Von Altenheimen, Integrationspillen und Formularen

Der Syrer Faisal Hamdo im deutschen Exil

Im vergangenen Jahr erschien „Fern von Aleppo: Wie ich als Syrer in Deutschland lebe“. Auf rund 250 Seiten schildert Faisal Hamdo sein Leben als Syrer im deutschen Exil. Hier wurde der Physiotherapeut zum Schriftsteller. Theresa Brüheim spricht mit ihm über das Leben im Exil, die deutsche Sprache und die gebliebene Hoffnung, auf ein Syrien, das irgendwann wieder schöner als zuvor sein wird.

 

Theresa Brüheim: Herr Hamdo, Sie sind studierter Physiotherapeut aus Aleppo in Syrien. Im Exil in Deutschland sind Sie zum Buchautor geworden. Wie kam es dazu?

Faisal Hamdo: Zunächst muss ich sagen: Mein Beruf im Gesundheitswesen ist und bleibt mein geliebter Hauptberuf, in dem ich auch zurzeit arbeite. Aber das Schreiben machte mir auch schon immer Spaß. Jetzt im Exil bzw. in meiner zweiten Heimat genauso wie früher in Aleppo fühle ich mich in der Welt der Buchstaben zu Hause – trotz des Verlustes meiner Vaterstadt und einiger geliebter Menschen.

 

Als ich nach Deutschland kam, hatte ich das Bedürfnis, das Erlebte in Syrien aufzuschreiben. Während des Krieges in Syrien habe ich ehrenamtlich in provisorischen Krankenhäusern gearbeitet und viel erlebt. Ich hatte und habe immer noch die Bilder der pausenlosen Bombardierungen, der Zerstörung und der Angriffe im Kopf.

 

Kurz nach meiner Ankunft in Deutschland habe ich Minijobs ausgeübt und Deutschkurse besucht. Als ich schließlich in einem Altenheim und danach in der Klink arbeitete, konnte ich zahllose Gespräche mit deutschen Freunden und Helfern, mit Arbeitskollegen sowie Patienten führen. Wir alle haben voneinander profitiert. In vielen Gesprächen spürte ich ein starkes Interesse, mehr über mich, über das Leben in Syrien und über meine Kultur zu erfahren. Darüber hinaus habe ich gemerkt, dass ich fast nichts über Deutschland wusste. Deswegen habe ich mich intensiv mit der Geschichte Deutschlands und mit den kulturellen Unterschieden beschäftigt.

 

Durch die Gespräche und meine Erlebnisse in Deutschland habe ich festgestellt, dass es ein ganz anderes Buch werden müsste, ein Buch über die Zeit nach dem Ankommen in Deutschland, über die Schwierigkeiten, mit denen man hier zu kämpfen hat, über Missverständnisse und interessante kulturelle Unterschiede. Ich habe immer versucht, zwischen der deutschen und der syrischen Kultur Vergleiche zu ziehen.

 

All dies war für mich Anlass, mein Buch zu schreiben. Das Ziel meines Buches ist es, gegenseitiges Verständnis aufzubauen, es weiter zu entwickeln und dadurch Vertrauen zu stärken.

 

Ich muss Ihnen ein Kompliment machen, Herr Hamdo, Sie sprechen mittlerweile perfekt Deutsch. Würden Sie sagen, dass die deutsche Sprache der Schlüssel zur Integration ist?

Ja, das sage ich immer. Das ist mein Lieblingssatz: Die Sprache ist der Schlüssel zu allem. Ohne Sprache könnten wir dieses Gespräch nicht führen. Eine erfolgreiche Integration ohne Sprache kann nicht funktionieren. Einige behaupten es. Denn es gibt ja auch Menschen, die in Deutschland leben, aber kein Deutsch sprechen können. Sie kommen z. B. auf Englisch klar. Aber um dieses Land aktiv mitgestalten zu können, braucht man die Sprache unbedingt. Die Sprache halte ich für extrem entscheidend und finde, sie ist das Wichtigste.

