1971 wurde die überparteiliche Schwarzkopf-Stiftung Junges Europa von Pauline Schwarzkopf gegründet. Mit ihren Aktivitäten schafft die Stiftung ein Bewusstsein für politische Prozesse und gibt jungen Menschen die Möglichkeit, ihrer Stimme Gehör zu verschaffen. Theresa Brüheim spricht mit der Geschäftsführerin Anne Rolvering über Europavermittlung im Klassenraum, Umgang mit antieuropäischen Tendenzen und mehr.
Theresa Brüheim: Frau Rolvering, Stiftungszweck der Schwarzkopf-Stiftung Junges Europa ist „die Förderung der Entwicklung junger Menschen zu politisch bewussten und verantwortungsbereiten Persönlichkeiten mit dem Ziel der Stärkung des europäischen Gedankens, der gesamteuropäischen Völkerverständigung und der Bekämpfung von Rechtsextremismus, Antisemitismus und Rassismus“. Wie wird die Stiftung ihrem Zweck gerecht?
Anne Rolvering: Unsere Stifterin Pauline Schwarzkopf meinte: „Wir müssen aus der Geschichte des 20. Jahrhunderts lernen“ und „wer sich kennt, der hasst sich nicht“. Sie war bereits in den 1970er Jahren überzeugt, dass die Stiftung junge Menschen mit dem europäischen Gedanken erreichen muss.
Mit Weitsicht hatte sie erkannt, dass die Idee von Europa als Friedens- und Einheitsprojekt immer wieder neu erarbeitet werden muss. Heute wollen wir junge Menschen befähigen und motivieren, sich aktiv in die europäische Gesellschaft einzubringen, um so eine offene Gesellschaft und liberale Demokratie mitzugestalten.
Wie sieht das in der Praxis aus? Wie vermitteln Sie Europa an junge Menschen?
Wir machen nonformale politische und historisch-politische Bildung auf drei Ebenen: Erstens möchten wir Teilhabe und Bildungsprozesse junger Menschen fördern und sichtbar machen. Zweitens möchten wir sie befähigen und motivieren, an internationalen Begegnungs- und Austauschformaten teilzuhaben. Drittens möchten wir die Zustimmung für Demokratie und Vielfalt in Europa erhöhen.
Dafür unterstützen wir den Aufbau von Organisationen von und für Jugendliche. Eines unserer größten Programme ist das Europäische Jugendparlament, ein seit 30 Jahren bestehendes Netzwerk. Es befähigt und motiviert junge Menschen in Europa – in den Grenzen des Europarates, also über die Europäische Union hinaus – sich selbst Orte der Begegnung zu schaffen, um dort über gesellschaftspolitische und europäische Themen zu sprechen. So erreichen wir jedes Jahr ungefähr 30.000 junge Europäerinnen und Europäer in 40 Ländern. Unsere Rolle in der Stiftung ist das Capacity-Building: Wir befähigen junge Leute, ihre Themen zu setzen und ihre Ideen sowie Projekte selbst organisiert umzusetzen. Wir unterstützen damit eine Struktur von Jugendlichen für Jugendliche, die sich über Europa austauschen und darüber diskutieren, in welcher europäischen Gesellschaft sie leben möchten.
Außerdem sind wir mit jungen Peer-Trainern an Schulen aktiv – besonders in Deutschland, auch wenn sich das Programm mittlerweile in 15 europäischen Ländern etabliert hat. Dort diskutieren wir mit Schülerinnen und Schülern in ihren Klassenverbünden über Europa. Dieser Handlungsstrang wurde vor zehn Jahren ins Leben gerufen. Anfangs war er stark auf Wissensvermittlung zu den europäischen Institutionen ausgerichtet. Mittlerweile haben wir das Programm geöffnet, da wir unsere Aufgabe eher darin sehen, einen interaktiven Raum in der Schule zu schaffen, in dem Schülerinnen und Schüler über Partizipationsmöglichkeiten in Europa nachdenken können. Gleichzeitig versuchen wir den Schülerinnen und Schülern stärker zu verdeutlichen, wo Europa in ihrer Lebenswelt stattfindet und warum es wichtig ist, sich einzubringen und seine Meinung zu vertreten. Das Peer-Projekt an Schulen ist ein Modul, mit dem wir themenaktuell reagieren können. So haben wir z. B. viel zu den Themen Flucht, Asyl, Migration, Integration in Europa mit Schülerinnen und Schülern gearbeitet. Mit den Jugendlichen haben wir ihre Ideen und Vorstellungen, aber auch über ihre Ängste in Bezug auf eine vielfältige europäische Gesellschaft diskutiert.
Wir unterstützen aber auch außerhalb der Schule junge Ideen. Ein Beispiel ist das Projekt „FreeInterrail“ von „Herr & Speer“, eine Initiative mit der einfachen, aber guten Idee, allen 18-Jährigen einen Interrail-Pass zu schenken, mit dem sie durch Europa reisen und es kennenlernen können. Ein ähnliches Programm hatte unsere Stifterin Pauline Schwarzkopf schon vor 40 Jahren aufgesetzt: unser europäisches Reisestipendienprogramm. Wir ergänzen die Idee, durch Europa zu reisen, mit einem themenbezogenen Bildungsauftrag und der Dokumentation über Interviews, Videoclips, Bilder, Fotoreportagen. In den letzten Jahren waren Flucht, Asyl und Migration sehr oft Thema, weil es junge Leute quer über den Kontinent beschäftigt hat. Aber auch mit vielen anderen Themen haben sich junge Leute während ihrer Reisen durch Europa beschäftigt: die verschiedenen Ausbildungssysteme in Europa, die hohe Jugendarbeitslosigkeit in Spanien, Nachhaltigkeit und Mobilität in Europa, Populismus und Medien und natürlich der Brexit.
Von einer politikverdrossenen Jugend kann jedenfalls nicht die Rede sein. Dieses ständige Vorurteil, dass wir es mit einer apolitischen Generation zu tun haben, macht mich wütend. Ich erlebe täglich etwas anderes, nämlich eine wache, interessierte und neugierige junge Generation, die nur andere Wege sucht zu gestalten, als es in der Vergangenheit der Fall war.