Ekrem Eddy Güzeldere - 29. Juni 2017 Kulturrat_Logo_72dpi-01

Kultur in der Türkei

Null Freunde


Türkische Außenpolitik

Nachrichten über die Außenbeziehungen der Türkei im Frühjahr 2017 klingen wie Hiobsbotschaften. Mit den wichtigsten Partnern, ob traditionell oder neueren Datums, ist man zumindest uneins oder hat sich komplett überworfen. Eigentlich hätte alles ganz anders kommen sollen. Die Türkei sollte „Null-Probleme mit ihren Nachbarn“ haben und eine Regionalmacht im Nahen Osten sein.

 

Die Türkei ist spätestens seit den 1950er Jahren in westlichen Bündnissen verankert. Das wichtigste außenpolitische Ziel über viele Jahre war eine Vollmitgliedschaft in der EU. Das Positivste, was man heute noch zu den Türkei-EU Beziehungen hört, ist, dass aufgrund von vielfältigen Abhängigkeiten ein Abbruch der Beziehungen noch schlechter wäre, als den schlechten Status quo fortzusetzen. Die Liste der Unstimmigkeiten war selten so lang. Mit dem wichtigsten wirtschaftlichen Partner innerhalb der EU, Deutschland, ist der Ton besonders schroff. Im Vorfeld des Verfassungsreferendums vom 16. April warf gerade Präsident Recep Tayyip Erdoğan Deutschland Nazi-Methoden vor. In einer der vielen AKP-Zeitungen, Güneş, wurde Angela Merkel in SS-Uniform als „hässliche Tante“ bezeichnet, die von Erdoğan wiederum als eine Unterstützerin des Terrorismus bezeichnet wurde – so wie die Niederlande. Allgemein kommentierte er, „wir werden Europa nach dem 16. April für alles bezahlen lassen, was es getan hat!“

 

Bis jetzt fordern nur Österreichs forsch-fesche Jungpolitiker einen Abbruch des Beitrittsprozesses. Deshalb blockiert die Türkei die Teilnahme österreichischer Soldaten an NATO-Manövern auf dem Balkan. Wiederum andere NATO-Mitglieder, darunter Deutschland und Frankreich, sollen einen NATO-Gipfel in Istanbul verhindert haben, den die Türkei noch 2017 ausrichten wollte. Weiterhin verbietet die Türkei, wenigstens meistens, den Besuch deutscher Abgeordneter auf der Luftwaffenbasis Incirlik.

 

Auf der anderen Seite des großen Teiches sieht es nicht viel besser aus. Mitte Mai kam es endlich zu dem von der Türkei herbeigesehnten Treffen der beiden Präsidenten, Donald Trump und Recep Tayyip Erdoğan. Die Türkei wollte vor allem Fortschritte bei der Auslieferung Fethullah Gülens und einen Kurswechsel in der US-amerikanischen Syrienpolitik erreichen. Al-Monitors Cengiz Çandar kommentierte den Besuch als „den am wenigsten erfolgreichen, den es je in Washington gab.“ Was vor allem in Erinnerung blieb, waren die Leibwächter Erdoğans, die friedliche Demons­tranten vor der türkischen Botschaft in Washington verprügelten. Daraufhin forderte John McCain die Ausweisung des türkischen Botschafters, im US-Fernsehen sagte er: „Das hier ist nicht die Türkei. Das ist kein Dritte-Welt-Land“. Gegen zwölf Sicherheitsleute Erdoğans wurde Haftbefehl erlassen, sie wurden bei einer erneuten Einreise in die USA am Flughafen verhaftet. Dieser Ton herrscht unter Partnern in einem Militärbündnis, der Feind sollte eigentlich außerhalb des Bündnisses zu suchen sein.

 

