Von Altenheimen, Integrationspillen und Formularen

Der Syrer Faisal Hamdo im deutschen Exil

Sie beherrschen den Schlüssel zur Integration und Teilhabe, die deutsche Sprache, hervorragend. Gibt es dennoch Herausforderungen der Integration, die sich Ihnen stellen?

Meines Erachtens ist die Sprache die größte Hürde. Aber was ich unbedingt sagen möchte: Die Hilfsbereitschaft vieler Deutschen ist etwas, das nicht vergessen werden darf, und zwar ganz gleich, ob die Hilfe von Regierungsseite oder aus der Zivilgesellschaft kam und kommt. Dadurch konnten viele Geflüchtete die Hürde der Sprache überwinden und Fuß auf dem Arbeitsmarkt fassen. Die Integration in den Arbeitsmarkt ist das Wichtigste.

 

Vor Kurzem kam ich nach einem langen Tag auf der Arbeit nach Hause. Die Sonne schien, ich saß auf dem Balkon und sah unten zwei Gartenarbeiter. Die arbeiteten hart und es war sehr heiß. Ich habe von oben gesehen, dass sie nichts zu Trinken dabei hatten. Da habe ich mich so verhalten, wie ich es in Syrien auch getan hätte: Ich ging zu ihnen, habe mich vorgestellt und wollte ihnen etwas zu trinken anbieten. Da kam erstmal eine negative Reaktion bei mir an: „Nein, danke“ haben sie geantwortet. Ich hatte das Gefühl, dass sie sich angegriffen gefühlt haben. In Syrien hätten die Gartenarbeiter sich sehr gefreut und das Angebot dankend angenommen. Ich erwarte keinen Dank, aber mir fällt es in Deutschland ein bisschen schwer, den Kontakt mit anderen, auch mit Nachbarn, aufzunehmen. Das ist vielleicht eine Herausforderung. Aber weder die Deutschen sollen so sein wie ich, noch ich soll so sein wie die Deutschen.

 

Für mich bedeutet gelungene Integration, sich einer Gemeinschaft zugehörig zu fühlen. Sie bedeutet die Entwicklung eines gemeinsamen Verständnisses, wie man in der Gesellschaft zusammenlebt. Dabei sollen Hürden abgebaut werden. Ein Beispiel: Was geflüchteten Syrern große Schwierigkeiten bereitet, ist die „Unzumutbarkeit der Passbeschaffung“. Neben vielen anderen Schwierigkeiten werden sie immer dazu gezwungen, einen syrischen Pass zu erwerben. Betroffen sind Tausende. Das syrische Regime verdient damit Millionen, die es sich aus Deutschland holt. Um einen neuen Pass zu bekommen, müssen Syrer in der Botschaft in Berlin zwischen 300 und 800 Euro zahlen. Ich halte das für eine unzumutbare Härte.

 

Auf Drängen des Bundesinnenministeriums wird ein deutscher Passersatz nicht mehr ausgestellt. Dadurch sind viele Syrer in ihrer Reisefreiheit eingeschränkt, wie es früher nur in der DDR üblich war. Solche Hürden bei der Integration der Geflüchteten in den Arbeitsmarkt müssen unbedingt abgebaut werden.

 

In Ihrem Buch schreiben Sie, dass eines der ersten Wörter, die Sie gelernt haben, „Altenheim“ war. Wie kam es dazu?

