Die Filmtage von Karthago

Ein Traum von panafrikanischer Emanzipation

Das Kino wurde in diesem postkolonialen Umfeld als kulturelle Notwendigkeit angesehen: Es galt nun, eigene Bilder zu produzieren und zu rezipieren. Aus diesem Anspruch entwickelte sich schließlich auch das Panafrikanische Film- und Fernsehfestival von Ouagadougou. Beide Festivals sind seit bald 60 Jahren einzigartige Anlässe für Filmemacherinnen und -macher aus Afrika und seinen Diasporas.

 

Anlässlich der einzelnen Ausgaben der Filmtage von Kathargo wurden weitere Initiativen gegründet, die afrikanische Cineastik fördern sollten. So entstanden unter anderem 1970 die Panafrikanische Vereinigung von Filmemachern und 2004 die Afrikanische Vereinigung der Filmkritiker, die das Webportal für das afrikanische Kino africine.org und die Zeitschrift „Awotele“ hervorbrachten. Überdies setzte sich Cheriaa von Beginn an für eine eigenständige nationale Vermarktung ein und widersetzte sich dem Zugriff durch amerikanische Konzerne. Dies brachte ihm in den frühen 1970er Jahren zuerst eine Inhaftierung und dann die Entlassung aus der Leitung der Filmtage von Karthargo ein. Dennoch wurde das Festival nicht am weiteren Bestehen gehindert – der politischen Unterdrückung im Land, unter Bourguibas Herrschaft und während der 23-jährigen Diktatur unter Ben Alis Regime zum Trotz.

 

Im Jahr 2021 können wir sagen, dass das Filmfestival Karthago zwei wichtige Errungenschaften vorzuweisen hat: die Eroberung eines großen kinobegeisterten Publikums und die Einrichtung einer internationalen Plattform in Form von Workshops, deren Ziel die Professionalisierung und Entwicklung aufstrebender Filmemacher aus Afrika und der arabischen Welt ist. Die Aufstände ab 2011 sowie die Demokratisierung des Zugangs zu digitalen Werkzeugen haben die Filmproduktion in der Region weiter gefördert. Einige der durch Initiativen wie „Carthage Pro“ oder den „Takmil“-Workshop geförderten Projekte, die afrikanische und arabische Filmprojektleiter in der Entwicklungs- und auch Postproduktionsphase unterstützen, haben anschließend internationale Anerkennung erhalten, wie „In the Last days of the city“ von Tamer El Said (Ägypten, 2016) oder „La miséricorde de la jungle“ von Joël Karekezi (Ruanda, 2018).

 

Seit seiner Gründung bietet das Filmfestival Karthago einen Raum für Reflexion über Film anhand von Konferenzen. 2019 wurde im Rahmen der Reihe „Carthage Talks“ beispielsweise eine Veranstaltung in Partnerschaft mit dem Africa Hub der Berlinale organisiert. „Carthage Pro“ setzt damit den Traum fort, der den Gründern der Filmtage von Karthago so am Herzen lag: die Entwicklung eines souveränen und innovativen panafrikanischen Kinos. Und trotz der Schwierigkeiten der Filmindustrien in vielen afrikanischen Ländern, die durch die globale Pandemie, die den kulturellen Sektor hart getroffen hat, noch verstärkt werden, entwickeln sich aktuell viele weitere zukunftsweisende Initiativen wie „Sentoo“ in Tunesien, das „Yennenga Centre“ im Senegal, das „Ouaga Film Lab“ in Burkina Faso, das „Yaoundé Lab“ in Kamerun oder die Filmemacher-Residenzen „Realness“ und „Creative Producers Indaba“ in Südafrika.

 

Sollte dies den afrikanischen Entscheidungsträgern nicht die grundlegende Rolle bewusst machen, die das Kino bei der Entwicklung eines vielfältigen und geeinten Afrikas spielen sollte?

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 5/2021.

Azza Chaabouni
Azza Chaabouni ist Wissenschaftlerin und Dozentin. Sie unterrichtet Kino am Higher Institute of Humanities, Kef in Tunesien.
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