dinge, die gerade in dieser Hochschule jetzt sehr wichtig sind. Insofern freue ich mich, dass ich hier sitze und das alles umsetzen kann. Geschlechtergerechtigkeit, ja, aber eben in beide Richtungen.

 

Vielen Dank.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 04/2020.

Sarah Wedl-Wilson und Cornelie Kunkat
Sarah Wedl-Wilson ist Rektorin der Hochschule für Musik Hanns Eisler. Cornelie Kunkat ist Referentin für Frauen in Kultur und Medien beim Deutschen Kulturrat.
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