Kultur kennt keine Grenzen

Trotz Brexit bleibt Großbritannien ein wichtiger Partner

Normalerweise sind Leute aus der Kunstszene gegen den Brexit. Und wenn sie dafür wären, würden sie es nicht zugeben. Das würde nicht gut aussehen.“ So beschreibt Isaac Julien, der bekannte britische Film- und Installationskünstler, die Position der Künstlerinnen und Künstler im Vereinigten Königreich zum alles dominierenden Thema Brexit.
Seit dem 2016 in einem Volksentscheid beschlossenen Brexit ist Großbritannien als Land durch und durch gespalten. Als Metapher für die jeweilige politische Haltung, ja sogar für die Lebenseinstellung, zieht sich der Brexit durch alle Gesellschaftsschichten, Alters- und Berufsgruppen – er spaltet sogar Familien. »Das Land wird für die nächsten 20 Jahre geteilt sein. Es ist, als würde eine Mauer errichtet – wie zwischen Ost- und Westdeutschland«, so Mark Nash, englischer Kurator und Autor. Die einzige Ausnahme scheint die Kultur zu bilden, denn hier ist man sich – fast – einig, dass der Brexit in jedweder Beziehung schädlich wäre.

 

So würde die Kultur- und Kreativindustrie in vieler Hinsicht leiden, die bisher eine der erfolgreichsten Wirtschaftszweige Großbritanniens ist. Im April 2019 meldete „The Guardian“, dass sie sogar die britische Landwirtschaft überholt habe. Der Brexit bedeutet allerdings höhere Kosten. So meint Joshua Edwards, Musikagent, „dass Tourneen durch Länder der EU bis zu drei Mal mehr kosten würden“. Außerdem müsste vieles importiert werden – Vinyl beispielsweise, das hauptsächlich aus Deutschland kommt und nicht im Vereinigten Königreich produziert wird. Hier rechnet man mit enormen Preissteigerungen.

 

Auch die Kulturförderprogramme der EU könnten möglicherweise wegbrechen. Ein potenzieller Wegfall der EU-Filmförderung würde dem UK-Filmbetrieb voraussichtlich einen massiven Dämpfer verpassen. Die britische Regierung hat zwar angekündigt, man wolle sich weiterhin an EU-Programmen wie „Creative Europe“ oder „Erasmus“ beteiligen. Doch man vermutet, dass dies bei schlechter werdender Konjunktur auch das Erste sei, was gestrichen werde. Einer der Gesprächspartner – ehemaliger Opernsänger und großer Verfechter der Europäischen Idee – kommentierte dies lakonisch: „Kultur ist für uns das Brot des Lebens, doch für die Regierung ist sie nur die Praline zum Nachtisch.“

 

Nick McDowell, Leiter des Arts Council International – eine der wichtigsten Institutionen der Kulturförderung im Vereinigten Königreich, die vom Ministerium für Kultur, Medien und Sport finanziert wird, aber „at arms length“ operiert – ist nicht ganz so pessimistisch. Er hofft, dass es bis „Halloween“, der 31.10.2019 ist der neue verschobene Brexit-Termin, noch eine Lösung geben werde. Die Mitgliedschaft bei „Creative Europe“ sei nicht nur aufgrund budgetärer Vorteile, sondern vor allem wegen seines sehr wichtigen Netzwerkes ein absolutes „Muss“. Möglicherweise werde Großbritannien einen Status als „Drittland“ erhalten und weiterhin an den jeweiligen multilateralen EU-Programmen partizipieren können, die Kultur und Bildung ansprechen.

 

Besonders wichtig sei es daher auch, die internationale Vernetzung nicht abreißen zu lassen und sie sogar auszuweiten. „Wir co-finanzieren ca. 800 kulturelle Organisationen, zwei Drittel davon arbeiten international und 60 Prozent davon in Europa“, so McDowell. Ein Aus des Erasmus-Programms träfe vor allem Studiengänge im Bereich Kultur oder Kunst besonders hart, da diese Fächer subventioniert werden müssen, um auf dem „Markt“ zu überleben.

 

Auch Philippa Stockley, britische Schriftstellerin, Journalistin und Malerin, befürchtet, dass der Brexit einen enorm negativen Effekt auf die Ausbildung junger Menschen haben wird. Die Kunsthochschulen seien ein großer Magnet für junge Europäerinnen und Europäer, aber durch das Wegfallen des Erasmus-Programms und die steigenden Studiengebühren würden sie zukünftig fernbleiben. Die Vorstellung, dass viele junge europäische „Kulturleute“ das Land verlassen werden, macht sie sehr traurig.

 

Passiert ist dies schon mit den EU-Orchestern, die ihre Heimat in Großbritannien verloren haben. Das EU-Jugendorchester, das hier gegründet wurde, hat seinen Sitz nach Ravenna verlegt, und das EU-Barock Orchester ist nach Belgien gezogen.

 

Welche Auswirkungen der Brexit auf die kreative Szene in der Metropole London haben wird, ist umstrittener. Manche glauben, dass London eine „Insel“ sei und sowohl wirtschaftlich als auch intellektuell und künstlerisch weiterhin ein globales Zentrum bleiben werde. Für einen sogenannten „Braindrain“ gebe es keine Gefahr. Andere befürchten aber, dass etwa der Kunstmarkt nach Frankreich oder Deutschland abwandern könnte.

Katharina von Ruckteschell-Katte
Katharina von Ruckteschell-Katte ist Leiterin des Goethe-Instituts London und der Region Nordwesteuropa. Sie hat mit verschiedenen Personen aus der Kulturszene Großbritanniens über die Auswirkungen des Brexit gesprochen. Dieser Text ist die Zusammenfassung dieser Gespräche.
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