Enttäuschung und Verunsicherung

Die Folgen des EU-Ausstiegs für den Universitätsbetrieb in Großbritannien sind gravierend

Verunsicherung begleitet aktuell auch Studierende aus der EU. Erasmus-Studierende sind im UK von Studiengebühren befreit. Außerhalb von Erasmus entrichten EU-Bürger, die einen kompletten Bachelorstudiengang absolvieren, bislang „home fees“. In England, dem Landesteil mit den meisten Hochschulen, sind dies in aller Regel 9.000 Britische Pfund pro Jahr, die auch für das Nicht-EU-Land Schweiz verhandelt wurden. Alle anderen internationalen Studierenden zahlen die weitaus teureren „overseas“ oder „non-EU fees“. Die Durchschnittsgebühren pro Jahr für Bachelorstudiengänge liegen dann in Hörsaal-basierten Studiengängen bei 12.719 GBP (+41 Prozent), in laborbasierten bei 14.655 GBP (+63 Prozent) und in klinischen Kursen bei 24.190 GBP (+170 Prozent). Die Prozentangaben verstehen sich jeweils im Vergleich mit „home fees“ laut „THE International and postgraduate fee survey 2015“.

 

Ist eine „Schweizregelung“ für ganz EU-Europa mit 27 Mitgliedsstaaten, die nach erfolgtem Austritt des UK weiterhin lediglich „home fees“ zahlen würden, denkbar? Zweifel scheinen angebracht, denn durch den weitgehenden Rückzug des Staates aus der Studienfinanzierung sind britische Hochschulen auf entsprechende Gebühreneinnahmen angewiesen. Ihr Anteil am Universitätshaushalt kann zwischen 40 und 45 Prozent ausmachen. Im Zuge der Gleichbehandlung haben EU-Studierende bislang Zugang zu den staatlich finanzierten Gebührenvolldarlehen für das grundständige Studium der „Student Loans Company“ (SLC) und unterliegen den gleichen nachgelagerten und sozialverträglich ausgestalteten Rückzahlungsbedingungen. Sie werden darüber hinaus ab dem kommenden akademischen Jahr Gebührenstipendien für ein Masterstudium (im UK meist einjährig) in einer Gesamthöhe von 10.000 Britischen Pfund in Anspruch nehmen können. Ob nach einem vollzogenen „Brexit“ beide Möglichkeiten weiterhin bestehen bleiben, muss bezweifelt werden.

 

Und das ist aus Sicht vieler akademisch Verantwortlicher, die Studierende nicht primär als Gebührenzahler betrachten, kein geringes Problem. Aktuell stammen von rund 440.000 internationalen Studierenden, die für ein ganzes Studium an britischen Universitäten eingeschrieben sind, etwa 125.000 oder 28,5 Prozent aus EU-Mitgliedsstaaten. Darunter sind ca. 13.700 Deutsche (mit 11 Prozent die größte Gruppe aus einem EU-Land). EU-Studierende erbringen zwar weniger Gebühren, werden aber ob ihres intellektuellen Beitrags und der daraus resultierenden „classroom balance“ mit britischen und den weiteren gut 70 Prozent non-EU internationals geschätzt. Wird ihre Zahl nach einem EU-Austritt und erheblich höheren Gebühren sinken? Dies hätte auch Nachteile für die „internationalisation at home“ britischer Studierender. Sie neigen aus vielerlei Gründen – z. B. mangelnde Fremdsprachenkompetenz, straffes Bachelorstudium und meistens lediglich einjährige Masterprogramme mit nur geringen Mobilitätsfenstern – weniger dazu, im Ausland zu studieren. Die starke Präsenz internationaler Studierender, im Durchschnitt ca. 18 bis 19 Prozent und ihre Durchmischung, schafft dazu bisher einen gewissen Ausgleich.

 

Viele britische Hochschulen haben EU-Studierenden für das kommende akademische Jahr 2016/17 bereits zugesichert, dass es bei den bisherigen reduzierten „home fees“ bleiben wird, wie dies in der Zukunft aussehen wird, weiß derzeit niemand. Die Freizügigkeit für Personen, ihren Wirkungsort selbst zu bestimmen, ist ein Kernelement vieler EU-Programme. Sie gilt für die Forschungsförderung wie die Studierendenmobilität. Jede Einschränkung hier wird Folgen für die weitere Beteiligung britischer Universitäten haben. Von den auszuhandelnden Bedingungen wird es abhängen, ob am Ende eine begrenzte Beteiligung (ohne inhaltliches Mitspracherecht) oder der völlige Ausschluss erfolgt. Für die britische wie die europäische Wissenschafts- und Hochschullandschaft ist beides eindeutig negativ. Ohne den wichtigen britischen Beitrag droht der Wissenschaftsraum Europa als Ganzer zu verarmen. Auch der Wettbewerb mit anderen Wissenschaftsregionen der Welt wie Nordamerika und Ost- wie Südostasien würde leiden.
Die Begrenzung der Zuwanderung und die Wiedergewinnung der Kontrolle über die eigenen Grenzen war vermutlich der durchschlagendste, mit Gift getränkte Argumentationspfeil im Köcher der Brexit-Befürworter. Dies wird die neue Regierung in London nicht außer Acht lassen können. Die ehemalige Innen- und neue Premierministerin Theresa May war zwar keine Austrittsbefürworterin. In ihrem früheren Amt hat sie aber eine harte Linie gegen ein „Zuviel“ von Einwanderung vertreten. Internationale Studierende wurden dabei nicht ausgeklammert. Im Gegenteil wurde ihnen eine „Mitschuld“ gegeben, denn zu viele von ihnen blieben nach Studienabschluss im Land. Wie will die neue Regierung die negativen Folgen, die sich hieraus auf akademischem Gebiet und für die bisher so offene britische Gesellschaft als Ganzes ergeben können, eindämmen? Eine Antwort auf diese Frage fällt zumindest heute schwer.[/vc_column_text][/vc_column][/vc_row]

Georg Krawietz
Georg Krawietz leitet die DAAD-Außenstelle London
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