 

Ich stehe hier aber nicht als Experte der Sprachwissenschaft oder der Integration, sondern als jemand, der das gelernt hat und immer noch lernt. Meine Eltern haben mir beigebracht jeden Tag ein Ziel, einen Traum zu haben. Als ich in Deutschland ankam, hatte ich ein einziges Ziel vor meinen Augen: Ich wollte diese Sprache rasch in sechs Monaten lernen. Leider habe ich versagt. Ich lerne immer noch Deutsch. Schon Oscar Wilde hat gesagt: „Das Leben ist zu kurz, um Deutsch zu lernen“. Schwierig war, dass wir in Syrien, einem arabischen Land, von rechts nach links schreiben. Es handelt sich also um eine andere Schrift und eine andere Schreibrichtung, natürlich auch um eine vollkommen andere Grammatik. Deutsch ist keine einfache Sprache. Im Deutschen gibt es die Komposition oder die Wortzusammensetzung. Man kann aus mehreren Wörtern ein neues Wort bilden und manchmal erfinden. In meinen ersten Monaten in Deutschland bereiteten mir die einfachsten Wortzusammensetzungen Schwierigkeiten: Welches Wort kommt zuerst? Ich wusste es nicht. Aus Kaffeemaschine wurde Maschinenkaffee. Ich kann beides sagen, aber jedes Wort hat eine andere Bedeutung.

 

Daran müssen wir uns erst gewöhnen. Das ist eine echt mühsame Umstellung. Als die Freunde mich das erste Mal ein arabisches Buch lesen sahen, neckten sie mich: „Faisal, du hältst das Buch falsch rum.“ Ich neckte zurück: „Nein ihr tut das, ich halte es richtig herum“.

 

Mir hat es sehr geholfen, dass ich mich mit der deutschen Kultur beschäftigt habe. Ich hatte Interesse daran, vieles über Deutschland und über dessen Geschichte zu wissen. Z. B. habe ich mir alle Sketche von Loriot angeguckt, nicht nur, um darüber lachen zu können, sondern auch, um die Sprache und über die damalige Gesellschaft und ihre Entwicklung zu lernen.

 

Darüber hinaus ist Politik mein Steckenpferd. Daher wollte ich unbedingt alles über die Politik dieses Landes wissen, in dem ich lebe. Vielleicht genieße ich es deswegen, Menschen zuzuhören, die ein gepflegtes, fast altertümliches Deutsch sprechen. Wenn ich eine Talkshow sehe, achte ich manchmal mehr auf die Grammatik als auf den Inhalt der Diskussion. Warum hat der oder die den Dativ anstelle des Genitivs benutzt? Dasselbe gilt für meine Steckenpferde Konjunktiv 2, Futur 2 und Doppeltes Plusquamperfekt. Gern sehe ich Filmaufnahmen ehemaliger Bundestagsdebatten aus den 1960er oder 1970er Jahre, in denen z. B. politische Größen wie Herbert Wehner und Franz-Josef Strauß ihre Wortgefechte führten. Das war eine sehr spannende politische Epoche, in der ein herrliches Deutsch gesprochen wurde. Gäbe es eine Integrationspille, die wir Einwanderer schlucken sollten, dann sollte sie auf jeden Fall den Genitiv und den Konjunktiv 2 enthalten.

 

Ich habe viel über die Geschichte Deutschlands recherchiert, die sehr gute und sehr schlechte Zeiten hatte. Wenn ich mir die Bilder von Berlin im Jahre 1945 angucke, muss ich sofort an die jetzigen Bilder in Aleppo denken. Um ehrlich zu sein, gibt mir das Hoffnung, dass es auch irgendwann zu einem Ende kommt und wir Syrien wiederaufbauen können.

Faisal Hamdo und Theresa Brüheim
Faisal Hamdo ist Physiotherapeut und Schriftsteller. Sein Buch "Fern von Aleppo: Wie ich als Syrer in Deutschland lebe" ist 2018 bei Edition Körber erschienen. Theresa Brüheim ist Chefin vom Dienst von Politik & Kultur.
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