Außerhalb sieht es aber auch nicht viel besser aus. Zwar sind die Beziehungen zu Russland, nachdem im November 2015 ein russischer Kampfjet an der türkisch-syrischen Grenze abgeschossen wurde, wieder einigermaßen normalisiert – aber eben zu russischen Bedingungen. Im Anschluss an den Abschuss verhängte Russland weitreichende Wirtschaftssanktionen gegen die Türkei. Präsident Putin warf der Türkei vor, mit dem IS zu paktieren, er verbot alle Charterflüge in die Türkei, wo russische Touristen mit ca. vier Millionen nach den Deutschen die zweitgrößte Gruppe waren. Das zeigte Wirkung. Fast schon unterwürfig entschuldigte sich im Juni 2016 Erdoğan bei Putin, der einige der Sanktionen wieder aufhob, andere aber auch einfach weiterlaufen ließ, wie das Verbot der Einfuhr türkischer Tomaten. Als dann im Dezember 2016 der russische Botschafter in Ankara von einem türkischen Polizisten in zivil erschossen wurde, hat das den Hebel Russlands gegen die Türkei nur noch verstärkt. In Syrien muss die Türkei nach russischer Pfeife tanzen, ansonsten drohen wieder Sanktionen, die sich Erdoğan wirtschaftlich nicht mehr leisten kann.

Sind dann wenigstens die Beziehungen zu den nahöstlichen Ländern so gut wie noch nie? Leider auch nicht. Wenigstens nicht mehr. In den Anfangsjahren der AKP-Regierung spielte die Verbesserung der Beziehungen zu den Nachbarländern die wichtigste Rolle in der Außenpolitik. „Null Probleme“ sollte es mit den Nachbarn geben, weshalb Dimitar Bechev dies als „Türkische Nachbarschaftspolitik“ bezeichnete. Ahmet Davutoğlu, der Architekt dieser Doktrin, war zuerst Berater, später selbst Außenminister und Ministerpräsident. „Strategische Tiefe“ war sein Opus Magnum. Danach sei die Türkei ein zentrales Land mit gewichtigem Einfluss in mehreren Regionen. Explizit lehnte er die Rolle einer Brücke zwischen Ost und West ab. In den Anfangsjahren hatte diese Strategie auch Erfolge, Wirtschaftsbeziehungen vertieften sich, Investitionen und Exporte konnten gesteigert werden. Durch eine liberale Visapolitik wurde der Tourismus angekurbelt, türkische Soft Power zeigte sich an der Popularität von Fernsehserien.

 

Die türkische Regierung zog daraus den fatalen Schluss, dass man nach fast zehn Jahren intensivierter Beziehungen auch politischen Einfluss hätte und Regierungen beeinflussen könnte. Regimewechsel à la turca sollte eine türkische Führungsposition zementieren, durch den AKP-ähnliche Parteien in anderen nahöstlichen Staaten an die Regierung kämen: sunnitisch-konservativ-neoliberal angeführt von der Türkei. Es kam anders. Für Philip Robins hatte „die AKP-Regierung anfangs sogar einen guten Arabischen Frühling“. Bis dieser Libyen erreichte. Die türkische diplomatische Intervention wurde als Unterstützung Gaddafis verstanden, es kam zu anti-türkischen Protesten in Bengasi. Noch stärker zeigten sich türkische Fehleinschätzungen in Syrien. Assad, mit dem Erdoğan sogar gemeinsam Urlaub gemacht hatte, zeigte keinerlei Bereitschaft, türkischen Forderungen zu folgen. Im Gegenteil. Ebenso verschlechterten sich die Beziehungen zu Ägypten nach dem Sturz Mursis und zur irakischen Zentralregierung. Mit Israel war man sowieso seit der „one minute“ von Davos 2009 auf Kriegsfuß. Bei den Langzeitproblemen mit Armenien und Zypern gab es auch keine Fortschritte. Der letzte verbliebene enge Freund ist der Mini-Golfstaat Katar, der von seinen unmittelbaren arabischen Nachbarn politisch isoliert und wirtschaftlich in die Knie gezwungen werden soll. Die Türkei schickt Soldaten und Lebensmittel nach Katar, hilft dem  Al Thani-Clan damit zu überleben und riskiert ernsthafte Verstimmungen mit Saudi-Arabien.

 

Irgendwann passte das mit den „Null-Problemen“ nicht mehr. Ibrahim Kalın, Akademiker und zurzeit Sprecher des Präsidenten, sprach deshalb 2013 von einer „wertvollen Einsamkeit“. Klingt besser als isoliert. Einsam und Regionalmacht passt aber nicht zusammen. Wen soll man dann führen?

 

Was Kalın und seinem Chef in der heutigen Situation fehlt, ist eine Strategie, sowohl die Beziehungen zu den westlichen Partnern als auch zu den nahöstlichen Nachbarn zu verbessern oder wenigstens zu normalisieren. Man wurschtelt sich von Ereignis zu Ereignis. Mal haut man drauf, mal beugt man sich. Kurzsichtig ist beides.


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