Kultur kennt keine Grenzen

Trotz Brexit bleibt Großbritannien ein wichtiger Partner

Die wirtschaftliche Differenz zwischen der Weltmetropole London und einigen Regionen des restlichen Landes, die sich zurückgelassen fühlten, wird als ein Grund für den Brexit gesehen, und das gilt auch für das Stadt-Land-Gefälle in der Kultur: „Was die Brexitdebatte befördert hat, war die sehr schlechte Versorgung post-industrieller Orte mit den Künsten. Es gab einige kulturpolitische Bewegungen, solche ‚künstlerischen Orte‘ außerhalb der Ballungszentren zu kreieren. Aber sie waren nicht stark genug“, sagt Mark Nash.

 

Auch wenn das Vereinigte Königreich aus vier Ländern und zahlreichen „Counties“ besteht, die ein relativ dezentrales System vermuten lassen, so ist London eindeutig das Macht- und Finanzzentrum. Von hier wird das Geld verteilt – auch das für Kultur. Es ist daher kein Wunder, dass viele Brexit-Befürworter außerhalb der Ballungszentren leben, dort, wo die Kulturzuschüsse in der Regel nicht mehr hinreichen, dort, wo auch die private Hand kein Interesse hat zu fördern.

 

„Die Kulturpolitik will künftig den Fokus auf ländliche Gegenden legen, um Zielgruppen zu erreichen, die keinen Zugang zu Kultur haben. Es wird eine große Herausforderung sein, dies in Gegenden zu erreichen, wo es keine kulturelle Infrastruktur gibt. Aber die Investition ist eine wichtige und nötige“, so Nick McDowell.

 

Auch das Goethe-Institut setzt sich verstärkt für die Förderung der Zivilgesellschaft ein, um insbesondere solche Zielgruppen zu erreichen, deren Affinität zur Kultur nicht offensichtlich und deren Lebensräume gar nicht oder nur karg mit kultureller Infrastruktur durchzogen sind. Im Bildungsbereich geschieht dies schon lange im Rahmen der Förderung von Deutsch als Fremdsprache und inzwischen auch vermehrt durch Jugendaustausch- oder Jugendförderprojekte. Hier findet man auch Unterstützung bei der Wirtschaft. So fördern die „Freunde des Goethe-Instituts London“, eine 2017 gegründete Gemeinnützige Gesellschaft, zwei Programme, die Jugendlichen Reisen nach Deutschland und erste Erfahrungen mit verschiedenen Berufen ermöglichen –
z. B. im Spitzenfußball.

 

Das europaweite Projekt „Freiraum“, das sich seit 2017 stetig weiterentwickelt hat, war ein erster Versuch des Goethe-Instituts, mit neuen Partnern auch Menschen außerhalb der Ballungszentren zu erreichen. Dafür setzte das Goethe-Institut sein europaweites Netzwerk ein, um Partner aus Kultur und Zivilgesellschaft in den Dialog zu bringen und der Frage nachzugehen, wie es um die Freiheit im heutigen Europa steht.

 

Um weitere neue Zielgruppen zu erreichen, bedarf es jedoch weiterer Projekte, die mit neuen Formaten, z. B. im Bereich Theater und Theaterfestivals, arbeiten. Hierzu haben das Goethe-Institut und der Arts Council bereits eine Kooperation im Theaterbereich vereinbart
Auf die Frage, wie sich die Aussichten für den Arts Council gestalten werden, antwortet der Leiter Nick McDowell jedoch: „Unser Budget sinkt stetig. Das wird sich wohl auch nach dem Brexit nicht ändern.“

 

Seit dem Brexit-Referendum sind die Kooperationsanfragen von neuen und alten Partnern des Goethe-Instituts stetig gestiegen. Ähnliches hört man auch von anderen europäischen Kulturinstitutionen oder von EUNIC – dem Zusammenschluss dieser Institutionen, der in London immerhin 31 Mitglieder hat. Der Brexit ist in den Augen der lokalen Partner nicht nur ein „Verlassen der EU“, sondern eine Gefahr für ihre internationalen Netzwerke, die sowohl ökonomisch, als auch emotional verletzen wird.

 

Darüber hinaus arbeitet das Goethe-Institut verstärkt mit britischen Partnern zusammen, die zivilgesellschaftlich aktiv sind – wie etwa mit dem „Showroom“, dem „LIFT“-Festival oder „Furtherfield“, um den Schaden, den der Brexit in der Kulturwelt anrichten wird, so gering wie möglich zu halten. Die digitalen Möglichkeiten des Internets, vor allem die sozialen Medien, sollen hier unterstützen, indem sie mit ihrer Reichweite und ihren populären Formaten – Games, Podcasts, Dossiers, innovative Kommunikationsplattformen etc. – neues Publikum gewinnen können. Dabei sollen auch künstliche Intelligenz oder virtuelle Realitäten erprobt werden.

 

Das Schaffen von Plattformen, auf denen sich kreative Menschen vernetzen können, zählt zu den Hauptaufgaben des Goethe-Instituts. Das Goethe-Institut London tut dies als Regionalinstitut für Nordwesteuropa in diesem Kulturraum im besonderen Maße – z. B. über einen gemeinsamen Podcast oder in Form von Regionalprojekten wie „Creative Ports“ oder dem Arktisprojekt „The right to be cold“, aber auch mit seinem weltweiten Netzwerk wie bei dem Projekt „Echos des Südatlantiks“, bei dem es um die Rolle Europas im kolonial geprägten Dreieck zwischen Afrika, Südamerika und Europa geht.

 

Ob und wie der Brexit kommen wird, wissen wir nicht. Wird es Neuwahlen geben oder ein zweites Referendum? Wird man bis zum 31. Oktober eine Lösung finden oder kann es gar wieder zu einer „No-Deal“-Gefahr kommen, was nach dem starken Abschnitt der Brexit-Partei bei der Europawahl wieder mit Besorgnis diskutiert wird? All das steht in den Sternen. Gewiss ist aber, dass das Vereinigte Königreich Teil Europas ist. Das wird auch der Brexit nicht ändern. Das Goethe-Institut wird die Kulturbeziehungen noch stärker knüpfen als zuvor – zusammen mit den Partnern der EU. Denn wir alle wissen: Kultur kennt keine Grenzen und sollte sie auch nicht kennenlernen.

 

Dieser Text ist zuerst erschienen in Politik & Kultur 07-08/2019.

Katharina von Ruckteschell-Katte
Katharina von Ruckteschell-Katte ist Leiterin des Goethe-Instituts London und der Region Nordwesteuropa. Sie hat mit verschiedenen Personen aus der Kulturszene Großbritanniens über die Auswirkungen des Brexit gesprochen. Dieser Text ist die Zusammenfassung dieser Gespräche.
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