Ode an die Freude

Glaube an und Arbeit für die Zukunft

In den letzten 20 Jahren war London einer der spannendsten Orte der Welt, um Kunst zu schaffen, zu zeigen und zu sehen – in Museen, staatlichen und internationalen Galerien, in Räumen, die man sich für die Kunst aneignete, in kleinen Künstlerkooperativen, Kunsthochschulen oder in Ateliers einzelner Kunstschaffender. Einfach fantastisch, welche Vielfalt und Größenordnung, welche Ambitionen und Qualität wir dort sehen konnten. Für mich hält die Stadt dem Vergleich mit dem Paris der späten 1890er und frühen 1900er Jahre oder dem New York der späten 1940er, der 1950er und frühen 1960er Jahre stand. Ich fühle mich auf wunderbare Weise privilegiert, ein Teil davon gewesen zu sein. Viele verschiedene Faktoren – Einzelpersonen, Institutionen, wirtschaftliche Möglichkeiten und ein gesellschaftlicher Wandel haben gemeinsam zu dieser Blütezeit beigetragen und natürlich hält sie nicht an. Wir sollten dankbar für ihre Existenz sein und die Gewinne in die Zukunft hinüberretten. In London haben die überzogene Monetarisierung der Kunstwelt und der rasante Höhenflug des Immobilienmarktes die Situation vermutlich kippen lassen. Das Brexit-Votum erscheint eher symptomatisch statt ursächlich zu sein und spiegelt eine Ablehnung der Globalisierung wider, die deren Wurzeln zu marginalisieren scheint. Dies ist für den Kultursektor ein ebenso wichtiges Thema wie für die verarbeitende Industrie und die Schwerindustrie. Die Vitalität, die insbesondere in London, aber auch in der gesamten britischen Kunstszene zu spüren ist, bedeutet, dass sehr umfassende Netzwerke entstanden sind – individuell, institutionell, kollektiv und kommerziell. Sich dafür einzusetzen, diese Verbindungen zumindest aufrechtzuerhalten und gleichzeitig neue Kontakte zu knüpfen, ist von entscheidender Bedeutung.

 

Ich bin Künstler. Ich bin eigennützig und egoistisch und ich schätze meine Unabhängigkeit. Aber ich verändere mich auch und passe mich an. Momentan ist es für einen jungen Künstler, der in London seinen Hochschulabschluss macht oder in die Stadt zieht, so gut wie unvorstellbar, so wie ich ein verlassenes Fabrikgebäude zu finden und sich dort zusammen mit einigen anderen in mehreren Ateliers kostengünstig zu etablieren. Die inflationäre Entwicklung der Immobilienpreise und die hohen Lebenshaltungskosten haben dies zu einem bloßen Wunschtraum werden lassen. Aber junge Künstler sind widerstandsfähig, ihre Arbeitsweise wird sich ändern und hat sich bereits geändert; und auch wie sie diese großartige Stadt nutzen und sich der Familie der Kunstschaffenden in Europa und auf der ganzen Welt zuwenden, wird sich anpassen und weiterentwickeln. Wir haben bereits viel, worauf wir aufbauen können. Lasst uns an die Zukunft glauben und darauf hinarbeiten.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 01/2018.

Richard Deacon
Richard Deacon ist Künstler.
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