Zur Hälfte Jubel, zur Hälfte Kritik

Yvonne Büdenhölzer setzt 50-Prozent-Quote beim Berliner Theatertreffen um

Beim Berliner Theatertreffen gilt in diesem Jahr erstmalig eine Frauenquote von mindestens 50 Prozent. Die Leiterin dieses Formats der Berliner Festspiele, Yvonne Büdenhölzer, hat sich seit Beginn ihrer Tätigkeit 2012 kontinuierlich für Geschlechtergerechtigkeit eingesetzt. Mit der Teilnahme von sechs Regisseurinnen und vier Regisseuren 2020 ist die Quote zum Start übererfüllt. Ein tolles Signal! Doch dann kam Corona, und das Theatertreffen steht nun vor ganz anderen Herausforderungen. Cornelie Kunkat spricht mit Yvonne Büdenhölzer über die Quote, ein digitales Theatertreffen und mehr.

 

Cornelie Kunkat: Sie haben am 6. März den Berliner Frauenpreis in einem feierlichen Festakt überreicht bekommen, weil Sie sich für eine angemessene Repräsentation von Frauen in Ihrer Arbeit einsetzen. Für Aufsehen haben Sie gesorgt, weil Sie mit der Einführung einer Frauenquote von mindestens 50 Prozent bei der Zehnerauswahl des Berliner Theatertreffens Neuland betreten und sich gegen viele kritische Stimmen durchgesetzt haben. Diese Vorgabe gilt für zwei Jahre. Wann und warum haben Sie diese Entscheidung getroffen?
Yvonne Büdenhölzer: Ich leite das Festival jetzt seit 2012. Und jedes Jahr am Ende der internen Jurydiskussion, die ich moderiere, stand die Frage, wie viele Regisseurinnen dieses Jahr bei der Zehnerauswahl vertreten sein werden? Wenn man sich die Historie des Festivals anguckt, waren von 1964 bis 2019 nur 225 Regisseurinnen zum Festival eingeladen. Das sind gerade mal 11,9 Prozent. Diese interne Diskussion über Regisseurinnen war für mich immer eine sehr wichtige und spannende. Irgendwann habe ich gedacht, es ist ehrlicher und zielführender, eine Frauenquote von außen zu setzen, anstatt informell hinter den Kulissen zu gucken, wie viel wir denn schaffen. Ich konnte auch die gängigen Ausreden, wie “man” fände nicht genug Regisseurinnen, nicht mehr hören. Deshalb habe ich entschieden, eine Quote für zwei Jahre zu setzen.

 

Wann genau ist diese Entscheidung gefallen?
Im März 2019 nach der letzten internen Jury-Schlusssitzung, verkündet haben wir die Quote dann auf der Pressekonferenz im April 2019. Für den diesjährigen Jahrgang gilt die Frauenquote zum ersten Mal.

 

Aus welchen Richtungen kam dann erwarteter oder auch unerwarteter Gegenwind?
Man kann sagen, es gab 50 Prozent Zuspruch, bis Jubel und Euphorie, und 50 Prozent Kritik und Ablehnung. Die kritische Hälfte sieht die Kunstfreiheit beschädigt und attestierte dem Festival, es würde sich damit selber abschaffen. Die andere Hälfte wertet die Quote als ein Signal für die Freiheit der Kunst, als längst überfällige Reform. Interessant ist, dass diese Urteile geschlechterunabhängig gefällt werden, und auch nichts mit z. B.
Alter zu tun haben. Wir haben sehr diverses Feedback bekommen. Erwähnen möchte ich auch, dass nicht alle Regisseurinnen mit der Quotenentscheidung einverstanden sind. Es gab einige wenige, die verlauten ließen, dass sie unter der Quote nicht so gerne eingeladen werden möchten. Das waren aber vereinzelte Stimmen.

