Geschlechtergerechtigkeit in beide Richtungen

Sarah Wedl-Wilson im Gespräch

Im Herbst letzten Jahres folgte die britische Kulturmanagerin Sarah Wedl-Wilson auf Robert Ehrlich als Rektorin der Berliner Hochschule für Musik Hanns Eisler. Zuvor war sie unter anderem in Führungspositionen an der Universität Mozarteum Salzburg. Überraschende Erkenntnisse, musikalische Qualität, Kulturmanagement und gläserne Decken sind Themen des Gesprächs mit Cornelie Kunkat.

 

Cornelie Kunkat: Seit einem knappen halben Jahr sind Sie als Rektorin an der Hochschule für Musik Hanns Eisler im Amt. Gab es überraschende Erkenntnisse in diesen ersten Monaten?
Sarah Wedl-Wilson: Das Überraschendste war – was ich vielleicht im kleinen Finger schon wusste – die überirdisch hohe Qualität der Studierenden hier an der Eisler, wie wir unsere Hochschule nennen! Als Vize- und anschließend interimistische Rektorin der Universität Mozarteum Salzburg, also einer sehr renommierten Musikakademie mit 1.800 Studierenden, war ich ein hohes Niveau gewohnt. Aber mein erstes Konzert hier an der Eisler, ein Auftritt unseres Kammerorchesters unter der Leitung von Ulf Wallin im Konzerthaus am Gendarmenmarkt, hat mich überwältigt – auch wenn ich vom großartigen Ruf natürlich gehört hatte. Das künstlerische Niveau gründet in der Historie und der Struktur unserer Hochschule: Wir sind hier als einzige von den 24 deutschen Musikhochschulen ausschließlich für die künstlerische Ausbildung zuständig. Das heißt, dass wir weder Musiklehrerinnen und -lehrer noch Pädagoginnen und Pädagogen ausbilden, sondern rein die Künstlerinnen und Künstler für die Bühnen vorbereiten – ob als Dirigentin, Regisseur, Solistin, Orchestermusiker oder Konzertmeisterin.

 

Das klingt nach einer sehr angenehmen Überraschung. Was ist derzeit Ihre vordringlichste Aufgabe?
Zunächst ging es darum, einen hochschulinternen Dialog zu initiieren, quasi ein Dialog aus der Führung in die Hochschule hinein. Denn die Eisler war in eine Konfliktsituation geraten. Deshalb bestand und besteht meine erste Aufgabe darin, die Hochschule hier wieder herauszuführen, das Gespräch zu etablieren – von allen Stakeholdern miteinander. Studierende, Lehrende und die Verwaltung sollen alle eine Stimme haben und eine Möglichkeit des Austausches. Und dazu gehört natürlich, dass man sich als Führungsperson 180 Grad weit öffnet und offen redet. Sich nicht hinter Floskeln oder Papieren versteckt, sondern in möglichst viele Veranstaltungen und Versammlungen geht, um neue Foren für den Austausch zu schaffen. Auch die Hochschulleitung soll ansprechbar sein: So habe ich eine Sprechstunde eingerichtet, jeden Donnerstag zwei Stunden, in die jeder kommen kann. Mit Voranmeldung, aber ohne Nennung des Themas. Jeder und jede darf über alles sprechen. Dieser Prozess funktioniert natürlich nicht über Nacht, sondern braucht seine Zeit.

 

Wie beschreiben Sie das Ziel dieses Dialogs?
Es geht darum, eine demokratische Situation herzustellen, in der jede Stimme zählt und aus der heraus dann wieder gemeinsam der Blick in die Zukunft gerichtet werden kann.

 

Beispielsweise auf die nahenden Jubiläen?
Ja, wir werden dieses Jahr 70 – aber wir konzentrieren uns auf das 75. Jubiläum der Eisler, weil man nicht innerhalb von ein paar Monaten ein 70-jähriges aus dem Boden stampfen kann. Diese Zeitspanne gibt uns die Möglichkeit, den langen Entwicklungsprozess von einer ehemaligen Spezialschule der DDR hin zu einer internationalen Hochschule Revue passieren zu lassen und mit großer Ruhe zu reflektieren. Wir holen dafür Expertinnen und Experten mit ins Boot, die uns z. B. in einer Vorlesungsreihe über die Musikgeschichte der DDR aufklären. Wir wollen auch ein Buch zur Geschichte der Eisler herausbringen. Hierin sollen die vielen wunderbaren Musikerinnen und Musiker, die aus diesen Toren herausgegangen sind und seitdem die Musikwelt prägen, zu Wort kommen. Und es ist mir ebenfalls persönlich sehr wichtig, die Aspekte herauszuarbeiten, die besonders produktiv in der DDR-Zeit waren, beispielsweise die exzellenten Fördermöglichkeiten für Musikerinnen und Musiker. All diese verschiedenen Bausteine unserer Geschichte wollen wir in die Zukunft mitnehmen.

 

Wie steht es denn heute mit Studierenden und Mitarbeitenden bezüglich ihres DDR-Hintergrundes. Gibt es z. B. Studierende, die zwar nach 1989 geboren wurden, aber sich dennoch als in der DDR sozialisiert einordnen?
Bei den Studierenden ist dies weniger ausgeprägt als bei manchen Lehrenden oder Mitgliedern unserer Verwaltung. Ich entwickle dafür gerade eine Sensibilität, was es heißt, aus einem System herausgerissen zu werden und eine „Zwangs-Überstülpung“ eines anderen Systems zu erfahren. Diesbezüglich formulieren auch Personen in diesem Haus, dass ihnen ihr Land verloren gegangen sei. Das ist ein Thema, das wir mitten in unserer Gemeinschaft beherbergen und adressieren müssen. In diesem Zusammenhang empfinde ich es als günstig, dass ich keine Deutsche bin – weder West-Berlinerin noch Westdeutsche. Mein Blick kommt ganz von außen.

 

Was wertschätzen Sie nach Ihren vielen Stationen in London, Köln, auf Schloss Elmau, in Innsbruck und Salzburg an Berlin als Arbeitsort am meisten? Was finden Sie vielleicht auch nachteilig?
Die Größe der Stadt und dieses kosmopolitische Dasein, das schätze ich an Berlin sehr. Die große Community der Musikerinnen und Musiker, die Hunderte von Kulturmanagerinnen und -managern: Diese unzähligen Kolleginnen und Kollegen, von denen ich viele seit Jahren kenne und die nun ihrerseits ebenfalls in die Führungspositionen aufgestiegen sind, sie alle bereichern mein Arbeiten hier. Mit einem gegenseitigen Handyanruf können wir jeweils viel erreichen. Das ist sehr viel wert.

Sarah Wedl-Wilson und Cornelie Kunkat
Sarah Wedl-Wilson ist Rektorin der Hochschule für Musik Hanns Eisler. Cornelie Kunkat ist Referentin für Frauen in Kultur und Medien beim Deutschen Kulturrat.
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