Die Bitte, etwas Gutes zu tun

Aktion Sühnezeichnen Friedensdienste trägt zum wirklichkeitstreuen Deutschlandbild bei

Aktion Sühnezeichen wurde im April 1958, dreizehn Jahre nach Ende der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft, auf der Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland gegründet. Der Gründungsvater Lothar Kreyssig formulierte im Gründungsaufruf: „Wir Deutschen haben den Zweiten Weltkrieg begonnen und schon damit mehr als andere unmessbares Leiden der Menschen verschuldet. Deutsche haben in frevlerischem Aufstand gegen Gott Millionen von Juden umgebracht. Wer von uns (…) das nicht gewollt hat, der hat nicht genug getan, es zu verhindern. (…) Des zum Zeichen bitten wir die Völker, die Gewalt von uns erlitten haben, dass sie uns erlauben, mit unseren Händen und mit unseren Mitteln in ihrem Land etwas Gutes zu tun“.

 

Der Gründungsaufruf enthält ein Schuldeingeständnis, das sich nicht nur auf die identifizierbaren Täter bezog, sondern auch auf alle Menschen und Institutionen, die zu wenig getan hatten, die Verbrechen zu verhindern. Aus den Worten Kreyssigs spricht eine Haltung der Demut. Er fordert nicht Versöhnung, er bittet lediglich darum, Gutes tun zu dürfen.

 

Seit der Gründung haben mehr als 10.000 Freiwillige, meist junge Menschen, für ein bis zwei Jahre einen Dienst mit Aktion Sühnezeichen Friedensdienste (ASF) gemacht oder sich in einem internationalen Sommerlager engagiert.

 

Heute sind die Freiwilligen in 13 verschiedenen Ländern in Europa, Israel und den USA aktiv. Sie begleiten Überlebende der Schoah, engagieren sich für Flüchtlinge und Menschen am Rande der Gesellschaft, führen Schulklassen durch Gedenkstätten, beteiligen sich an Kampagnen gegen Ausgrenzung und Menschenfeindlichkeit und unterstützen Menschen mit Behinderungen. Die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus und seinen Verbrechen ist für Aktion Sühnezeichen Friedensdienste Motiv und Verpflichtung für konkretes Handeln in der Gegenwart. ASF will für die heutigen Folgen dieser Gewaltgeschichte sensibilisieren und aktuellen Formen von Antisemitismus, Rassismus und Ausgrenzung von Minderheiten entgegentreten.
Die pädagogische Begleitung der Freiwilligen in den langfristigen Diensten und Sommerlagern ist ASF ein besonderes Anliegen. Die Freiwilligen besuchen während des heute einjährigen Dienstes sechs Seminare, die insgesamt mindestens 25 Tage umfassen. Die Bildungsprogramme bilden den Rahmen, in denen Reflexionen stattfinden können, sodass ein Dienst mit ASF nicht einfach nur eine Auslandserfahrung ist. Die pädagogische Begleitung bildet eine Einheit mit dem Freiwilligendienst. Es geht dabei um die Entwicklung von Dialogfähigkeit, bei der das zugewandte Zuhören besonders wichtig ist. Es geht um das Verstehen von Geschichte(n) und politischer Komplexität im Kontext internationaler Beziehungen. Und es geht vor allem um Engagement und die Verantwortung für die Mitgestaltung des Lebensumfeldes und der Gesellschaft.

 

Die Freiwilligen werden darin befähigt, politische, soziale und historische Komplexitäten auszuhalten und nicht nach einfachen Lösungen zu suchen. In der Begegnung mit Überlebenden der Schoah und ihren Nachkommen erfahren sie, wie die Geschichte auch heute nachwirkt: in den internationalen Beziehungen, in den zwischenmenschlichen Begegnungen, in den Erinnerungen, in der Bearbeitung von Traumata, Schweigen und Schuld sowie in politischen und ethischen Debatten. Sie erfahren die Komplexität besonders dann, wenn sie in Regionen einen Dienst machen, die von Konflikten geprägt sind, wie etwa in Israel und in der Ukraine. Einfache Feindbilder greifen nicht und die Beziehungen zu bzw. Debatten in Deutschland sind ohne einen Bezug zur Geschichte nicht zu verstehen. Nach ihrer Rückkehr tragen die Freiwilligen ihre Kenntnisse über das Gastland und über die internationalen Beziehungen in die Debatten in Deutschland ein.

 

Ein Freiwilligendienst von Aktion Sühnezeichen Friedensdienste wird manchmal missverstanden. Es geht weder darum, die Verbrechen der Nationalsozialisten wieder gut zu machen, weil dies unmöglich ist, noch geht es darum, junge Menschen als Botschafter eines neuen und besseren Deutschlands zu entsenden. Und doch geschieht es häufig, dass – etwa in der Begegnung zwischen Überlebenden und jungen Freiwilligen – Heilung und Aussöhnung geschieht und sich damit auch der Blick auf Deutschland verändert.

 

Begegnungen mit Menschen des Gastlandes sind das Wesen des ASF-Freiwilligendienstes. In diesen Begegnungen hören die Freiwilligen zu und lernen viel. Und sie vermitteln ihre biografischen Erfahrungen und ihre Sicht auf Deutschland. Oft verknüpfen sie diese Sicht mit Demokratie, Vielfalt, politischer Partizipation, kirchlichem Engagement, mit Willkommensbündnissen, einer kritischen Erinnerungskultur und Rechten von Minderheiten. Sie erzählen auch von eigenen Diskriminierungserfahrungen, einem Erstarken rechtspopulistischer Bewegungen und von rechtsextremen Übergriffen auf Flüchtlinge.

 

Wichtige Ziele der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik (AKBP) sind die Vermittlung eines lebendigen und wirklichkeitstreuen Deutschlandbildes, die Förderung des Dialogs und damit der Konflikt- und Krisenprävention. Dazu tragen die Freiwilligenprogramme und Sommerlager von Aktion Sühnezeichen Friedensdienste seit fast 60 Jahren bei. Die Arbeit wurde im Oktober 2016 mit dem Preis des Westfälischen Friedens ausgezeichnet.

Jutta Weduwen
Jutta Weduwen ist Geschäftsführerin von Aktion Sühnezeichen Friedensdienste
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