Die EU und Großbritannien befinden sich mitten in den Verhandlungen über den Ausstieg Großbritanniens aus der EU: Was steht dabei für Bildung und Forschung auf dem Spiel? Schaut man sich die Verflechtung zwischen unseren Ländern in diesen Bereichen an, wird deutlich, dass wir es hier mit einem komplexen Thema zu tun haben: Warum ist dies so und was macht eine Trennung hier so unsinnig und kontraproduktiv für alle Beteiligten?
Internationalisierung ist Bildung und Wissenschaft immanent, denn es geht um die besten Ideen der klügsten Köpfe der Welt und diese machen nicht an Grenzen halt – weder die Menschen noch die Ideen. Dies gilt umso mehr, wenn man an die großen globalen Themen der Zukunft denkt: von Klimawandel über Ernährungssicherheit bis hin zu vielen medizinischen oder technologischen Fragen. Wissenschaft findet heute in großen internationalen Netzwerken statt. Nicht mehr nur bi-, sondern immer mehr auch multilateral. Dazu haben sich sogar neue Formen von Partnerschaften herauskristallisiert: strategische oder privilegierte Partnerschaften, um diese Vernetzung institutionell besser abbilden zu können. Diese Entwicklung hat wiederum große Konsequenzen für den akademischen Nachwuchs und die internationale Mobilität. Zum einen besteht weltweit ein großes Interesse, die klügsten Köpfe an das eigene Wissenschaftssystem zu binden. Zum anderen muss der eigene akademische Nachwuchs auf ein derart globales wissenschaftliches Umfeld vorbereitet werden.
Internationalisierungsstrategien gehören deshalb heute zum Standard von Universitäten und Ländern. Da liegt es auf der Hand, dass jede Form von neuen Grenzen und Abgrenzungen ausgesprochen kontraproduktiv ist.
Dies gilt umso mehr für die Kooperation innerhalb Europas. Über Jahrzehnte ist ein großer und sehr erfolgreicher Hochschulraum aufgebaut worden, an dem alle Länder der EU partizipieren und, was die Beteiligung am Forschungsrahmenprogramm Horizon 2020 betrifft, sich Großbritannien als Spitzenreiter behauptet. Doch dies ist nur eine Facette. Das Thema ist sehr viel komplexer: Es betrifft alle oben genannten Bereiche, die akademische Mobilität von und nach Großbritannien auf allen Ebenen von Bachelor-Studierenden bis hin zu Wissenschaftlern. Betroffen sind voraussichtlich auch alle ausländischen Wissenschaftler, die im britischen System arbeiten, des Weiteren selbstverständlich die gemeinsamen Forschungsprojekte inklusive gemeinsamer akademischer Infrastruktur. Wie sieht es nun in diesen Bereichen konkret aus? Schauen wir zunächst auf die akademische Mobilität: Universitäten in Großbritannien waren bisher für deutsche Studierende hochattraktiv. Mit über 13.500 Studierenden waren junge Deutsche die größte Gruppe aller EU-Bürger. Insgesamt kommen knapp 30 Prozent aller internationalen Studierenden in Großbritannien aus der EU: rund 125.000 Personen. Zum ersten Mal zeichnet sich bei jungen Deutschen ein Rückgang ab, dies ist sicherlich als Ausdruck einer Verunsicherung zu verstehen, umso wichtiger sollte es sein, Hemmnisse im europäisch-britischen Studierendenaustausch zu vermeiden. Allein die Tatsache, dass EU-Bürger nur die auf 9.000 Pfund gedeckelten Studiengebühren für Briten zahlen müssen, würde eine erhebliche Veränderung bedeuten, wenn diese Unterscheidung wegfiele.
Ähnliches gilt für das Programm Erasmus+: Dort hat sich die Studierendenmobilität junger Briten innerhalb von fünf Jahren um 45 Prozent auf gut 15.000 erhöht. Erasmus deckt bei britischen Studierenden 46 Prozent der internationalen Mobilität ab, spielt damit eine zentrale Rolle und hat sicherlich ganz wesentlich dazu beigetragen, die ursprünglich recht geringe Mobilitätsbereitschaft junger Briten zu steigern. Auch in umgekehrter Richtung wird diese Form der Mobilitätsförderung sehr geschätzt: Pro Jahr nimmt Großbritannien insgesamt etwa 30.000 EU-Geförderte auf. Auch hier sollte alles getan werden, um die großen Möglichkeiten, die Erasmus+ bietet, weiter aufrecht zu erhalten.
Neben studentischer Mobilität stellt sich aber auch die Frage, was mit all den deutschen Staatsbürgern wird, die an britischen Hochschulen tätig sind: Deutsche stellen hier die größte nationale Gruppe mit insgesamt 5.540 Wissenschaftlern. Sie sind ganz wesentlich auf Personenfreizügigkeit angewiesen, tragen erheblich zum britischen Wissenschaftssystem bei und bauen die Netzwerke, auf die wir alle angewiesen sind. Ihnen muss eine attraktive Perspektive zum Bleiben geboten werden.
Kommen wir zum Bereich der Forschungskooperationen: Im laufenden EU-Forschungsförderprogramm Horizon 2020 ist Großbritannien das erfolgreichste Land, knapp gefolgt von Deutschland. Bei den fünf Spitzenuniversitäten Cambridge, Oxford, dem University College London, dem Imperial College London und Edinburgh machen die EU-Mittel rund 20 Prozent der öffentlichen Finanzierung aus. Ähnlich stark behaupten sich Universitäten in Großbritannien bei ERC Grants. Dabei hat sich im 7. EU-Forschungsrahmenprogramm gezeigt, dass Großbritannien bei der Forschungsförderung sehr viel mehr von europäischen Töpfen profitiert, als es selbst eingezahlt hat.
Allein diese wenigen Zahlen demonstrieren, was für alle Beteiligten auf dem Spiel steht: Es geht einerseits um viel Geld, viel kritischer aber wäre ein Verlust an Kooperationspartnern und Netzwerken. Dies gilt ganz besonders für deutsche Universitäten, wenn man sich die hohe Zahl der gemeinsamen Publikationen anschaut: Artikel mit internationalen Co-Autoren haben regelmäßig höhere Resonanz und werden mehr zitiert als Einzel-Veröffentlichungen; hier spielen gerade deutsch-britische Publikationen eine
herausragende Rolle.
Was heißt dies nun alles? Wir können eigentlich alle nur verlieren, wenn es nicht gelingt, in den verschiedenen Bereichen die bestehenden Freizügigkeiten aufrecht zu erhalten. Deshalb werden wir uns gemeinsam mit unseren britischen Partnern dafür einsetzen, dass der Austausch mit Großbritannien uneingeschränkt fortgesetzt werden kann. Denn es steht zu befürchten, dass Entscheidungen über Bildung und Wissenschaft ganz maßgeblich von Entscheidungen in anderen Bereichen abhängen, nämlich davon, inwieweit sich Großbritannien auch zukünftig auf eine generelle Personenfreizügigkeit einlässt.
Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 05/2017.