Zu Beginn habe ich als Pflegeaushelfer in einem Altenheim gearbeitet. Wenn ich Altenheim sage, meine ich politisch korrekt natürlich Seniorenheim. Es war eine Herausforderung für mich zu sehen, wie diese Menschen, die dieses Land nach dem Krieg aufgebaut haben, jetzt in Seniorenheimen leben. Viele genießen zwar auch das Leben im Seniorenheim. In Syrien habe ich die Pflege anders kennengelernt: Als ich ein Kind war, haben wir unseren Großvater zu Hause gepflegt. Als mein Großvater mit 90 bei uns zu Hause starb, war er schon ziemlich „durch den Wind“. Opa bekam seinen eigenen Raum. Alle haben mitgeholfen und das hat gut funktioniert. Das waren entweder meine älteren Geschwister, meine Eltern, eine Tante oder ein Onkel. Unser Vater hat uns erklärt, dass Opa durch den Wind sei und unsere Hilfe brauche. Das war eine Selbstverständlichkeit, ein ungeschriebenes Gesetz, dass unsere Familie unseren Großvater zu Hause pflegt. Opa bekam alles mit, was uns bewegt hat und war in den Tagesablauf eingebunden. Auch wir Kinder erfuhren, was Pflege bedeutet. Wir erlebten unmittelbar, wie der Generationenvertrag funktioniert.

 

Andererseits kann die Pflege innerhalb der eigenen Familie nicht so professionell erfolgen. Hier in Deutschland hingegen kann die Begleitung im Altenheim professioneller erfolgen. Das habe ich erlebt, als ich im Altenheim arbeitete.

 

Dennoch war es für mich ein Kulturschock. Die ersten Fragen bei meinem Einsatz im Pflegeheim, die ich mir gestellt habe, waren: Sind die Menschen hier nur zu Besuch? Bleiben sie nur übers Wochenende? Wann gehen sie nach Hause? Meine Arbeitskollegen haben mich dann „aufgeklärt“.

 

In Syrien benutzen wir das arabische Wort für Altenheim kaum. In Aleppo, eine Stadt, die vor dem Krieg über drei Millionen Menschen beherbergte, gab es nur drei sogenannte Seniorenhäuser. Hier in Deutschland habe ich mich auch gefragt: Ist dieses Seniorenheim, in dem ich arbeitete, das einzige in Hamburg? Es stellte sich heraus, dass dies eins von vielen in diesem Stadtteil ist.

 

Was planen Sie für Ihre Zukunft? Möchten Sie noch weitere Bücher schreiben?

Physiotherapie ist mein geliebter Hauptberuf, wie ich zu Beginn sagte. Ich versuche mich beruflich weiterzuentwickeln. Ich besuche zurzeit einen Leitungskurs. Außerdem möchte ich meine zweite Heimat, Deutschland, aktiv mitgestalten. Und natürlich gibt es das Ziel, dass ich in Syrien etwas ändern möchte, wenn der Krieg in Syrien zum Ende kommt. Aus Deutschland möchte ich die Pünktlichkeit und die Formulare mit nach Syrien nehmen. Sie sagen zwar: „Von der Wiege bis zur Bahre: Formulare, Formulare.“ Aber das ist eine gute Sache. Bei uns ist man immer auf die Laune des Beamten angewiesen und wird dann oft zurückgewiesen. Aber hier in Deutschland kann man, auch wenn ein Beamter schlechte Laune hat, immer Formulare bekommen. Man kann sie ausfüllen und den Antrag erneut stellen. Im schlimmsten Fall kann man einen Widerspruch einlegen. Das ist in Syrien nicht möglich. Was ich auch liebend gern in Syrien ändern möchte, ist, dass wir dort Demokratie und Frieden haben. Die deutsche Geschichte zeigt, es braucht Zeit, aber dann kann das Land noch schöner als vorher werden.

 

Noch schreibe ich nicht, aber ein zweites Buch wird kommen. Es wird sich um kulturelle Unterschiede innerhalb Deutschlands drehen.

 

Vielen Dank.

 

Dieses Interview ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 06/2019.

Faisal Hamdo und Theresa Brüheim
Faisal Hamdo ist Physiotherapeut und Schriftsteller. Sein Buch "Fern von Aleppo: Wie ich als Syrer in Deutschland lebe" ist 2018 bei Edition Körber erschienen. Theresa Brüheim ist Chefin vom Dienst von Politik & Kultur.
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