 

Wie ist die Jury mit dieser neuen Vorgabe umgegangen? Denn das Ergebnis für das Theatertreffen 2020, insgesamt sogar sechs Stücke aus Frauenhand ausgesucht zu haben, ist wirklich bemerkenswert.
Finde ich auch! Ich habe die Quote in engem Austausch mit der Theatertreffen-Jury eingeführt. Auch die Kulturstiftung des Bundes, die das Festival fördert, musste zustimmen und mit uns gemeinsam die Verfahrensordnung des Festivals ändern. Die Jury hat die Quote als sehr positives Instrument empfunden, Geschlechtergerechtigkeit quasi von außen erfüllen zu dürfen. Die Folge war, dass die Jury insgesamt viel mehr Arbeiten von Regisseurinnen gesichtet hat. In konkreten Zahlen ausgedrückt: Im Jahr 2017 wurden rund 30 Prozent Regisseurinnen gesichtet, 2020 waren es knapp 40 Prozent. Damit hat die Jury erstmalig überhaupt eine Grundlage dafür geschaffen, mehr Regisseurinnen in die Diskussion zu bringen. Nach rund 400 gesichteten Inszenierungen waren am Ende 35 Inszenierungen auf der Shortlist, und davon waren 18 von Regisseuren und 17 von Regisseurinnen. Eine sehr gute Grundvoraussetzung, um überhaupt so viele Regisseurinnen nominieren zu können.

 

Gab es dieses Jahr nun Regisseurinnen, die zurückhaltend auf die Mitteilung reagiert haben, in der Zehnerauswahl zu sein, aufgrund der Frauenquote?
Ganz im Gegenteil. Die Quote ist mit sechs zu vier übererfüllt – ein tolles Signal. Zeitweise sah es sogar so aus, als tendiere die Jury zu sieben Regisseurinnen. Wie auch vor der Quote hat am Ende jede Inszenierung durch ihre bemerkenswerte Qualität überzeugt. Und nicht, weil es eine Quotenregelung gab. So ist es auch bei den Künstlerinnen und Künstlern angekommen.

 

Das ist ein gutes Zeichen. Aber nun zu einem ganz anderen Thema: Ihre Preisverleihung am 6. März war für mich die letzte Großveranstaltung vor der Corona-Krise. Diesbezüglich haben Sie großes Glück gehabt. Für das Theatertreffen selber sieht es nun leider anders aus. Es wurde abgesagt. Sie haben deshalb im Mai das erste virtuelle Theatertreffen programmiert. Was ist Ihre Bilanz?
Das erste virtuelle Theatertreffen war zunächst Experiment und schließlich Erfolg. Wir haben viele positive Rückmeldungen – sowohl von Zuschauerinnen und Zuschauern als auch von den Künstlerinnen und Künstlern – dafür bekommen, dass wir unter den gegenwärtigen Umständen ein virtuelles Theatertreffen möglich gemacht haben. Froh bin ich zudem darüber, dass unser diskursiver Schwerpunkt zu “Theater und Digitalität” solch große Resonanz erzeugt hat. Die Streaming-Angebote des virtuellen Theatertreffens wurden bis heute, 9. Mai, über 120.000 Mal abgerufen, und die Theateraufzeichnungen erreichten Abrufzahlen zwischen 5.000 und 36.400. Bei den herkömmlichen Theatertreffen erreichen wir sonst “nur” rund 19.000 Besucherinnen und Besucher. Da ist es natürlich toll, dass die Mitschnitte der Inszenierungen, die Nachgespräche und Diskussionspanels jetzt so viel mehr Menschen zugänglich gemacht wurden. Und durch die Live-Gespräche konnten wir zumindest ein bisschen Festival-Liveness herstellen. Diese Form von Demokratisierung von Kunst ist äußerst reizvoll. Deshalb denken mein Team und ich schon darüber nach, was wir auch zukünftig ins Netz übertragen können – auch wenn wir sehr hoffen, ein primär analoges Festival im kommenden Jahr veranstalten zu können.

