Null Freunde

Türkische Außenpolitik

Sind dann wenigstens die Beziehungen zu den nahöstlichen Ländern so gut wie noch nie? Leider auch nicht. Wenigstens nicht mehr. In den Anfangsjahren der AKP-Regierung spielte die Verbesserung der Beziehungen zu den Nachbarländern die wichtigste Rolle in der Außenpolitik. „Null Probleme“ sollte es mit den Nachbarn geben, weshalb Dimitar Bechev dies als „Türkische Nachbarschaftspolitik“ bezeichnete. Ahmet Davutoğlu, der Architekt dieser Doktrin, war zuerst Berater, später selbst Außenminister und Ministerpräsident. „Strategische Tiefe“ war sein Opus Magnum. Danach sei die Türkei ein zentrales Land mit gewichtigem Einfluss in mehreren Regionen. Explizit lehnte er die Rolle einer Brücke zwischen Ost und West ab. In den Anfangsjahren hatte diese Strategie auch Erfolge, Wirtschaftsbeziehungen vertieften sich, Investitionen und Exporte konnten gesteigert werden. Durch eine liberale Visapolitik wurde der Tourismus angekurbelt, türkische Soft Power zeigte sich an der Popularität von Fernsehserien.

 

Die türkische Regierung zog daraus den fatalen Schluss, dass man nach fast zehn Jahren intensivierter Beziehungen auch politischen Einfluss hätte und Regierungen beeinflussen könnte. Regimewechsel à la turca sollte eine türkische Führungsposition zementieren, durch den AKP-ähnliche Parteien in anderen nahöstlichen Staaten an die Regierung kämen: sunnitisch-konservativ-neoliberal angeführt von der Türkei. Es kam anders. Für Philip Robins hatte „die AKP-Regierung anfangs sogar einen guten Arabischen Frühling“. Bis dieser Libyen erreichte. Die türkische diplomatische Intervention wurde als Unterstützung Gaddafis verstanden, es kam zu anti-türkischen Protesten in Bengasi. Noch stärker zeigten sich türkische Fehleinschätzungen in Syrien. Assad, mit dem Erdoğan sogar gemeinsam Urlaub gemacht hatte, zeigte keinerlei Bereitschaft, türkischen Forderungen zu folgen. Im Gegenteil. Ebenso verschlechterten sich die Beziehungen zu Ägypten nach dem Sturz Mursis und zur irakischen Zentralregierung. Mit Israel war man sowieso seit der „one minute“ von Davos 2009 auf Kriegsfuß. Bei den Langzeitproblemen mit Armenien und Zypern gab es auch keine Fortschritte. Der letzte verbliebene enge Freund ist der Mini-Golfstaat Katar, der von seinen unmittelbaren arabischen Nachbarn politisch isoliert und wirtschaftlich in die Knie gezwungen werden soll. Die Türkei schickt Soldaten und Lebensmittel nach Katar, hilft dem  Al Thani-Clan damit zu überleben und riskiert ernsthafte Verstimmungen mit Saudi-Arabien.

 

Irgendwann passte das mit den „Null-Problemen“ nicht mehr. Ibrahim Kalın, Akademiker und zurzeit Sprecher des Präsidenten, sprach deshalb 2013 von einer „wertvollen Einsamkeit“. Klingt besser als isoliert. Einsam und Regionalmacht passt aber nicht zusammen. Wen soll man dann führen?

 

Was Kalın und seinem Chef in der heutigen Situation fehlt, ist eine Strategie, sowohl die Beziehungen zu den westlichen Partnern als auch zu den nahöstlichen Nachbarn zu verbessern oder wenigstens zu normalisieren. Man wurschtelt sich von Ereignis zu Ereignis. Mal haut man drauf, mal beugt man sich. Kurzsichtig ist beides.

Ekrem Eddy Güzeldere
Ekrem Eddy Güzeldere ist politischer Analyst, Journalist und Autor
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