Universities UK, die britische Rektorenkonferenz mit 134 Mitgliedshochschulen, hatte bereits kurz nach der Parlamentswahl im Mai 2015 die Kampagne „Universities for Europe“ gestartet, die auch vom DAAD unterstützt wurde. Das Schwergewicht der Argumente lag auf den Kooperationsvorteilen innerhalb Europas. Erst danach folgte der Hinweis auf die finanziellen Vorteile, die britische Hochschulen aus diversen EU-Programmen, vor allem im Forschungsbereich, ziehen. So lag der britische Finanzierungsanteil am 7. EU-Forschungsrahmenprogramm (2007-2013) bei 5,4 Milliarden Euro, zugewiesen wurden ihnen aber 8,8 Milliarden Euro. Ebenso erfolgreich waren britische Institutionen bei Anträgen für European Research Council (ERC) Grants. Zwischen 2007 und 2015 warben sie 636 Grants ein, deutlich mehr als der nächstplatzierte Deutschland (441) mit ihren Forschungseinrichtungen und Universitäten. Um diese und andere Vorteile nicht zu verlieren, gingen einige Hochschulleitungen so weit, ihre Mitarbeiter und die Studierenden per Rundmail dazu aufzufordern, sich am Referendum zu beteiligen und, mehr oder minder offen formuliert, für »Remain« zu stimmen – ein ungewöhnlicher Schritt, der den Ernst der anstehenden Entscheidung verdeutlichte.
Es gab Gegenpositionen aus Hochschule und Wissenschaft, aber in wesentlich geringerer Zahl. Die britische Forschung sei auch unabhängig von EU-Förderprogrammen Weltklasse und ein Austritt öffne neue Wege zu anderen, nicht-europäischen Forschungszentren. Warum die EU die britische Forschung bisher daran gehindert haben sollte, dies zu tun, blieb dabei meistens im Ungefähren. Ein weiterer Argumentationsstrang lautete, dass nach einem Austritt des EU-Nettobeitragszahlers UK das eingesparte Geld auf nationaler Ebene ohne EU-bürokratische Hindernisse direkt an die britische Wissenschaft verteilt werden könne. Für eine solche nationale Forschungsförderung in der Zukunft müssten aber zunächst Mechanismen geschaffen werden. Dies könnte theoretisch in Anlehnung an das alle sechs Jahre durchgeführte Forschungsexzellenzermittlungsverfahren erfolgen, zuletzt 2014 als „Research Excellence Framework“ (REF) durchgeführt. Dieses Prozedere ist allerdings personell und kostenmäßig höchst aufwändig und erfolgt nicht zuletzt deshalb nur in größeren zeitlichen Abständen. Eine weitere Frage ist, ob die Wissenschaft das Nötige erhält, wenn auch andere Bereiche, die bisher EU-Förderungen erhalten haben, etwa die Landwirtschaft und die Regional- und Strukturförderung, Bedarfe in Westminster anmelden. Und das wird passieren, wie das Beispiel der Region Cornwall – die trotz hoher EU-Subventionen paradoxerweise für einen Austritt gestimmt hat – bereits zeigt.
Hinsichtlich EU-geförderter Wissenschaftsprojekte werden bereits wenige Wochen nach dem Referendumsentscheid die Folgen deutlich. Berichtet wird von Konsortialbewerbungen für mehrjährige Vorhaben im Rahmen von „Horizon 2020“, in denen britische Teilnehmer gebeten wurden, von einer bisher vorgesehenen Senior- in eine (leichter ersetzbare) Juniorrolle zu wechseln. In einzelnen Fällen soll sogar zum Rücktritt geraten worden sein. Zugenommen haben Anfeindungsfälle mit xenophobem und sogar rassistischem Charakter, auch an Hochschulen. Sie sind die Folge einer, vorsichtig formuliert, irrational geführten, unfairen und oftmals an niedere Instinkte appellierenden Kampagne des Austrittsbefürwortungslagers, die viele in einem Land mit einer jahrhundertealten Kultur der Akzeptanz und des Miteinanderlebens von Bevölkerungsgruppen verschiedenster Herkunft nicht für möglich gehalten hätten. Hierzu gehört auch ein aufgeflammtes und von vielen Betroffenen so noch nie erlebtes Misstrauen gegenüber Akademikern, die als Experten mehrheitlich vor den negativen Folgen eines Austritts gewarnt hatten und dafür von Politikern wie dem ehemaligen Justizminister Michael Gove und der konservativen, dabei mehrheitlich EU-feindlichen Presse heftig attackiert wurden. Die Grenzen zur Verleumdung waren hierbei mitunter fließend und der Vorwurf, mit angeblich manipulierten Zahlen zu operieren, noch vergleichsweise milde.
Forschung muss nicht nur finanziert, sondern auch „gemacht“ werden. Die innereuropäische Freizügigkeit in der EU schafft dafür sehr gute Voraussetzungen. Britische Hochschulen bieten mit ihren relativ hierarchiearmen und flexiblen Strukturen attraktive Entwicklungspotenziale. Knapp 30 Prozent oder 55.000 Personen des forschenden und lehrenden Gesamtpersonals stammt von außerhalb des UK. Davon sind rund 32.000 Personen, die ca. 16 bis 17 Prozent der insgesamt an britischen Universitäten Tätigen ausmachen, EU-Staatsangehörige. An forschungsstarken Hochschulen ist ihr Anteil noch höher und liegt eher bei 20 Prozent und darüber.
5.250 Deutsche stellen 16,5 Prozent aller forschenden und lehrenden EU-Staatsangehörigen im Land. Sie bilden damit nicht nur den höchsten EU-Anteil; den zahlenmäßig ersten Rang belegen sie auch in der Gesamtbetrachtung des internationalen Personals mit individuellem Arbeitsvertrag an britischen Einrichtungen. Ihr Anteil liegt dann immer noch bei etwa 9,5 Prozent. Der überwiegende Teil ist langjährig und dauerhaft an einer britischen Institution tätig. Innerhalb von zwei Jahren nach offiziell erklärtem Austrittsgesuch der britischen Regierung, das man kaum vor Ende 2016 erwartet, wird sich für Deutsche und weitere EU-Staatsangehörige nichts ändern. Nichtsdestotrotz gibt es bereits jetzt, mit Blick auf die mittelfristige Verbleibsperspektive, Fälle von Verunsicherung und eines individuell unterschiedlich ausgeprägten Empfindens von „Nicht mehr willkommen sein“. Institutionell soll es aufgrund der veränderten politischen Lage ebenfalls schon zu Fällen von aufgeschobenen Arbeitsverträgen, die mit EU-Staatsangehörigen prinzipiell vereinbart waren, gekommen sein.