 

Es freut mich, dass sich diese enorme Arbeit für Sie so ausgezahlt hat. Im Rahmen des letzten analogen Theatertreffens haben Sie die zweite Konferenz zu Genderungleichheit, “Burning Issues meets Theatertreffen”, initiiert und mitkuratiert. Die Konferenz, ich erinnere mich gern, war sehr gut organisiert und hatte entsprechend großen Zulauf – 450 Theaterschaffende diskutierten miteinander. Können Sie Erkenntnisse formulieren, die diese Veranstaltung gebracht hat?
“Burning Issues” ist eine Bewegung, die von Nicola Bramkamp und Lisa Jopt initiiert wurde. Uns war es wichtig, in dieser zweiten Konferenz vier Themenkomplexe zu verhandeln, die nicht auf Geschlechtergerechtigkeit allein fokussieren. So war ein großes Thema “Repräsentation & Diversität am Theater”. Der zweite Themenkomplex befasste sich mit “Geld & Ressourcen”, also der Frage, wie man den Gender Pay Gap auflöst und mit den Ressourcen der Menschen am Theater umgeht: Probenzeiten wurden diskutiert, ebenso wie die Etats für Bühnenbild, Kostümbild, Technik etc. verteilt werden. Der dritte Themenkomplex war die Vereinbarkeit von “Familie & Beruf” bzw. von “Privatleben & Beruf”. Auch dieses Thema muss unabhängig von Geschlechterzugehörigkeit diskutiert werden, und es ist egal, ob man mit Kindern oder allein, zu zweit oder zu dritt lebt. Der vierte Bereich war “Angst, Druck & Scheitern”. Es gibt hierzu auch die wichtige Studie “Macht und Machtmissbrauch an deutschen Theatern” von Thomas Schmidt. Da in deutschen Theatern verbaler, körperlicher und sexueller Missbrauch leider ein großes Thema ist, wurde hierüber viel diskutiert. Und natürlich haben die teilnehmenden Theaterschaffenden ihre ganz persönlichen Themen in die Konferenz mit eingebracht. All diese Themen sind sicher noch nicht zu Ende erzählt.

 

Deshalb werden Sie sich auch weiterhin im Rahmen von Burning Issues engagieren. Gibt es schon neue Pläne?
Ja, die gibt es: “Burning Issues” soll ein Format werden, das durch die verschiedenen Häuser – von fest zu frei – und Städte wandert. Den Anfang nahm es letztes Jahr in einem Stadttheater in Bonn im Rahmen des größten Theaterfestivals im deutschsprachigen Raum. Die zweite fand eben wie erwähnt beim Theatertreffen in Berlin statt. Die dritte Ausgabe von “Burning Issues” soll im Herbst auf Kampnagel in Hamburg stattfinden, also in einer freien Struktur, die internationale Perspektiven mit einbringt.

 

Befürchten Sie, dass das Thema Geschlechtergerechtigkeit durch den Ausbruch von Corona und die global notwendige Auseinandersetzung mit dieser Herausforderung einen Rückschlag bekommt?
Ja und nein. Ich glaube, im Augenblick ist überhaupt nicht abzusehen, welche Konsequenzen die Corona-Krise gesellschaftlich haben wird. Das Thema Geschlechtergerechtigkeit ist auf der Agenda – und zwar ganz oben. Wir haben dafür zu sorgen, dass es da auch bleibt, unabhängig von jeder Krise. Und darin sehe ich auch meine Aufgabe beim Theatertreffen.

 

Welche persönlichen Hoffnungen setzen Sie in die Zukunft?
Ich hoffe, dass das Thema Geschlechterungerechtigkeit für meine beiden Jungs später keine Rolle mehr spielt bzw. dass das Thema Geschlechtergerechtigkeit zu einer Selbstverständlichkeit geworden ist.

 

Dieser Hoffnung schließe ich mich gerne an. Vielen Dank für das
Gespräch.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 06/2020.

Yvonne Büdenhölzer & Cornlie Kunkat
Yvonne Büdenhölzer ist Leiterin des Theatertreffens der Berliner Festspiele. Cornelie Kunkat ist Referentin für Frauen in Kultur und Medien beim Deutschen Kulturrat.
Vorheriger ArtikelGeschlechtergerechtigkeit in beide Richtungen
Nächster ArtikelGeschlechtergerechtigkeit in Berufsorchestern