Kulturelle Freiräume schaffen und gestalten

Auswärtige Kulturpolitik vor neuen Herausforderungen

Die Neubestimmung der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik (AKBP) in der zweiten Amtszeit von Bundesminister Frank-Walter Steinmeier war und ist Teil des von ihm angestoßenen Review-Prozesses der deutschen Außenpolitik. Erste Ergebnisse stellte er in einer konzeptionellen Rede Anfang 2015 vor, ein großer Kongress unter erstmaliger Einbeziehung der von ihm 2008 gestarteten Partnerschulinitiative (PASCH) bot im April 2016 die Gelegenheit, die Erfahrungen der Partner und Mittler aus dem Aus- und Inland intensiv einzubeziehen. Die Integration der Forschungszusammenarbeit innerhalb des Auswärtigen Amts (AA) in diesen Bereich und der Aufbau des Feldes der strategischen Kommunikation haben diese umgesetzt und vor allem hat der Bundestag in einem von Union, SPD und Bündnis90/Die Grünen eingebrachten Entschließungsantrag unter weitgehender Zustimmung auch der Linken diese Neubestimmung begrüßt und inhaltlich weiter fortgeschrieben.

 

Als die zentrale Aufgabe begreifen wir in den nächsten Jahren die Frage des Zugangs zu Kultur und Bildung. Angesichts der abscheulichen Zerstörungen von Kulturgut in Syrien, im Irak und an anderen Orten ist zunächst und vor allem der Schutz und Erhalt des kulturellen Erbes als Träger von Identifizierungsmöglichkeiten und Alteritäten gemeint. Die Zukunft ist die Gegenwart, welche die Vergangenheit uns schenkt, so hat es ein französischer Kulturminister einmal formuliert, und genau deswegen ist es so wichtig, die Vergangenheit lebendig zu erhalten. Die Verschiedenheit bietet die Möglichkeit, aus der Fremdheit des Vergangenen die Möglichkeit einer anderen Zukunft immer wieder neu zu diskutieren und diese zu gestalten. Daher hat der Kulturgüterschutz auf normativer Ebene – z. B. die gemeinsam mit dem Irak eingebrachte Resolution in der UN-Generalversammlung und die Novelle des deutschen Kulturgüterschutzgesetzes unter Federführung der Kulturstaatsministerin – ebenso wie auf politischer – im Form des Vorsitzes im Welterbekomitee 2014/15 durch Staatsministerin Maria Böhmer – und pragmatischer Ebene durch zahlreiche konkrete Projekte ganz im Vordergrund der ersten fast drei Jahre dieser Legislaturperiode gestanden und wird auch weiterhin einen wichtigen Raum einnehmen. Zugang zu Kultur bezieht sich dabei freilich bei Weitem nicht nur auf Artefakte. Sondern es geht um den Zugang unter auch in der Praxis prekären, oft genug unerträglich schweren Lebensbedingungen. Unter der Leitung des Deutschen Archäologischen Instituts (DAI) und der Stiftung Preußischer Kulturbesitz (SPK) haben sich daher 18 Institutionen im Archeological Heritage Network zusammengetan und arbeiten gemeinsam unter anderem am Projekt „Stunde Null“ für Syrien. Von der kulturellen Arbeit in Flüchtlingslagern und mit urban refugees über die Ausbildung von geflohenen Menschen in kulturellen Techniken, dem Heranführen an ihr kulturelles Erbe, wissenschaftlicher Ausbildung, wie sie die deutsch-jordanische Universität und viele andere Institutionen leisten, die Arbeit von Denkmalpflegern und Stadtplanern bis hin zur internationalen Zusammenarbeit unter anderen mit Smithsonian in den USA, der Anadolu Kültür Stiftung in der Türkei oder der französisch-emiratischen Initiative reicht dabei der Bogen, der eines Tages zum kulturellen Wiederaufbau Syriens beitragen soll. Das gibt schon heute vielen Menschen ein bisschen Zuversicht. Kultur- und Bildungsarbeit, das ist Hilfe zur Humanität, die neben und mit der humanitären Hilfe notwendig ist für die gemeinsame Arbeit an einer besseren Zukunft.

 

Zugang zu Kultur und Bildung, das betrifft auch die unzähligen Geflüchteten auf aller Welt. Dank der Unterstützung des Deutschen Bundestages wurden in den vergangenen knapp drei Jahren drei besonders wichtige Initiativen im Ausland gestartet bzw. verstärkt: 2015 hat der DAAD als Mittlerorganisation die Zahl der Stipendien für Syrer verzehnfacht und mit einem Leadership-Programm unterlegt. 2016 haben wir die Deutsche Flüchtlingsinitiative Albert Einstein beim UNHCR mit zusätzlichen 2.500 Stipendien ausgestattet, die neben vor allem syrischen Flüchtlingen in der Region auch in Erstaufnahmeländern wie z. B. Äthiopien oder dem Iran geflüchteten Menschen die Möglichkeit eines Studiums eröffnen. Gemeinsam mit der Alexander von Humboldt-Stiftung (AvH) als Mittlerorganisationen des AA und in Kooperation mit sieben Unternehmensstiftungen wurde die Philipp-Schwartz-Initiative gegründet. Die wissenschaftliche Gemeinschaft in Deutschland gewährt mit dieser Initiative gefährdeten Wissenschaftlern einen sicheren Platz des Lebens und Forschens – sechs aus der Türkei und 14 aus Syrien allein in diesem Jahr.

 

Zugang zu Kultur und Bildung, das ist aber auch über die durch die Krisen beschriebenen Notwendigkeiten hinaus die entscheidende Frage der kommenden Jahre: Bundesminister Steinmeier hat mehrfach betont, dass sich sein Ansatz auf einen sozialen Kulturbegriff, keinen ästhetisierenden stützt. Diplomaten sind nicht diejenigen, die bestimmen, was Kultur ist, sondern für uns bilden Kultur, Bildung und Forschung und Kommunikation vorpolitische Freiheitsräume. Ob Schulen oder Goethe-Institute, ob Ausstellungskooperationen, Theater- oder Literaturfestivals, ob Austausch in Bildung, Forschung und Wissenschaft oder das Schaffen kommunikativer Räume: All das sind Orte, in denen das Lernen, Leben und manchmal eben auch Leiden am Eigenen und Fremden möglich wird.

Andreas Görgen
Andreas Görgen leitet die Abteilung für Kultur und Kommunikation im Auswärtigen Amt
Vorheriger ArtikelDie Bitte, etwas Gutes zu tun
Nächster ArtikelFür einen gerechten Welthandel und für mehr Beteiligung der Zivilgesellschaft