Was ist als nächstes geplant?
Seit dem „March For A New Europe“ hat sich Einiges getan. Wir haben uns transnationalisiert, d. h. mit anderen pro-europäischen progressiven Europäerinnen und Europäern vernetzt. Gemeinsam rufen wir den „European May“ aus. Vom 1. Mai, dem Tag der Arbeit, bis zum 9. Mai, dem Tag des wichtigen EU-Gipfels zur Zukunft der EU in Sibiu in Rumänien, wollen wir mit kreativem Protest und disruptiven Aktionen unsere Vision eines progressiven Europas proklamieren – sowohl online als auch offline. Die ersten zwei Jahre lag der Fokus von „The European Moment“ auf deutschlandweiten Aktionen. Wir müssen jedoch europaweit agieren, um unsere Ziele zu erreichen. In vielen Städten und Regionen in Europa werden ähnliche Kämpfe geführt – ob es für Frauenrechte oder gegen Rassismus und Klimawandel ist. Die Idee des „European May“ ist, diese zu verbinden. Wir wollen aufzeigen, dass die offene Gesellschaft in Gefahr ist, wenn wir sie nicht verteidigen. Bei unseren Aktionen müssen wir dann die Rockstars sein, sodass andere Groupies sein wollen, weil es Spaß macht und cool ist, sich für Europa stark zu machen. Höhepunkt ist dann die Demo »Ein Europa für Alle – Deine Stimme gegen Nationalismus« am 19. Mai 2019. Zeitgleich werden Zehntausende in sieben deutschen Städten sowie weiteren europäischen Städten für ihre Vision eines demokratischen, friedlichen, nachhaltigen und solidarischen Europas auf die Straßen gehen und den Nationalisten eine Absage erteilen. Das wird auch im Rahmen des „#EuropeanMay“ unterstützt.
Gerade im Vorfeld dieser richtungsweisenden Europawahlen soll für eine andere EU mobilisiert werden. Denn aktuell gibt es keinen politischen Willen, umfangreiche politische Änderungen vorzunehmen. Zumindest sehe ich den nicht. Schaut man sich den immer weiter voranschreitenden Aufstieg der Rechtspopulisten und Nationalisten in der EU an, dann wird es im EU-Parlament zukünftig nicht die großen progressiven – dringend benötigten – Schritte geben, ganz im Gegenteil. Aktuell ist fast jeder vierte Abgeordnete im Europäischen Parlament dem rechten bzw. euroskeptischen Lager zugehörig. Die Umfragen versprechen nichts Gutes: Nach der Wahl könnte es jeder Dritte sein. Es ist ein Schicksalsjahr, die Handlungsfähigkeit der EU steht auf dem Spiel.
Wie versuchen Sie Bürgerinnen und Bürger, die noch nichts mit Europa zu tun hatten, zu motivieren, für ihren Kontinent einzustehen?
Ich komme aus der europapolitischen Bildungsarbeit. Ich habe jahrelang für die Schwarzkopf-Stiftung Junges Europa an Berliner und Brandenburger Schulen „Europa verstehen“-Kurse gegeben und viel aus der Zeit mitgenommen. Die Abschaffung der Roaming-Gebühren in der EU überzeugt niemanden, der noch nie im Ausland war und nicht von diesen Errungenschaften direkt profitiert. Ich war vor Kurzem an einer Brandenburger Schule. Viele kannten Erasmus nicht – ein klassisches Beispiel. Glückliche aus der Europa-Bubble kennen das Förderprogramm aus ihrer Studienzeit, haben es oft selbst gemacht. Aber was ist mit den Auszubildenden? Gilt für sie genauso, aber das wissen die Wenigsten. Da muss man tatsächlich mehr machen, sodass sich ein Multiplikatoreffekt einstellt. Mein Mitbewohner ist Koch. Er hat ein halbes Jahr in Frankreich die französische Cuisine gelernt. All das ist möglich, wenn man davon weiß.
Auf Ihrer Handyhülle steht: „In welchem Europa willst du leben?“ In welchem wollen Sie leben?
Ich möchte in einem Europa leben, in dem das Versprechen von Europa für alle Realität ist. In einem Europa, das solidarisch, nachhaltig, demokratisch ist und die Werte hochhält, die nicht nur für einige Privilegierte Realität sind, sondern für alle. In diesem Europa sollte es wirklich um die Bürgerinnen und Bürger gehen, und nicht nur um irgendwelche nationalstaatlichen oder wirtschaftlichen Interessen, denn Europa ist kein Egotrip.
Vielen Dank.
Dieses Interview ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 05/2019.